Er erfand Black Santa, weil er eine Alternative zum weißen Weihnachtsmann suchte. Er ist die Säule der Verteidigung, obwohl seine Schulterpads kaum den Namen verdient haben. Er feiert seine Sacks mit einer verruchten Hüftbewegung. Er ist ein Spieler, der gerne seine Meinung kundtut und damit aneckt. Michael Bennett sorgt dafür, dass es im Pacific Northwest nie langweilig wird. Wir stellen den Verteidiger der Seattle Seahawks in einer dreiteiligen Serie vor – als Aktivisten und Profi-Sportler. Heute: Der Aktivist.
Wie alles begann
Es war der Quarterback Colin Kaepernick, der in der NFL-Saison 2016 seine Unzufriedenheit mit Polizeigewalt und Rassendiskriminierung ausdrückte und so den Protest in die Liga und den Sport brachte. Als Spieler der San Francisco 49ers saß er zunächst und kniete ein paar Wochen später während der US-Hymne am Spielfeldrand, um seinem Anliegen auf breiter Plattform große Aufmerksamkeit zu geben. Kaepernick galt fortan als Gesicht dieses Protests und erhielt neben Anfeindungen und Drohungen auch Unterstützung, zum Beispiel von seinem Teamkollegen Eric Reid, der neben ihm kniete, sowie von Seahawks-Defensive End Michael Bennett. Auch weiße Spieler solidarisierten sich mit Kaepernick und seinem Protest. Manche erhoben, gemeinsam mit schwarzen Spielern, die Faust zur „Black Power“-Geste. Einen neuen Job hat Kaepernick, der nach der Saison 2016 um die Vertragsauflösung in San Francisco bat, bis heute nicht.
Der Protest gegen Polizeigewalt gegenüber schwarzen Jugendlichen, der von Kaepernick initiiert und von Bennett und vielen anderen weitergeführt wurde, hat drei Debatten ausgelöst: Die über das allgegenwärtige Problem von Rassismus und Polizeigewalt in den USA, die über Patriotismus und das Respektieren von Hymne und Flagge und die über die Frage, wie politisch der Sport sein darf.
Die Diskussion über Polizeigewalt gegen schwarze Jugendliche war im August 2014 durch den Tod des Teenagers Michael Brown in Ferguson, Missouri tagesaktuell. In der Folge kam es zu Protesten und Krawallen. Immer wieder kam es zu ähnlichen Fällen wie diesem, die landesweit für Schlagzeilen sorgten und teils heftige Reaktionen in der Bevölkerung auslösten. Ende 2015 veröffentlichte der britische Guardian eine eigene Untersuchung zum Thema Polizeigewalt in den USA, die die Diskussion zusätzlich befeuerte. Demnach wurden im Untersuchungsjahr neunmal mehr junge schwarze Männer getötet als andere US-Amerikaner.
Bennetts Protest in der Saison 2017
Michael Bennett kündigte zur Preseason 2017 an, dass er während der US-Hymne vor den Spielen sitzenbleiben werde. Er sagte in einem Interview: „Ich kann jetzt nicht stehen. Ich werde nicht stehen, bis wir Gleichheit und Freiheit haben.“ Nach den Nazi-Krawallen in Charlottesville, Virginia sah er sich in seiner Entscheidung bekräftigt und sagte: „Ich will meine Plattform nutzen, um weiterhin über Ungerechtigkeit zu sprechen.“
In Woche 2 der laufenden Saison ging Bennett einen Schritt weiter. Er brachte seinen Protest aufs Spielfeld und damit noch mehr in den Fokus der Öffentlichkeit. Im Spiel der Seahawks gegen die 49ers, das einstige Team Kaepernicks, war es der Augenblick nach einem Sack, in dem Bennett nicht seinen gewohnten Jubel (die eingangs erwähnten Hüftbewegungen) aufführte, sondern seine Faust zur „Black Power“-Geste in die Luft streckte. Bennett erklärte dazu via Twitter: „Die erhobene Faust repräsentiert Einheit und Solidarität mit unterdrückten Menschen.“
Dieser eine Moment reichte aus, um eine neue Reaktion auszulösen. Plötzlich mischte sich auch US-Präsident Donald Trump in die Debatte um den Protest ein, er beleidigte Initiator Kaepernick und seine Mitstreiter als „Hurensöhne“, die von den Teambesitzern entlassen werden sollten, weil sie die Hymne und Flagge nicht respektierten. Die Antwort der Spieler darauf: Eine ligaweite Demonstration von Gemeinschaft und Solidarität.
Bennett in der Offseason 2017
Dass Michael Bennett nicht nur dann gegen Ungerechtigkeit und Ungleichheit kämpft, wenn die Aufmerksamkeit groß ist, beweist die Offseason. So besuchte er im Sommer 2017 im Rahmen des O.C.E.A.N.-Programms seiner Stiftung „The Bennett Foundation“ das Sioux-Reservat „Lower Brule Indian Reservation“ in South Dakota. Bennetts Schwager Tristan Fire Cloud wuchs dort auf.
Die 1.300 Meilen, die der Spieler dafür mit dem Auto von Seattle aus zurücklegte, dienten nicht nur dem Zweck, ein Sport- und Gesundheitscamp für unterprivilegierte Familien zu veranstalten, sondern auch, um die Kinder dort zu inspirieren und um etwas über die Sioux und ihren Kampf zu lernen. 220 Gäste begrüßten Bennett mit einer traditionellen Zeremonie. Dabei wurde er in ein indianisches Sonnenquilt in Seahawks-Farben gewickelt. „Ich glaube an die Verbindung zwischen unterdrückten Menschen überall auf der Welt“, sagte er am Ende des Tages, „die Verbindung von Menschen unterschiedlicher Hautfarben und Kulturen.“ Sich auszutauschen und aktiv zu werden sei wichtiger, als einfach nur über sein Schicksal nachzudenken.
Dass Bennett kein Problem damit hat, Missstände offen anzusprechen, zeigte er schon mehrfach. So konnte er sich beispielsweise auch eine Spitze gegen den manisch twitternden US-Präsidenten nicht verkneifen. Bennett beklagte, dass Trump bei Themen die Russland betreffen sofort einen Tweet veröffentlicht, sich aber beim Nazi-Protest in Virginia 48 Stunden Zeit für eine Reaktion lässt. In einem Interview mit der Organisation „Black Lives Matter“ antwortete er auf eine Frage nach dem Protest in der NFL: „Jeden Tag wirft ein weißer Quarterback einen Pass auf einen schwarzen Receiver, aber wenn es um ‚Black Lives Matter‘-Fragen geht, wird keiner aufstehen und sagen ‚Das ist ein Problem‘. Können Sie sich vorstellen was passieren würde, wenn Tom Brady aufsteht und sagt, was mit Philando Castile passiert ist, ist eine Tragödie? Was sich in Amerika verändern würde, wenn Aaron Rodgers sagt: ‚Black lives matter‘?“
Die geringe Unterstützung von weißen Spielern in der NFL stört Bennett. Er würde gerne mit Brady oder Rodgers zusammenarbeiten, er will, dass die Größen der Branche aktiver werden, so könne wirklich etwas bewegt werden. Bennett: „Stellen Sie sich vor, ich würde mit Tom Brady, Colin Kaepernick, Aaron Rodgers, Greg Olsen und meinem Bruder [Martellus Bennett, Green Bay Packers] auf einer Bühne sitzen und sagen ‚Wir haben genug davon, was in Amerika gerade abläuft‘ […].“ Es ist kaum realistisch, dass das passiert, das weiß auch Bennett. Doch die ligaweiten Protestaktionen in Woche 3 zeigten, dass sich etwas in die richtige Richtung bewegt.
Viele, auch weiße NFL-Spieler, unterstützen Bennett in dieser Saison. Seahawks-Center Justin Britt steht während der Nationalhymne neben dem sitzenden Bennett und legt solidarisch seine Hand auf dessen Schulter. Einer der wenigen weißen Spieler, die sich in letzter Saison schon öffentlich hinter die Protestierenden stellten, war der ehemalige Seahawk und aktuelle Kicker der Buffalo Bills Stephen Hauschka. Er nahm regelmäßig über soziale Medien Stellung und sprach offen aus, dass es in den USA soziale Ungerechtigkeit gebe. In einem Interview mit der Seattle Times sagte er, dass es ihm eigentlich unangenehm sei, über Rassismus und Ungleichheit zu sprechen. Er glaube, dass es dem Großteil der weißen Bevölkerung genauso gehe.
Bennetts Zukunftspläne
Unangenehm, ein Wort, das Bennett immer wieder sagt. Im Juni 2017 kündigte er an, dass er bereits seit Anfang des Jahres an seinem ersten Buch mit dem Titel „Things that make white people uncomfortable“ (etwa: Dinge die weißen Menschen unangenehm sind) schreibe. Um den Jahreswechsel herum soll das Buch veröffentlicht werden. Darin geht es nicht wie bei anderen Sportlern um das Leben des Protagonisten in biografischer Form, sondern um Bennetts Sichtweise auf die NFL, Rassismus und Sexismus. Der Defensive End will mit seinem Buch vor allem zum Dialog anregen – so, wie er es zuletzt mit seinem Handeln als Aktivist in der NFL getan hat.