Pete Carroll und John Schneider – die Architekten des Erfolgs. (Foto: imago)
Das goldene Seahawks-Jahrzehnt: Von der grauen Liga-Maus zum Super-Bowl-Champion
2020 feiert die NFL ihren 100. Geburtstag und geht (wenn es die Covid-19-Pandemie zulässt) im September in ihre 101. Saison. Seit einem Jahrhundert leben die Liga und Teams wie die Seattle Seahawks von außergewöhnlichen Charakteren, legendären Spielen und von Zahlen, Zahlen, Zahlen. Die große weite American-Football-Welt rund um die 32 Mannschaften ist für Statistikfans ein echtes El Dorado. Und anhand eben jener Daten können Experten heute nicht nur jeden Spielzug bis hin zur simpelsten Blocking-Aufgabe sezieren, sondern auch das Jubiläums-Jahrzehnt bis ins letzte Detail rekapitulieren. Dass die dabei entstehenden Ranglisten und Analysen weltweit bei Footballbegeisterten nicht immer großen Anklang finden, ist ganz normal. Kein Wunder also, dass auch über die neueste Veröffentlichung von Pro Football Focus (PFF) kontrovers und teilweise hitzig diskutiert wird.
In der „PFF All-Decade Top 101″ wurden jetzt – wie der Name schon verrät – die 101 besten Spieler der 2010er Jahre aufgelistet, darunter aktuelle und zukünftige Hall of Famer wie Troy Polamalu, Tom Brady oder Luke Kuechly. Auf den ersten Blick unterstreicht die Liste ohne Frage die individuelle Klasse dieser Athleten. Auf den zweiten zeigt sie aber auch, welche Teams die Saisons 2010 bis 2019 geprägt haben. So stehen drei Franchises mit jeweils sieben selbst gepickten Spielern (gedraftet und ungedraftet) zusammen an der Spitze der Liste: die Pittsburgh Steelers, die Kansas City Chiefs und die Seattle Seahawks. Ein Trio, das in dieser Zeitspanne mindestens einmal im Super Bowl stand und dort mehr oder weniger erfolgreich war…
The 101 best players in the NFL over the past decade ⬇️ @PFF_Sam:https://t.co/bJwHn9uiFT
— PFF (@PFF) May 14, 2020
Pete Carroll und John Schneider: Die Architekten der goldenen Seahawks-Ära
Gerade im Pacific Northwest dürfte die neue PFF-Liste bei den Fans der Seahawks rückblickend vor Freude für feuchte Augen sorgen. Denn bis 2010 war man trotz eines ersten Super-Bowl-Auftritts (Saison 2005) und neun Playoff-Teilnahmen seit der Teamgründung 1976 eher NFL-Mittelmaß gewöhnt. Mit einer Pressekonferenz am 11. Januar 2010 änderte sich das aber nachhaltig. An diesem Tag wurde in Seattle ein neuer Head Coach vorgestellt. Sein Name: Pete Carroll.
Der Plan von Seahawks-Eigentümer Paul Allen war, dass Carroll den gleichen sportlichen Erfolg in die Emerald City bringen sollte, wie er ihn zuvor acht Jahre an der University of Southern California (USC) und die Trojans 2003* und 2004 als Cheftrainer zu den ersten nationalen College-Meisterschaften seit 1978 geführt hatte. Dafür stattete der Milliardär seinen neuen Hauptübungsleiter mit weitreichenden Kompetenzen aus. Bis heute ist Pete Carroll auch „Executive Vice President of Football Operations“ und damit eigentlich auch so etwas wie ein General Manager. Doch genau diesen Posten besetzte Carroll nach Dienstantritt als einen der ersten neu – mit John Schneider. Zusammen machten sich die beiden neuen Verantwortlichen sofort ans Werk, den Kader nach ihren Wünschen umzubauen. Alleine in der Saison 2010 waren sie für den Draft, die Vertragsunterschriften oder Entlassungen von rekordverdächtigen 284 Spielern verantwortlich!
Gerade bei der Talentauswahl zeigte sich in den ersten Jahren der Zusammenarbeit dank relativ ungewöhnlichen Strategien und Entscheidungen, die bei so manchem Fan bis heute immer wieder für ungläubiges Kopfschütteln sorgen, welch goldenes Näschen Carroll und Schneider oft haben. Kein anderes NFL-Teams schaffte es mit so vielen selbst gedrafteten Spielern in die PFF-Rangliste wie die Seahawks:
„Always Open“ und nie den Mund zu: Von ungedrafteten Rookies zu jahrelangen Leisungsträgern
Platz 77 – Doug Baldwin, Wide Receiver (Stanford, 2011 ungedraftet)
Wenn für Russell Wilson nichts mehr ging, dann wurde Doug Baldwin seinem Spitznamen gerecht. Schließlich war er „Always Open“, immer anspielbar. Mit nur 1,78 Meter Körpergröße ist Baldwin alles andere als der Prototyp eines NFL-Passempfängers. So wurde er 2011 in keiner der sieben Draft-Runden ausgewählt, obwohl er in seinem letzten Jahr in Stanford der beste Receiver im Team des späteren San-Francisco-49ers-Cheftrainers Jim Harbaugh gewesen war. Einen Tatsache, die für „Angry Doug“ nur Antrieb war und schließlich wie für alle Seahawks-Spieler auf dieser Liste im Gewinn von Super Bowl 48 gipfelte. Baldwin wurde dazu zweimal in den Pro Bowl (2016 und 2017) gewählt. 2015 fingen nur zwei Wide Receiver in der ganzen Liga so viele Touchdowns (14) wie er. Vor der Saison 2019 musste der Stanford-Absolvent seine Karriere leider, wie auch Kollege Kam Chancellor ein Jahr zuvor, verletzungsbedingt beenden. Trotzdem fing Baldwin in acht NFL-Jahren 492 Pässe für 6.563 Yards Raumgewinn und 49 Touchdowns. PFF bewertete ihn in dieser Zeit nie unter einer Offensiv-Gesamtnote von 70 (von 100 möglichen Punkten).
.@DangeRussWilson..UNBELIEVABLE!! #GoHawks pic.twitter.com/kJWus06TBt
— Seattle Seahawks (@Seahawks) November 10, 2017
Platz 74 – Michael Bennett, Defensive End (Texas A&M, 2009 ungedraftet)
Der extrovertierte Bennett ist der einzige Spieler in dieser Liste, der vor der Ankunft von Pete Carroll und John Schneider nach Seattle kam. Am 10. Oktober 2009 wurde er allerdings von den Seahawks entlassen, ohne auch nur einen Snap in der Regular Season gespielt zu haben. Vier Jahre später kehrte er dann aber als gestandener Free Agent von den Tampa Bay Buccaneers zurück nach Seattle. Zusammen mit dem ebenfalls neu verpflichteten Cliff Avril bildete Bennett von da an auf den Ecken (Edges) der Defensive Line ein dynamisches Pass-Rush-Duo. In der Super-Bowl-Saison 2013 sammelte Bennett, dessen Abgang aus der Emerald City 2017 wie der von Richard Sherman und Earl Thomas eher unrühmlich war, 8,5 Sacks. Im Duell gegen gegnerische Offensive Linemen profitierte der Mann mit den Mini-Schulterpolstern bei der Quarterback-Jagd immer wieder von seiner Schnelligkeit und Versatilität. Zum Vergleich: Laut PFF haben im vergangenen Jahrzehnt nur Cameron Wake (635) und Von Miller (686) mehr Druck (Hits, Sacks und Hurries) auf Quarterbacks gemacht als Bennett (626).
Hart, härter, „Bam Bam Kam“, die Tackling-Maschine und ein zu kleiner Quarterback ganz groß
Platz 55 – Kam Chancellor, Safety (Virgina Tech, Draft-Jahrgang 2010)
Spitznamen wie „Bam Bam Kam“ sagen schon viel darüber aus, wie Kam Chancellor zu seinen Gegenspielern war – nämlich alles andere als sanft. Seine harten, manchmal doch grenzwertigen Tacklings sorgten dafür, dass der Strong Safety, der im Körper eines Linebackers steckt, sich in der ganzen Liga Respekt verschaffte. Ähnlich wie sein großes Vorbild Sean Taylor. Um sich vor Spielen zu motivieren, sah sich Chancellor Highlights des legendären, viel zu früh verstorbenen Safetys der Washington Redskins auf YouTube an. Im Draft 2010 war er eigentlich als Drittrundentalent eingestuft, wurde am Ende von Seattle aber erst an 133. Stelle (5. Runde) und damit als zehnter Safety der Klasse gepickt.
Trotz seiner harten Hits blieb Chancellor bis zu seinem bedauernswerten Karriereende 2018 immer fair und kassierte auf dem Feld insgesamt nur 23 Flaggen (Strafen). Dazu sorgten seine Leistungen weiter dafür, dass Chancellor viermal in den Pro Bowl (2011, 2013 bis 2015) und zweimal ins Second-Team All-Pro (2013, 2014) gewählt wurde. Einzig in seiner Premierensaison 2010 und in der Spielzeit 2012 wurde der Strong Safety von PFF in der Defense mit einem Wert unter 70 (von 100 Punkten) bewertet. Seine beste Saison lieferte Kam 2013 ab, als er gerade in der Laufverteidigung (86,9) und in der Passverteidigung (89,3) Bestwerte ablieferte. In besagtem Jahr war auch für ihn der Gewinn von Super Bowl XLVIII die Krönung seiner Karriere. Im Spiel gegen die Denver Broncos gab der „Emerald City Hammer“ früh mit einem krachenden Tackling gegen Receiver Demaryius Thomas den Ton an, verzeichnete eine Interception gegen Peyton Manning und lieferte insgesamt noch neun Tackles ab. Auch deshalb erweckte Kam Chancellor zusammen mit Earl Thomas, Richard Sherman und Brandon Browner die Legende der „Legion of Boom“ zum Leben.
Platz 39 – Bobby Wagner, Linebacker (Utah State, Draft-Jahrgang 2012)
Luke Kuechly oder Bobby Wagner? Die Frage nach dem besten Middle Linebacker des letzten Jahrzehnts spaltet Experten und Fans wohl gleichermaßen. Kuechly, der seine Karriere mit nur 29 Jahren beendete, hat Seattles Nummer 54 vor allem eines voraus: 2013 wurde er zum „Defensive Player of the Year“ gewählt. Verstecken muss sich Wagner als aktuell bestbezahlter Linebacker der Liga aber auf keinen Fall. Ein kleiner Auszug aus seinem NFL-Lebenslauf: Sechsfacher Pro Bowler (2014 bis 2019), fünfmal First-Team All-Pro (2014, 2016 bis 2019), Mitglied im Team des Jahrzehnts (2010er) der NFL, zweifacher NFL-Tackling-Leader (2016, 2019) und führender Tackler der Seahawks-Historie (1.075 Tackles). Zahlen, die zeigen, was die Spezialität des gebürtigen Kaliforniers ist: gegnerische Receiver oder Running Backs zu Boden bringen. Bis auf eine Saison kam Wagner in seiner Karriere in dieser Kategorie immer eine PFF-Note von über 80/100.
Überhaupt liefert der ehemalige Zweitrundenpick in allen Bereichen der Verteidigung Konstanz auf Elite-Level ab, so wie schon am College. Alleine in seiner letzten Saison für Utah State wurde „BWagz“ in der Western Athletic Conference (WAC) als Verteidiger das Jahres ausgezeichnet und im Senior Bowl 2012 räumte er dank unglaublicher 22 Tacklings und einer Interception den MVP-Titel ab. Da war es für Pete Carroll und John Schneider keine Frage, ihn mit Kusshand im Draft als sechsten Linebacker vom Board zu holen. Sein großes Spielverständnis hat Wagner auch in der NFL zu einer echten Hausnummer in der Defense gemacht. Dort stehen für ihn bis heute 19,5 Sacks, 51 Quarterback-Hits, zwölf Interceptions, 47 abgeblockte Pässe, fünf erzwungenen Ballverluste (Fumbles) und vier Touchdowns auf der Habenseite. All das sind überragende Leistungen, die Wagner vor seinem 30. Geburtstag im Juni 2020 erreicht hat. Sein Geheimnis? Die Antwort kann wohl bald die neue Linebacker-Generation der Seahawks geben, denn denen stand Nummer 54 schon wenige Stunden nach dem Draft am Telefon als Mentor zur Seite.
Platz 33 – Russell Wilson, Quarterback (Wisconsin, Draft-Jahrgang 2012)
Was soll man an hier noch sagen? Ciara liebt Russell Wilson, Seattle liebt Russell Wilson, die German Sea Hawkers lieben Russell Wilson! Und womit? Mit Recht! Von 2008 bis 2011 war Wilson Starter am College. Erst stand er drei Jahre für North Carolina State auf dem Feld, dann in seiner letzten Saison für Wisconsin. Hier kam er mit 33 Pass-Touchdowns bis auf sechs an den Conference-Rekord von Drew Brees aus dem Jahr 1998 heran. Am Ende seiner Uni-Karriere hatte der Sohn des ehemaligen NFL-Profis Harrison Wilson (San Diego Chargers) 907 Pässe für 11.720 Yards und 109 Pass-Touchdowns bei nur 30 Interceptions und zusätzlichen 23 Lauf-Touchdowns auf dem Konto. Und trotzdem: Selbst nach einer starken Leistung im Rose Bowl 2012 (3 Touchdowns) wurde Wilson im Draft von vielen Experten und Teams größtenteils belächelt und als zu klein für die Rolle des Franchise-Quarterbacks befunden.
Doch durch sein sportliches Talent, gepaart mit einer faszinierenden Arbeitsmoral und einem unbändigen Glauben an den Sieg, spielt „RW3“ seitdem ganz groß auf. Nach acht Jahren NFL hat sich Wilson genau deshalb voll auf Hall-of-Fame-Kurs gebracht. So hält der siebenfache Pro Bowler (2012 bis 2015, 2017 bis 2019) neben einem Super-Bowl-Ring mittlerweile alle Quarterback-Rekorde der Seattle Seahawks. Das Resultat bis zum Saisonende 2019: 29.734 Pass-Yards, 227 Touchdowns und das Stand jetzt zweitbeste Karriere-Passer-Rating (101,2) der NFL-Geschichte. In der abgelaufenen und mit einer PFF-Note von 92/100 statistisch besten Saison seiner Karriere knackte Wilson die Marke von 86 Siegen in der Regular Season. Nur Tom Brady schaffte das seit der Ligagründung 1920 in den ersten acht Jahren seiner Karriere.
Bonus-Fakt: In jeder dieser acht Spielzeiten hat Wilson mehr Spiele gewonnen als verloren. Und in den Playoffs, die Seattle mit Wilson nur einmal verpasste (2017)? Auch hier hat Seattles Nummer 3 bewiesen, dass er Nerven aus Stahl hat, wenn es auf dem Feld wirklich darauf ankommt. Seit seiner Rookie-Saison 2012 hat Wilson neun Siege in der Postseason eingefahren. Besser war hier nur Tom Brady mit 16 (Super Bowls jeweils ausgeschlossen). Was für ein Franchise-Quarterback da im Draft schlummerte, wussten Head Coach Pete Carroll und General Manager John Schneider vor acht Jahren offenbar ganz genau. Entsprechend lang kam ihnen die Wartezeit am zweiten Tag der Talentauswahl damals vor, bevor sie in der 3. Runde an 75. Stelle endlich zuschlagen durften:
Der Alptraum von Michael Crabtree, der Duracell-Hase der Defense und ein Biest mit Ball
Platz 20 – Earl Thomas, Safety (Texas, Draft-Jahrgang 2010)
Nur ein Spieler (Russell Okung, 2010, 1. Runde, Pick #6) wurde in der Amtszeit von Pete Carroll und John Schneider im Draft früher gezogen als Earl Thomas. Nach seiner letzten College-Saison mit acht Interceptions und zwei Pick Sixes wurde Thomas 2010 in der 1. Runde vom Board genommen – an 14. Stelle und damit als zweiter Safety. Zehn Jahre später zeigt sich jetzt, warum die beiden Verantwortlichen bei den Seahawks und ihre Scouts mit dieser Entscheidung nicht falsch langen – zumindest sportlich. Wie Russell Wilson ist Thomas siebenfacher Pro Bowler (sechs als Seahawk, einer als Baltimore Raven). Dazu wurde der Free Safety dreimal ins First-Team All-Pro gewählt (2012 bis 2014) und 2019 gemeinsam mit Bobby Wagner, Marshawn Lynch und Richard Sherman als vierter Seahawk ins NFL-Team des Jahrzehnts gewählt.
Der Grund: Kaum ein Spieler deckt als Verteidiger das Spielfeld in der Tiefe mit seiner Geschwindigkeit und seiner unermüdlichen Ausdauer so gut ab wie Earl Thomas. Rein von den Zahlen her stehen für ihn bis heute 30 Interceptions, zwei Touchdowns, 72 abgewehrte Pässe, elf erzwungene Ballverluste (Fumbles) und 687 Tackles zu Buche. Doch es sind nicht die einfachen Zahlen, die ihn so wertvoll machen. Es ist der schiere Respekt vieler Quarterbacks, wenn Thomas im Backfield auf Patrouille geht und Passwege verbarrikadiert. Drei Saisons mit einer Defense-Gesamtnote über 90,0 (2018: 91,3) sorgten dafür, dass PFF Thomas als zweitbesten Seahawk des 2010er-Jahrzehnts einstufte.
Platz 4 – Richard Sherman, Cornerback (Stanford, Draft-Jahrgang 2011)
Tom Brady, Aaron Donald, Drew Brees und dann schon Richard Sherman. In dieser Reihenfolge stehen die besten vier Spieler in der „PFF All-Decade Top 101″, was den Lautsprecher aus Compton wohl alles andere als sauer machen dürfte. Sherman sah es immer als persönliche Beleidigung seines Könnens an, dass ihn erst die Seahawks 2011 in der 5. Runde an 154. Stelle und damit als nur 24. Cornerback der Draft-Klasse pickten. Mit diesen Gefühlen im Hinterkopf agierte er in seiner Karriere immer nach dem Motto: „Is it bragging if you back it up?“ („Ist es Angeberei, wenn man seine Worte mit Taten untermauert?“) Sherman redete – und lieferte. Seine 35 Interceptions, die dreimal mit einem Pick Six endeten, sind in den 2010er Jahren in der NFL unerreicht. 2013, im Jahr des Super-Bowl-Titels, hatte in der NFL kein Spieler mehr Interceptions (8) als Sherman. Doch nicht nur hier, auch in einigen anderen Kategorien ist der legitime Nachfolger (zumindest in Sachen Ego) von Deion „Prime Time“ Sanders auf der Position des Cornerbacks Spitze. So konnten seit 2010 nur zwei Passverteidiger mehr als die Hälfte der Pässe abwehren, die in ihre Richtung geworfen wurden. Bei Darrelle Revis und Sherman konnten gegnerische Quarterbacks nur 49,8 bzw. 49,6 Prozent ihrer Würfe anbringen. Bis heute finden sich ausreichend Argumente für beide Spieler, die das Fernduell des Insel-Cornerbacks Revis gegen den Stammseite-Cornerback Sherman zu einem auf Ewigkeiten unentschiedenen Zweikampf machen.
Der Alptraum von 49ers-Wide-Receiver Michael Crabtree ließ in seiner Karriere das niedrigste Passer Rating (54,0) zu, wenn sein direkter Gegenspieler anvisiert wurde. Insgesamt wehrte der fünffache Pro Bowler (2013 bis 2016, 2019) für die Seahawks und seit zwei Jahren für Seattles Rivalen aus San Francisco 114 Pässe ab. Der Lohn: Wie Wagner, Lynch und Thomas wurde er 2019 ins NFL-Team des Jahrzehnts gewählt und dreimal als First-Team All-Pro (2012 bis 2014) ausgezeichnet.
"WHEN YOU TRY ME WITH A SORRY RECEIVER LIKE CRABTREE, THAT'S THE RESULT YOU GONNA GET!"
Six years ago today, Richard Sherman let Michael Crabtree know he was not the one to be tested 🙅♂️
(via @nflthrowback) pic.twitter.com/aayVtyLP0b
— NFL on ESPN (@ESPNNFL) January 19, 2020
Neben den aufgelisteten sieben Spielern schafften es mit Tackle Duane Brown (Platz 58, 2008 von den Houston Texans gedraftet) und Tight End Greg Olsen (Platz 81, 2007 von den Chicago Bears gedraftet) zwei weitere aktuelle Seahawks ins Ranking.
Zum Abschluss der Serie muss ein Sonderfall aus der Liste von PFF erlaubt sein:
Platz 29 – Marshawn Lynch, Running Back (California, Draft-Jahrgang 2007)
Ja, schon klar. Erstens wurde Lynch nicht von den Seahawks, sondern von den Buffalo Bills gedraftet. Und zweitens geschah das bereits im vorletzten Jahrzehnt. Doch wenn der sonst sehr wortkarge „Beast Mode“ ausnahmsweise mal aus dem Nähkästchen plaudert, dann lässt er vor allem eines durchblicken. Die Tatsache, dass er sich in zwei US-Städten ganz besonders wohl fühlt: in seiner Heimat Oakland und eben in Seattle. So sagte Lynch 2019 fast ohne zu zögern „Ja“ zu einem Comeback, als in seiner sportlichen Heimat die Running Backs verletzungsbedingt wie die Fliegen fielen. Dass Pete Carroll und John Schneider ihn 2010 als einen der ersten Spieler ihrer Amtszeit in die Emerald City holten, hat Lynch nie vergessen. Dank der stark auf das Laufspiel ausgelegten Offensiv-Strategie der Seahawks konnte er gerade hier seine Qualitäten als Tackle-Brecher und Durch-Gegenspieler-hindurch-Renner bestens ausspielen. So erlief er in seiner Karriere nicht nur 10.413 Yards (Rang 29 in der NFL-Geschichte), sondern ließ gleich in seiner ersten Saison in Seattle das heutige CenturyLink Field mit dem legendären „Beastquake“ erbeben.
The most Beast Mode run of Marshawn Lynch’s career will never get old. pic.twitter.com/PNTT4K0KGy
— Field Yates (@FieldYates) April 24, 2019
Und für genau diese Läufe verehren die 12s ihre Nummer 24 so, wie sie es eigentlich nur mit ihren vier Hall of Famern (Steve Largent, Kenny Easley, Cortez Kennedy und Walter Jones) und Quarterback Russell Wilson tun. Der Liebesbeweis der Fans für Lynchs Leistungen ist der obligatorische Skittles-Regen nach Touchdowns. Insgesamt 68 Mal lief er in den 2010er Jahren in der Regular Season in die Endzone. 2013 und 2014 gelangen keinem Running Back in der NFL so viele Touchdowns (12, 13) wie dem fünffachen Pro Bowler. Laut PFF lief kein Läufer im vergangenen Jahrzehnt härter als Lynch. So brach er zwischen 2010 und 2019 in allen Spielen (Playoffs und Super Bowls inklusive) für die Oakland Raiders und die Seahawks überragende 538 Tackles. Und das muss noch nicht das Ende der Karriere-Fahnenstange für „Beast Mode“ gewesen sein. Denn dass er für die Seahawks in der Saison 2020 noch einmal den Helm mit dem pechschwarzen Visier aufsetzt, ist aktuell wegen den schweren Verletzungen von Chris Carson und Rashaad Penny nicht ausgeschlossen.
*Im College-Sport in den USA (Football und Basketball) wird die Setzliste der 25 besten Teams seit 1936 von einem komplizierten System aus Computersimulationen und wöchentlichen Umfragen unter Trainern und ausgewählten Sportjournalisten bestimmt. Und genau dieses Prozedere führte im Jahr 2003 zu einem großen Problem. Hier schlossen gleich drei College-Teams (LSU, Oklahoma und USC) die Saison mit nur einer Niederlage und damit mit einer Bilanz von 12-1 ab. Das führte dazu, dass die vertraglich maßgebende „USA Today Coaches Poll“ LSU und Oklahoma als die beiden Finalteilnehmer des „BSC National Championship Game“ wählte. Die ebenfalls hoch angesehene „Associated Press Poll“ wählte hingegen Pete Carrolls USC als Nummer eins in den Rose Bowl, wo die Michigan Wolverines geschlagen wurden. Die Folge: Mit den LSU Tigers und den USC Trojans gab es am Ende zwei Meister! Um jeglichen Diskussionen aus dem Weg zu gehen, wurde das System auch deshalb zur Saison 2014 hin geändert. So werden die vier Teilnehmer des „College Football Playoff“ jetzt von einer einzigen, 13-köpfigen Expertenkommission bestimmt. Das System mag strukturierter geworden sein, aber die Debatten hat es nicht beseitigt.