12 Fragen an… Roman Motzkus

12 Fragen an Roman Motzkus

Roman Motzkus kann eine geballte Ladung American Football-Erfahrung vorweisen. Das zeigte der 47-Jährige in der vergangenen Saison als TV-Experte beim deutschen NFL-Rechteinhaber ran, aber auch schon in früheren Jahren als Verantwortlicher und Aktiver in der Berliner Football-Szene. Auch in der kommenden Spielzeit wird der ehemalige Wide Receiver der Berlin Adler und der deutschen Nationalmannschaft wieder als Fachmann mit von der Partie sein. Zuvor sprach Motzkus mit den German Sea Hawkers über die Schlüsselspieler der Seattle Seahawks, Prognosen für die anstehende Saison und den American-Football-Boom in Deutschland.

Roman, die Vorbereitung auf die neue Saison ist auch bei den Seattle Seahawks im Gange. Zwei Spieler sind jedoch noch außen vor. Zum einen ist das Running Back Thomas Rawls, der vergangene Saison Marshawn Lynch phasenweise schon vergessen machte, sich dann aber den Knöchel brach. Hat er in der neuen Spielzeit das Zeug zum Go-To Guy?
Rein spielerisch ja, weil er das Potenzial hat. Er muss allerdings noch beweisen, dass er eine ganze Saison als Feature Back die Last tragen kann, also ein sogenannter Every Down Back ist. Das zweite Jahr ist immer das schwerste, besonders nach einer Verletzung. Ich wünsche ihm den Erfolg, weil ich seine Spielweise mag und er kein Glamour Boy ist, eher ein harter Arbeiter. Er muss jetzt beweisen, dass er nicht nur Talent hat, sondern nach der Verletzung auch Kopf und Körper mitspielen.

Der zweite Spieler, der von einer schwerwiegenden Verletzung (Patellasehnenriss) zurückkommt, ist Tight End Jimmy Graham. Seine erste Seahawks-Saison hatte Höhen und Tiefen. Was kann er jetzt reißen?
Jimmy Graham ist ein herausragender Spieler, ohne Frage. Er hat sich bewiesen, er weiß was er kann – und er ist eine Waffe. Kurz vor seiner Verletzung zeigte er langsam auch endlich, dass er das Spielsystem der Seahawks immer besser verinnerlicht. Auch wenn er nicht angespielt wird, ist er wichtig, denn er muss permanent von mindestens zwei Gegenspielern gedeckt werden. Wenn er die Verletzung gut übersteht und nicht zu früh wieder einsteigt, wird sein zweites Jahr in Seattle wesentlich erfolgreicher, denke ich.

Marshawn Lynch, der das Team oft auf seinen Schultern trug, beendete in der Offseason seine Karriere. Kann Russell Wilson ihn in dieser Hinsicht ausreichend ersetzen und werden die Seahawks durch Lynchs Wegfall zu einem Pass First-Team?
Russell Wilson ist jetzt schon der Typ der die Mannschaft führt. Das ist alleine positionsbedingt schon so, aber er hat auch in den letzten Spielen der vergangenen Saison gezeigt, dass er nicht nur zu Fuß gut ist, sondern auch in einer Passoffensive gut sein kann. Als Gegner muss man ihn auf allen Ebenen bewachen. Pass und Lauf, und dazu kommt noch Running Back Thomas Rawls. Ich glaube, Wilson wird der absolute Leader sein. Aber ich glaube nicht, dass die Seahawks ein reines Passteam werden. Dafür haben sie zu viele andere Waffen und sind von den Spielertypen her einfach eher eine Laufmannschaft, haben auch die Line dazu – eine Blocking Line.

Das ist die perfekte Überleitung zum Sorgenkind der Seahawks. Im Blocking top, in der Pass Protection flop – die O-Line der Seahawks. Aktuell wird sie rundum erneuert. Was ist der Schlüssel für eine komplett neu formierte O-Line, die sich erst finden muss?
Binde Kommunikation, blindes Verständnis. Gerade wenn man Zone Blocking spielt, wie die Seahawks es tun, dann blockt man bloß in vorgegebene Richtungen und Bereiche und nicht immer den direkten Gegenüber. Wenn der eine Spieler den Schritt nicht richtig macht und der andere dann mit ihm zusammenstößt, bekommt der Running Back richtig auf die Socken. Es muss ganz viel kommuniziert werden, auch vom Coach ausgehend. Und die Line muss eine richtige Clique werden, nicht nur die fünf Starter, sondern auch die Backups. Wir haben das schon oft genug gesehen: Wenn bei tollen Mannschaften die O-Line auseinander fällt, kommt das gesamte System ins Stocken. Es beginnt alles an der Linie. Vergangene Saison war wieder zu sehen, dass die Teams, die die wenigsten Verletzungsprobleme in der Line hatten, am besten durch die Saison kamen. Die Panthers hatten beispielsweise in der gesamten Saison nur zwei verschiedene O-Line-Formationen auf dem Feld, das war ein Schlüssel zum Erfolg. Egal ob Pass oder Lauf, wenn die Jungs vorne wissen was sie und ihre Nachbarn tun, sind die Erfolgsaussichten gut.

Die Wide Receiver Jermaine Kearse und Doug Baldwin haben in der Offseason neue Verträge erhalten. Sie dürften gesetzt sein. Dahinter lauert Tyler Lockett, der 2015 als Returner und Receiver schon auf sich aufmerksam machte. Schafft er 2016 den ganz großen Durchbruch?
Lockett hat die Geschwindigkeit für die tiefen Bälle. Ich habe vergangene Saison einige Seahawks-Spiele kommentiert. Und da war zu erkennen, dass auch mal die lange Bombe ging – oder wie mein Kollege Jan Stecker so schön sagt: das lange Brot. Es ist wichtig, jemanden zu haben, der auch geradeaus schnell genug ist. Wenn du drei Leute hast, die vernünftig Receiver spielen können und dann noch einen fitten Jimmy Graham, dann fällt es den Gegnern extrem schwer, das mit vier, fünf Passverteidigern abzudecken. Ich glaube, Lockett wird als Receiver ein gutes Jahr haben. Darüber hinaus bin ich aber gespannt, wie häufig er dann noch returnen darf. Denn gerade nach langen Sprints braucht er Pausen.

Wechseln wir auf die andere Seite des Balls. Zu Beginn des Training Camp befürchteten viele Seahawks-Fans einen Holdout von Defensive End Michael Bennett. Doch er erschien ganz der Teamplayer pünktlich zum Auftakt der Vorbereitung. Strong Safety Kam Chancellor war nach letztjährigem Holdout diesmal ebenfalls von Beginn an vor Ort. Anzeichen für eine noch stärkere Defense, auf die wir uns freuen dürfen?
Ich habe mich vergangene Saison ein bisschen gewundert, dass die Defense lange brauchte, sich zu finden. Die Spieler sind größtenteils schon länger als Team zusammen. Und da die meisten auch nicht ganz neu im American Football sind, sollte es eigentlich kein Faktor sein, ob sie früher oder später ins Training einsteigen. Das System ist auch kein neues. Chancellor und Bennett haben schon jahrelang gezeigt, dass sie es können. Daher glaube ich eher, die Coaches (Anm. d. Red.: Kris Richard war 2015 neuer Defensive Coordinator) haben etwas neues probiert und sind dann aber wieder zum altbewährten Schema zurückgekehrt oder die Spieler haben begonnen es zu verstehen. Unabhängig davon glaube ich, dass es sinnvoll ist, wenn die Spieler von Beginn an zusammen sind, gerade in Bezug auf Taktik und die Eingliederung neuer Spieler. Teambuilding ist in dieser Hinsicht viel wichtiger als Training.

Auch zu aktiver Zeit machte Motzkus eine gute Figur. (Bild: Hans-Joachim Hattwich)
Auch zu aktiver Zeit machte Motzkus eine gute Figur. (Bild: Hans-Joachim Hattwich)

Die umgezogenen Los Angeles Rams, die abgeklärten Arizona Cardinals, die sich im Umbruch befindenden San Francisco 49ers oder die Seahawks. Wer macht’s in der NFC West?
Das wird sich zwischen Cardinals und Seahawks abspielen. Mein Herz blutet, wenn ich das sage, denn ich bin 49ers-Fan, allerdings aus der Zeit von Joe Montana, Roger Craig und Jerry Rice, der mein absolutes Vorbild war. Die Niners sind in unruhigem Fahrwasser, die sind mit sich selbst beschäftigt und brauchen noch ein bisschen. Die Rams – naja, ein Umzug bringt noch keinen Erfolg. Klar werden sie neu motiviert sein, aber die Mannschaft um Running Back Todd Gurley ist noch nicht gut genug, Playoff-Ambitionen zu haben. Arizona ist eine ganz starke Truppe. Wenn Carson Palmer nochmals so ein Jahr hinzaubert, dann wird es extrem schwer, sie zu schlagen. Die Cardinals sind als Truppe stark, nicht so starbesetzt, Larry Fitzgerald wird auch nicht jünger. Sie waren schon ganz weit vergangene Saison. Mal sehen, ob sie jetzt den letzten Sprung noch schaffen können. Arizona und Seattle sehe ich in der NFC, nicht nur im Westen, vorne dabei.

Wie sieht es in der AFC aus?
Geheimfavorit sind für mich die Jacksonville Jaguars, denn die haben unheimlich viel Talent hinzubekommen. Ich würde mich auch freuen, wenn Björn Werner dort den Sprung in den Kader schafft. Als Defensive End wird er bessere Chancen haben als als Outside Linebacker. Nicht zu unterschätzen sind die außerdem die Kansas City Chiefs, und die Patriots muss man immer auf der Uhr haben. An Denver glaube ich dieses Jahr nicht, die hatten zu viel Blutverlust. Pittsburg zählt zu den Mitfavoriten. In der NFC sehe ich es ein bisschen knapper – Arizona, Carolina und Seattle. Die Ära der Packers und Giants ist vorbei. Carolina ist jung und kann vielleicht Motivation aus der Super Bowl-Niederlage ziehen. Ich lege mich mal fest auf Carolina gegen New England im Super Bowl.

Bei ran wirst Du auch in der kommenden Saison wieder mit von der Partie sein. Ihr baut die Berichterstattung sogar aus – geplant sind ein Magazin vor den Spielübertragungen und die Ausstrahlung von Hard Knocks im Anschluss. Ist die Erweiterung Resultat des großen Zuspruchs, den Ihr in der ersten Saison erfahren habt?
Auf jeden Fall. Dass unser Programm in diesem Ausmaß angenommen wurde, hatten wir nicht erwartet. Sehr positiv waren auch die persönlichen Rückmeldungen über meine Kanäle oder im Stadion bei den Berlin Adlern, dass die Leute uns gerne schauen. Das zeigt uns, dass wir die richtige Mischung getroffen haben und diese beibehalten sollten. Beim Ausbau geht es vorwiegend darum, noch ein bisschen mehr zurückzuschauen auf vorausgegangene Spiele, also eine Art Pregame-Show. Grundgerüst wird aber weiterhin das sein, was wir vergangene Saison geboten haben. Es wird weiterhin Parallelspiele geben, von denen wir Highlights zeigen und zu denen wir theoretisch auch wechseln können. Vergangenes Jahr durften wir in den ersten 14 Wochen aufgrund der Rechtelage lediglich einmal wechseln, dann aber nicht mehr zurück wechseln. Also wäre eine Konferenz nicht möglich gewesen. Gegen Ende der Saison wäre die Konferenz möglich gewesen, wenn es sich angeboten hätte. Und wer weiß, vielleicht gibt es in diesem Jahr auch erstmals die Möglichkeit, die Zuschauer das Spiel wählen zu lassen.

American Football boomt in Deutschland. Indizien dafür sind der Zuspruch für ran NFL, die Tatsache, dass die New England Patriots seit ein paar Wochen deutsche Berichterstattung anbieten oder dass Odell Beckham jr. als NFL-Botschafter in München zu Besuch war. Wo führt diese Entwicklung Deiner Meinung nach hin?
Schwer zu sagen. Ich weiß, dass sich Berlin um die Ausrichtung eines NFL-Spiels beworben hat, Frankfurt wohl auch. Natürlich würde ein ehemaliger NFL Europe-Standort praktisch sein, weil die Fangemeinde vor Ort schon gewissermaßen vorhanden ist. Aber das ist kein Muss. Die Footballverrückten fahren auch nach London ins Wembley Stadium oder nach Twickenham. Bis vor kurzem wusste ich nicht einmal, wo das ist. Ich erinnere mich gerne an 1990 und 1991, als wir die Preseason im Olympiastadion in Berlin hatten mit 65.000 Zuschauern. Es spielten die Kansas City Chiefs gegen die LA Rams, zwei Mannschaften, die nicht unbedingt alle vom Hocker gerissen haben. Aber dennoch sind viele Fans gekommen, aus ganz Deutschland und Europa. So wie jetzt die Menschen nach London pilgern. Wenn die NFL nach Deutschland kommt, wünsche ich mir einfach, dass sie ein schönes Stadion und einen schönen Ort auswählt, an den man gerne fährt und an dem man sich sicher fühlt. Ich würde mich auch freuen, wenn es dann nicht nur ein einmaliges Event bleibt, sondern einmal pro Saison stattfindet, so wie es in London auch angefangen hat.

In München wird im Olympiastadion bald auch wieder ein Rasen gelegt. War OBJ ein Vorbote für mehr?
Das würde schon Sinn machen, da in München die zwei wichtigsten Redaktionen sitzen, die über die NFL berichten. Somit war es auch sinnvoll, Beckham nach München zu schicken. Aber vielleicht gibt es für das Münchner Olympiastadion auch noch ganz andere Ideen. München, Berlin, Hamburg, Düsseldorf, Frankfurt oder Köln – es gibt viele Optionen. Am Ende bekommt die Stadt den Zuschlag, die sich am meisten darum bemüht, auch in Sachen Geld. Die NFL ist nunmal ein Geschäft.

Auf einem Gruppenfoto mit der ran-Crew haben wir vor ein paar Wochen Strideline-Socken unter Deinem Anzug hervorblitzen sehen. Wir wissen, dass Du wie die German Sea Hawkers mit Strideline Germany kooperierst. Wie kam’s denn zu den blauen ran-Socken?
Das war eine Schnapsidee von mir. Wir haben aktuell noch keinen offiziellen ran-Fanshop, aber die Idee existiert. Zum Anlass der Jahrespräsentation unseres Senders in Hamburg habe ich mit Strideline Germany gemeinsam entschieden, eine ran-Socke zu entwerfen und diese dort zu tragen. Die Socke ist noch kein offizieller Fanartikel, wir tragen sie aber in der Redaktion. Und natürlich hoffe ich, dass die ran-Socke irgendwann neben der ran-Tasse in einem ran-Fanshop erhältlich sein wird.

Roman, wir danken Dir für das Gespräch!

 

Über die Rubrik

„12 Fragen an…“ ist eine Rubrik, in der regelmäßig Interviews unserer Redaktion mit Persönlichkeiten veröffentlicht werden, die in einer Beziehung zur deutschsprachigen Fangemeinde und den Seattle Seahawks stehen. In den Gesprächen geht es um Zusammenhänge zwischen den Interviewpartnern und unserem Lieblingsteam, Erlebnisse und Erfahrungen im American Football und persönliche Geschichten. Alle bisher erschienenen Interviews aus der Serie gibt’s hier zum Nachlesen.