Es hätte der entspannte Sonntagabend werden können, der sich Ende des dritten Viertels abzeichnete im Bank of America Stadium in Charlotte. Doch die Seattle Seahawks wären in dieser Saison nicht die Seattle Seahawks, wenn sie es nicht auch gegen deutlich unterlegene Carolina Panthers noch spannend gemacht hätten. Die engen Siege ziehen sich wie ein roter Faden durch die Runde, doch am Ende zählen sie genauso viel wie die klaren Erfolge. Und deshalb stehen die Seahawks zwei Wochen vor Ende der Regular Season und mit zwei ausstehenden Heimspielen nun bei 11-3.
Wo sie nach getaner Arbeit noch stehen? Sicher in den Playoffs. Und auf Platz eins in der NFC West. Und auf Platz eins in der National Football Conference. Weil sowohl die Los Angeles Rams den Dallas Cowboys unterlagen als auch die San Francisco 49ers den Atlanta Falcons, hat sich Seattle nicht nur für die Postseason qualifiziert, sondern auch wieder die Spitzenposition in der Division und Conference übernommen – zumindest vorübergehend.
Nun aber der Blick auf die eigene Leistung an diesem Sonntagabend:
Positiv:
WR Josh Gordon: Endlich ließen die Seahawks den schnellen Passempfänger auf eine gegnerische Verteidigung los. Flash Gordon bedankte sich mit einem famosen Fang über 58 Yards. Es war der erste tiefe Ball auf den Neuzugang seit seiner Verpflichtung vor Week 9 – und der einzige an diesem Tag. In den ersten Spielen für Seattle fiel Gordon meist als sichere Anspielstation bei Third Downs auf, nun aber wurde er ins vertikale Passspiel eingebunden, das gegen die Panthers nach zwei Spielen Abstinenz endlich wieder zu sehen war.
Apropos vertikales Passspiel: Der tiefe Trickspielzug-Pass von Gordon in Richtung des doppelt gedeckten DK Metcalf (Interception) sah zwar spektakulär aus, war aber unnötig erzwungen und eine von mehreren – in diesem Fall buchstäblich – verpassten Chancen, das Spiel frühzeitig zu entscheiden.
Beim Comeback des Tiefpassspiels durfte natürlich auch Tyler Lockett nicht fehlen. Der Nummer-eins-Receiver profitierte von guten Spielzug-Designs sowie einem gut aufgelegten Quarterback Russell Wilson und machte aus acht Fängen bei neun Targets 120 Yards und einen Touchdown. Schienbeinverletzung und Grippe spielten keine Rolle mehr, auch wenn Lockett nach dem Spiel erzählte, er sei immer noch nicht ganz gesund.
The throw 😱
The catch 😱SPECTACULAR. pic.twitter.com/JUpkWE0dSw
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QB Russell Wilson: Der Spielmacher wirkte endlich wieder wie der MVP-Kandidat von vor Week 13 und 14. Wilson lieferte eine nahezu fehlerfreie Leistung und blieb nach vier Spielen mit Interception diesmal wieder ohne Pick. Seine Gesamt-Stats gegen Carolina: 20/26 für 286 Yards und zwei Touchdowns.
Kleines Manko: Wilson wird auch in seinem achten Jahr nicht mehr lernen, wann er aufgrund von heranstürmenden Verteidigern dringend den Ball loswerden muss und kein Risiko mehr zu Fuß gehen sollte. Das gilt besonders vor der eigenen Endzone.
RB Chris Carson: Running Back Chris Carson lief direkt im ersten Drive heiß und entblößte die schwache Laufverteidigung der Panthers mehrfach, gekrönt mit einem Touchdown-Lauf, bei dem er drei Verteidiger aussteigen ließ. Mitte des vierten Quarters legte Carson nach und stemmte sich zum zweiten Mal in die gegnerische Endzone. Unterm Strich standen bei ihm am Ende starke 24 Läufe für 133 Yards (5,5 Yards pro Lauf) und zwei Touchdowns.
Carsons Backups C.J. Prosise und Travis Homer spielten keine große Rolle. Prosise (5 Läufe, 15 Yards) fiel mit einem Fast-Fumble auf, nachdem er über seine eigenen Beine gestolpert war (wurde nach Videobeweis zurückgenommen, weil Ex-Seahawk Bruce Irvin Prosise mit einem Daumen an der Fußsohle berührt und damit „zu Boden gebracht“ hatte), Rookie Homer (2 Läufe, 7 Yards) bekam zu selten die Möglichkeit.
Immer wieder 😤. ❤️pic.twitter.com/hnd7EIQnPO
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HC Pete Carroll: Der Cheftrainer machte mit dem Erfolg gegen die Panthers den 100. Sieg als Head Coach der Seahawks perfekt. Herzlichen Glückwunsch! Die Kritik ist aus Respekt vor dieser Leistung erst weiter unten zu finden.
LB K.J. Wright: Alle drei Ballgewinne der Seahawks kamen von Linebackern. Bobby Wagner eröffnete die Interception-Serie Kyle Allens im zweiten Quarter, ehe wenig später Wright innerhalb von drei Offensiv-Snaps der Panthers im dritten Viertel zwei Pässe abfing. Credit dafür muss auch an die D-Liner gehen, die in diesen Momenten Druck auf Allen ausübten (Poona Ford und Rasheem Green primär). Cornerback Ugochukwu Amadi hätte die Serie im nächsten Drive Carolinas fortsetzen können, ließ aber einen Fehlpass von Allen fallen, weil ihm Panthers-Running Back Christian McCaffrey dazwischenfuhr.
Nachtrag: 🕷🕷 (Pick 2/2 im Video)pic.twitter.com/yyMdmI7QjS
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Neutral:
Play Calling: Die erste Halbzeit mal als Beispiel genommen: Drei hervorragende Drives resultierten in drei schönen Touchdowns. Das gab es zum ersten Mal seit Week 11 im Jahr 2015 gegen die San Francisco 49ers und zum zweiten Mal überhaupt seit Russell Wilsons Seahawks-Debüt. Warum? Viel Bewegung vor dem Snap (vor allem durch Wide Receiver Tyler Lockett), um die gegnerische Verteidigung zu beschäftigen und zu lesen, ordentliche Pass Protection, gute Designs, die Rückkehr des tiefen Passspiels und große Lücken fürs Laufspiel.
Aber dann war plötzlich die konservative Hasenfüßigkeit zurück. Wilson verschlief es, den Ball rechtzeitig loszuwerden, Running Back C.J. Prosise stolperte über seine eigenen Füße und warf den Ball weg, die vertikale Komponente wich dem Laufspiel. Das Resultat: Die Seahawks punteten zweimal (Punt, Punt, Ende der ersten Halbzeit).
Im zweiten Abschnitt ging es direkt so weiter: Punt, Interception, Field Goal. Das Team schaffte es trotz klarer Überlegenheit und großer Unterstützung der Defensive (drei Interceptions) nicht, die Partie frühzeitig für sich zu entscheiden. Und so kam es, wie es kommen musste – es wurde wieder einmal spannend.
Laufverteidigung: Dafür, dass die Offensive der Panthers extrem eindimensional war (nur Laufspiel, meist über Christian McCaffrey und nur gelegentlich über einen Receiver-Sweep), hatten die Seahawks gerade Hälfte eins noch zu häufig ihre Schwierigkeiten. McCaffrey sammelte in Massen sowohl Yards nach Kontakt als auch Yards nach dem Fang (insgesamt 19 Läufe, 87 Yards, 8 Receptions, 88 Yards).
Als kurz vor Ende Middle Linebacker Bobby Wagner den Rasen humpelnd verließ, standen in Ben Burr-Kirven und Cody Barton kurzzeitig zwei Rookie-Verteidiger im Zentrum der Defense auf dem Spielfeld. McCaffrey spazierte ohne Probleme zwischen Verteidigern hindurch zu seinem zweiten Touchdown der Partie.
K Jason Myers: DOINK! Shit happens. Abgesehen vom Pfostenschuss beim ersten PAT-Versuch war Myers sicher und verwandelte drei PATs und ein Field Goal aus 30 Yards sicher.
Negativ:
Fehlende Konsequenz: Spätestens Ende des dritten Quarters hätte die Sache erledigt sein müssen. War sie aber nicht. Wegen konservativen Punt- und Kick-Entscheidungen, einem misslungenen Trick Play, verschwendeten Timeouts. Es gibt wohl kein 11-3-Team, das sich so schwer tut, Gegner zu dominieren und – ja, das ist eine Floskel, aber sie passt hier am besten – den Sack zuzumachen. Das mag Meckern auf hohem Niveau sein, denn die Playoffs sind so gut wie sicher. Aber ein, zwei Herzkasper hätten die Seahawks den 12s doch ersparen können.
Zum Beispiel an diesem Sonntag: Seattle hatte eine klare 30:10-Führung mit etwas mehr als sieben Minuten noch auf der Uhr. Vier Minuten später stand’s plötzlich 30:24 und das Herzrasen beginnt erneut.
Passverteidigung: Die Passverteidigung war an diesem Sonntag bis kurz vor Schluss überhaupt nicht gefragt, weil Carolina seinen Quarterback Kyle Allen und seine mehrfach zur schau gestellten Eierbälle so gut wie möglich aus dem Spiel hielt, um Ballverluste zu vermeiden. Als dann aber Bobby Wagner verletzt vom Feld musste und die Defensive zeitweise mit sechs Ersatzspielern auflief, brannte es lichterloh in der Secondary. Weil Defensive Coordinator Ken Norton in diesem Moment die weichste Deckung überhaupt spielen ließ, wirkte Allen auf einmal wie Patrick Mahomes von den Kansas City Chiefs, der mit wenigen Pässen (oder einem einzigen langen) das Feld überbrückt. Fünf Pässe (22, 22, 17, 18 und 5 Yards) später waren die Panthers auf sechs Punkte dran.
Dass die Aufholjagd am Ende nicht gelang, lag an Russell Wilson, Chris Carson und Tyler Lockett, die mit mehreren wichtigen Plays die Uhr herunterspielten und sich dabei selbst von zwei Holding-Strafen (Left Tackle Duane Brown, Right Guard D.J. Fluker) nicht stoppen ließen.
HC Pete Carroll: Der Cheftrainer wird hier nochmals gesondert erwähnt, weil einige Entscheidungen Fragen aufwarfen. Warum entschied der Head Coach bei 4th & 1 an der gegnerischen 12 im dritten Quarter nicht auf den Conversion-Versuch? Er wird ja wohl gewusst haben, dass ein Field Goal aus dem Two-Score Game im Gegensatz zu einem möglichen Touchdown kein Three-Score Game (Vorentscheidung!) machen würde. Selbst wenn er es zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste, spätestens nach der Auszeit hätte er es sich ausgerechnet haben können. Aber nein. Carroll entschied auf Field Goal.
Die Krönung aber: Nach dem Spiel erzählte der Trainer bei der Pressekonferenz, es gebe keinen schöneren Spielzug als einen Touchdown-Lauf von Chris Carson bei 4th &1, der zum 30:17 führte. Ist das noch Trolling oder schon verbale Gewalt?
Verletzungen:
Die Seahawks mussten auf mehrere Starter verzichten: die Defensive Ends Jadeveon Clowney (Rumpf/Grippe) und Ezekiel Ansah (Nacken), Cornerback Shaquill Griffin, Linebacker Mychal Kendricks und Tight End Luke Willson (alle Oberschenkel). Als Edge Rusher spielten daher Quinton Jefferson und Rasheem Green von Beginn an, als Cornerback ersetzte Akeem King den 2019 so starken Griffin. Linebacker Cody Barton übernahm die Kendricks-Rolle.
Im Spiel verletzten sich Linebacker Bobby Wagner und Free Safety Quandre Diggs beide am Sprunggelenk und kehrten nicht zurück.
Head Coach Pete Carroll zu den Verletzten:
– LB Bobby Wagner: Sprunggelenk überdehnt, wohl nicht dramatisch
– FS Quandre Diggs: Sprunggelenk überdehnt, ernster als Wagner (in medizinischem Laufschuh nach Spielende)
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Fazit:
Der Sieg der Seattle Seahawks über die Carolina Panthers war zu keinem Zeitpunkt ernsthaft in Gefahr – das ist erfreulich. Dennoch war auf der Anzeigetafel die Dominanz nicht zu erkennen, die auf dem Rasen lange Zeit zu sehen war. Die Schlussphase wurde spannender, als sie es hätte sein müssen.
Doch am Ende zählt nur der Sieg. Auswärts geht es in der National Football League nicht darum, zu glänzen, sondern zu bestehen. Das haben die Seahawks erneut geschafft. Nach der Auswärtsniederlage bei den Los Angeles Rams am vergangenen Sonntag beendeten die Seahawks ihre Regular Season in der Fremde nun mit einem Erfolgserlebnis. Die abschließende Bilanz in gegnerischen Stadien: 7-1. Das ist ein neuer Franchise-Rekord (zuvor 2013: 6-2).
In Week 16 geht’s im CenturyLink Field gegen die Arizona Cardinals, bevor die San Francisco 49ers zum Abschluss der regulären Runde im Pacific Northwest zu Gast sind. Seattle tut gut daran, sich weiter auf die eigenen Spiele zu konzentrieren. Dennoch der Hinweis: Gewinnen die Seahawks gegen die Arizona Cardinals während die 49ers bei den Rams verlieren, spielt wohl Week 17 keine Rolle mehr für den Ausgang der NFC West. Platz eins in der Division wäre Seattle dann auch bei einer Niederlage zum Ende der Regular Season sicher. [UPDATE: Das ist leider nicht korrekt. Die Playoff-Vorhersagen von ESPN und New York Times kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen, weil die von ESPN bei der Berücksichtigung der Siegstärke einen Bug hat. Offenbar reicht das eben beschriebene Szenario nur mit geringer Wahrscheinlichkeit für den Division-Titel. Hier eine detaillierte Einschätzung dazu.] Platz eins in der Conference behalten die Seahawks unabhängig von Sieg oder Niederlage der New Orleans Saints am Dienstagmorgen gegen die Indianapolis Colts, weil sie in beiden Fällen die komplizierten Tiebreaker auf ihrer Seite haben.
Am Ende gilt aber grundsätzlich: Zwei Siege und die Seahawks stehen auf Platz eins oder zwei in der NFC. Das muss das Ziel sein.