Nach dem Ausscheiden der Seattle Seahawks und noch vor Super Bowl LIV wollen wir in die Offseason starten und voraus schauen. Das Front Office muss in den kommenden Wochen und Monaten wichtige Entscheidungen treffen, um in der Saison 2020 ein konkurrenzfähiges Team aufs Spielfeld stellen zu können. Der Überblick inklusive Ausblick.
Free Agents
Der Begriff ist in Unrestricted, Restricted und Exclusive Rights Free Agents unterteilt. Unrestricted Free Agents (UFA) können ohne Einschränkungen mit anderen Teams verhandeln. Spieler, die den Status Restricted Free Agents (RFA) haben, können ebenfalls mit anderen Teams verhandeln. Sollte ein RFA sich mit einem neuen Team geeinigt haben, hat das bisherige Team aber ebenfalls die Chance, ein Angebot zu machen, in dem es dem RFA den gleichen Vertrag, zu den gleichen Konditionen anbietet. In diesem Fall ist der Spieler dazu verpflichtet, das Angebot von seinem bisherigen Team anzunehmen. Ist das Angebot vom bisherigen nicht gleich gut wie das des neuen, erhält das bisherige Team vom neuen Team des Spielers einen Draft Pick. Die Höhe des Draft Picks wird im Vorfeld der Free-Agency-Phase vom bisherigen Team festgelegt. Exclusive Rights Free Agents (ERFA) sind Spieler, an denen eine Franchise besondere Rechte besitzt. Diesen kann das Team daher einen Vertrag zu Minimalkonditionen anbieten, um sie zu binden.
Verletzungen
- TE Will Dissly: Zum zweiten Mal in zwei Jahren befindet sich der Tight End zu Beginn der Offseason in der Reha. In sechs Spielen sammelte Dissly in der abgelaufenen Saison 262 Receiving-Yards und vier Touchdowns, ehe ein Achillessehnenriss Mitte Oktober brutal seine zweite NFL-Spielzeit beendete. 2019 überraschte Dissly, als er von einem Patellasehnenriss schneller zurückkehrte als erwartet. 2020 scheint eine Rückkehr rechtzeitig zum Training Camp erneut möglich.
- DE Jadeveon Clowney: Der Defensive End wird sich in den kommenden Tagen laut Pete Carroll einer Operation an der Rumpfmuskulatur unterziehen. Danach soll die Verletzung innerhalb von ein paar Wochen ausheilen. Ob Clowney dann jedoch nach Seattle zurückkehrt ist von anderen Faktoren wie Gehalt und Titelchancen abhängig, denn er wird Mitte März Free Agent. Dass Clowney sich bis zum Beginn der Free Agency um seine Gesundheit kümmert und nicht um einen neuen Vertrag, gilt als wahrscheinlich. Sobald er dann den Markt austesten und seinen Preis bestimmen kann, wird es auch für Seahawks-Fans spannend.
- RB Chris Carson: Der Nummer-eins-Running Back der Seahawks musste nicht operiert werden, nachdem er sich eine Fraktur an der Hüfte zugezogen hatte. Aktuell muss er schlicht die Füße still halten, bis die Verletzung ausgeheilt ist. Training Camp und Leistungsfähigkeit sollten hier aber keinesfalls in Gefahr sein.
- RB Rashaad Penny: Länger wird die Pause für den zweiten Running Back der Seahawks sein. Penny ist zwar dem Zeitplan nach erfolgreicher Knie-Rekonstruktion voraus, doch es stehen ihm noch harte sechs bis sieben Monate bevor, die aktuell keine Prognose zulassen.
- C Justin Britt: Der Center der Seahawks befindet sich wie Penny aktuell in der Reha und absolviert Teile davon auf dem Trainingsgelände in Renton. Verbunden mit der Frage nach vollständiger Ausheilung des Kreuzbandrisses (passiert Ende Oktober) ist bei ihm die Frage, ob er 2020 noch das Trikot der Seahawks tragen wird. Das Team kann durch einen Cut viel Geld einsparen. Sollte er bleiben, steht einer vollständigen Vorbereitung jedoch nichts im Weg.
- Weitere Verletzte (ohne Anspruch auf Vollständigkeit): DE Quinton Jefferson brach sich in der Divisional Round den Fuß (Jones-Fraktur) und muss operiert werden. RB C.J. Prosise erholt sich aktuell von einer Armfraktur. LB Mychal Kendricks befindet sich nach einem Kreuzbandriss Ende Dezember ebenfalls in der Reha. LG Mike Iupati wird wie DE Ezekiel Ansah Free Agent, doch beide müssen sich zunächst von einem Stinger erholen, ehe sie für Teams in Frage kommen. C Joey Hunt spielte im Dezember und Januar trotz einer Stressfraktur im Wadenbein, die aber recht zügig ausheilen sollte. LB Bobby Wagner weiß noch nicht, ob er am Pro Bowl teilnehmen wird, weil bei einer Untersuchung am Montag ein paar kleinere Verletzungen festgestellt wurden, um die er sich erst kümmern will. [Update: Wagner sagte seine Teilnahme ab.]
Coaching Staff
Es gebe nichts, worüber man sprechen könne, sagte Head Coach Pete Carroll bei seiner Saisonabschluss-Pressekonferenz, als er zu Veränderungen im Trainerstab befragt wurde. Diese Aussage schließt nun gewiss nichts aus, deutet aber auch nicht wirklich auf krasse Veränderungen hin. Grundsätzlich sind die nach einer 11-5-Saison mit Divisional-Round-Ausscheiden mit stark verletzungsgeschwächtem Kader auch nicht zwingend erforderlich.
Doch nähert man sich der Personalfrage im Trainerstab mal von einer anderen Seite – bezogen auf die Evolution von American Football in der NFL und bezogen auf die Entwicklungstrends im Team – dann könnte man zu dem Schluss kommen, dass frischen Ideen nicht unbedingt eine schlechte Idee wären.
Was fest steht: Pete Carroll wird die Seahawks zumindest zu diesem Zeitpunkt nicht von alleine verlassen. Er hat Seattle in zehn Jahren acht mal in die Playoffs geführt, 100 Spiele in der Regular Season gewonnen, zehn in den Playoffs, eines davon Super Bowl XLVIII. Welchen Grund hätte er, einen Schlussstrich zu ziehen? Was auch klar ist: Solange Carroll die Philosophie (physisches Laufspiel und dominante Defensive) für das Team vorgibt, werden Veränderungen auf den Koordinator-Positionen nur bedingt Effekte erzielen.
Offensive Coordinator Brian Schottenheimer ist sicher mit dafür verantwortlich, dass das Team in den Playoffs nicht über die Divisional Round hinaus kam. Dass der nicht mehr zeitgemäße Ansatz vom dominanten Laufspiel noch funktionieren kann, bewiesen die Seahawks 2019 mehrfach. Dass er ohne gesunde Running Backs auf Top-Niveau und ohne ordentliche O-Line aber der absolut falsche Weg ist, zeigte Seattle gerade in den Playoffs im Januar 2020 deutlich. Man wird aber den Eindruck nicht los, dass hier ein eher auf die Defensive spezialisierter Cheftrainer großen Einfluss nimmt auf die Offensive der Seahawks und mit seinem Offensive Coordinator deshalb zufrieden ist. Schottenheimer und Carroll werden wohl in dieser Konstellation zusammenbleiben.
Auf der anderen Seite des Balles ist das Problem größer. Defensive Coordinator Ken Norton Jr. coachte 2019 eine der schwächsten Verteidigungen der Liga, machte sie zu einer leicht attackierbaren Einheit und brachte damit die komplette Philosophie gewaltig ins Wanken. Natürlich hat Carroll auch hier seinen Einfluss. Seine Begeisterung für die starre Base-Formation mit drei Linebackern war unverkennbar (und vielleicht der Tatsache geschuldet, dass die Trainer keiner der Alternativen auf Nickel-Cornerback wirklich vertrauten), aber nicht der einzige Grund für das schwache Abschneiden. Eine Defense, die in vielen Kategorien zum Bodensatz der Liga gehörte, zu unkonstant spielte, in den letzten vier Partien der Saison keinen einzigen Ballgewinn erzielte und bei 3rd & Long zuletzt ganz schlecht verteidigte, ist leichter mit einem Koordinatoren-Wechsel zu verbessern als eine Offensive, die das Spiel ja eigentlich wunderbar beherrscht, wenn Quarterback und Offensive Coordinator ihr Ding machen dürfen und alle wichtigen Akteure gesund sind. Denn bei Letzterem geht’s um eine Idee des Cheftrainers, die ohne seinen Weggang wohl nicht verschwinden wird. Der Defense fehlt es dagegen neben einer fortschrittlicheren Spielidee schlicht am nötigen Leistungsniveau des Personals und einer Taktik, die diesem angepasst ist.
Vor der Saison 2019 hatte es auf den angesprochenen Positionen keine Veränderungen gegeben. Nur bei den Fitnesstrainern erfolgten personelle Wechsel. Ivan Lewis, ein alter Bekannter von Carroll, übernahm die Position des Strength and Conditioning Coach. Er wurde im Dezember für schlechte Verletzungsprophylaxe bei den Seahawks kritisiert, die ihm auch schon andernorts vorgeworfen worden war.
Es ist gut möglich, dass auch 2020 die Veränderungen nur minimal sind.
Analyse
Rund um den Super Bowl LIV beschäftigt sich die Redaktion detailliert mit ein paar Themen, die bei den Seahawks in der abgelaufenen Saison für Gesprächsstoff sorgten. Hier der Überblick:
- Saison 2019: Quarterback Russell Wilson
- Saison 2019: Rookies
- Saison 2019: Trainerfrage (Podcast)
- Saison 2019: Videoanalyse Offense
- Saison 2019: Videoanalyse Defense
- Saison 2019: Defensiv-Schwachstellen
- Saison 2019: Abschluss-Kolumne
- Saison 2020: Opfer der Gehaltsobergrenze
Zitate
Einige ältere Trainer und Spieler sprachen nach der Niederlage gegen die Green Bay Packers in der Divisional Round der Playoffs von einer ähnlichen Situation wie nach der Saison 2012, als die Seahawks ebenfalls in der Divisional Round (damals bei den Atlanta Falcons) knapp gescheitert waren. Für sie war das der Zeitpunkt, an dem der Anlauf zum Super-Bowl-Titel begann. Natürlich ist es schwer, das Team von damals (die goldene Generation) mit dem Team von heute zu vergleichen. Dennoch steckt so viel Potenzial in der Mannschaft, dass sie auch im September 2020 wieder zumindest zum erweiterten Favoritenkreis gezählt werden muss.
QB Russell Wilson: „Ich denke, wir können etwas erreichen, das noch nicht so viele Menschen erreicht haben. Da möchte ich hinkommen. Das können wir glaube ich erreichen und das müssen wir denke ich anstreben. Es wäre eine Schande, wenn wir das nicht anstreben. Wir müssen sicherstellen, dass wir die Sache so angehen. Das ist heute meine Denkweise.“
LB Bobby Wagner: „Ich denke, alle Spieler müssen mit einem gewissen Groll in die Offseason gehen. Diese Niederlage muss noch eine Weile wehtun, sie darf nicht wie jede andere Niederlage abgehakt werden. Es muss uns die ganze Offseason lang ärgern, dass wir ein drittes Spiel gegen die 49ers so knapp verpasst haben. Wir müssen alle in den Spiegel schauen und uns fragen, was wir – auch ich – an unserem Spiel verbessern können, bevor wir zurückkommen. Daran müssen wir unnachgiebig arbeiten und dann besser zurückkehren als in dieser abgelaufenen Saison.“
WR Tyler Lockett: „Uns sind keine Grenzen gesetzt. Ich glaube wirklich, dass viele junge Spieler jetzt erste Erfahrungen gesammelt haben und deshalb noch besser sein können jetzt. Weil sie verstehen wie es ist, in der NFL zu sein. Weil sie jetzt eine Saison geschafft haben. Und so können sie im neuen Jahr zurückkehren und noch mehr erreichen als das, was wir von ihnen erwarten.“
NFL Draft 2020
Nach dem Ausscheiden in der Divisional Round steht fest, dass die Seahawks im NFL Draft 2020 an 27. Stelle picken werden – vorausgesetzt sie traden nicht wie so oft nach unten, sodass viele 12s sich die erste Nacht der Talentauswahl umsonst um die Ohren schlagen.
Insgesamt stehen Seattle regulär fünf Picks zur Verfügung:
- 1. Runde, #27: Seattle
- 2. Runde, #59: Seattle
- 2. Runde, #64: von Kansas City
- 4. Runde, #133: Seattle
- 5. Runde, #162: von Pittsburgh
Hinzu kommen nach aktuellem Stand basierend auf der Cancellation Chart von Over The Cap (letzte Aktualisierung unbekannt) drei Compensatory Picks:
- 3. Runde, #101: FS Earl Thomas
- 4. Runde, #144: CB Justin Coleman
- 6. Runde, #214: DT Shamar Stephen
QB Brett Hundley und LG J.R. Sweezy werden als gegen die Formel zählende Abgänge von den Zugängen K Jason Myers und LG Mike Iupati eliminiert.
Saison 2020
Werfen wir nun einen Blick nach vorne. Dies sind die Gegner in der kommenden Spielzeit:
Zu Hause im CenturyLink Field werden die Seahawks die Dallas Cowboys, New York Giants, New England Patriots*, New York Jets, Minnesota Vikings* und die Rivalen aus der NFC West empfangen. Vor allem das Duell mit den Patriots (mit oder ohne Quarterback Tom Brady) und das Heimspiel gegen die 2019 erstarkten San Francisco 49ers* sind mit Spannung zu erwarten.
Auswärts muss Seattle 2020 bei den Washington Redskins, Philadelphia Eagles*, Atlanta Falcons, Miami Dolphins, Buffalo Bills* und in den Stadien der NFC West (bei den Los Angeles Rams, Arizona Cardinals, San Francisco 49ers*) ran. Nach Florida müssen die Seahawks dabei zum ersten Mal seit 2012, nach Buffalo zum ersten Mal seit 2008 (das letzte Auswärtsspiel bei den Bills fand 2012 in Toronto statt).
Der final terminierte Spielplan wird wie jedes Jahr Mitte April veröffentlicht und dann zeitnah auch hier auf der Website veröffentlicht.
*Playoff-Teams 2019
Zeitplan
Abschließend hier noch ein Plan mit allen wichtigen Daten der Saison 2020:
- 24. Februar-2. März 2020: NFL Scouting Combine in Indianapolis, Indiana
- 25. Februar-10. März 2020: Franchise-Tag-Phase
- 16.-18. März 2020: Verhandlungen mit Unrestricted Free Agents
- 18. März 2020: Alle Verträge laufen aus; Free Agency, Trade-Phase und das neue Liga-Jahr beginnen um 21 Uhr deutscher Zeit
- 29. März-1. April 2020: Treffen der 32 Owner in Palm Beach, Florida
- Mitte April 2020: Bekanntgabe Spielplan
- 20. April 2020: Beginn der Offseason-Trainingsaktivitäten
- 23.-25. April 2020: NFL Draft in Las Vegas, Nevada
- April-Mai 2020: Organized Team Activities (OTAs, freiwilliges von den Klubs organisiertes Training; einige Seahawks-Spieler gehen auf Initiative von Russell Wilson oft gemeinsam eigenständig in ein privates Trainingslager)
- Juli/August 2020: Training Camp
- 6. August 2020: Auftakt der Preseason mit dem Hall of Fame Game
- 5. September 2020: Finale Roster Cuts auf 53 Spieler bis 22 Uhr deutscher Zeit
- 6. September 2020: Ernennung Practice Squad (10 Spieler)
- 10. September 2020: Auftakt der Regular Season
- 9. Januar 2021: Auftakt der Playoffs
- 7. Februar 2021: Super Bowl LV im Raymond James Stadium, Tampa, Florida
Einen detaillierten Zeitplan in englischer Sprache gibt’s hier.