Heute beginnt bei den Seattle Seahawks das Training Camp richtig. Richtig, das heißt: Nach mehreren Tagen Quarantäne, Konditionseinheiten und Fototerminen steht nun das erste Mannschaftstraining auf dem Plan. In voller Montur stehen die Spieler erstmals am 17. August auf dem Rasen am Lake Washington. 14 Einheiten in Pads, zwei Scrimmages und ein Simulation verschiedener Spielszenarien später erfolgen dann die Roster Cuts.
Zwar fasst der Kader in diesem Jahr durch Covid-19 bedingt maximal 80 statt 90 Spieler, doch das ändert am Kampf um die begehrten 53 Plätze wenig, denn für 27 Akteure kommt Anfang September der gefürchtete Anruf von der Nummer mit der Vorwahl 425. Dann bleibt vorerst nur noch die Chance auf die Practice Squad oder die Verpflichtung durch ein anderes Team.
Die wichtigsten Training-Camp-Duelle im Überblick
Kurze Bestandsaufnahme. Aktuell stehen im Kader der Seahawks 77 Spieler (Wide Receiver John Ursua ist nach einem falsch-positiven Covid-19-Test eingerechnet). Rein theoretisch kann Seattle also noch drei weitere Akteure verpflichten, beispielsweise um den Pass Rush zu stärken. Aber auch ohne die drei zusätzlichen Spieler wird der Konkurrenzkampf groß. Hier die wichtigsten Duelle im Schnelldurchlauf:
Backup-Quarterback: Der NFL-erprobte Veteran Geno Smith oder der aufregende Rookie-Gunslinger Anthony Gordon? Man könnte diese alljährliche Debatte getrost zu den Akten legen und sagen, dass sowieso alles keinen Sinn mehr macht, falls Russell Wilson ausfällt. Aber dann ist da dieser interessante Spielertyp, den Gordon verkörpert. In der Air-Raid-Offensive an der Washington State University zauberte er bei einer Completion-Rate von 71,6 Prozent 5.579 Yards und 48 Touchdowns aufs Feld. Mehr hatte nur Nummer-eins-Pick Joe Burrow. Gordon, der Homestate Hero und ehemalige Baseballer (New York Mets besitzen seit 2015 Rechte an ihm), gepaart mit den schnellen Receivern Lockett, Metcalf und Dorsett – das klingt nach Spektakel. Dafür wäre ein bisschen Preseason nicht schlecht gewesen. Die langweilige und einfache Alternative ist die Rückkehr zu Smith, dem Backup von 2019.
Dritter Linebacker: Vieles hängt davon ab, ob die Seahawks weiterhin so häufig in der Base-Formation mit drei Linebackern auf dem Platz stehen. Dafür gibt es Anzeichen, doch auf diese sollte man sich erst dann uneingeschränkt verlassen, wenn Seattle auch 2020 keinen überzeugenden Nickel-Kandidaten (siehe nächster Absatz) findet. Was wir wissen: Bobby Wagner ist in der Mitte gesetzt, Bruce Irvin soll situativ als Strongside Linebacker eingesetzt werden. Head Coach Pete Carroll deutete an, dass Rookie Jordyn Brooks als Weakside Linebacker seinen Weg in die Startformation finden soll. Das ist die Position, die zuletzt K.J. Wright bekleidete. Für ihn bedeutet das einen Wechsel auf die andere Seite (in Rotation mit Irvin möglicherweise) oder Konkurrenzkampf und einen drohenden Cut (verbunden mit Einsparungen von rund 6,5 Millionen US-Dollar). Cody Barton und Ben Burr-Kirven spielen für die Startaufstellung wohl keine Rolle. Shaquem Griffin scheint sich als reiner Pass Rusher wohler zu fühlen.
Nickel-Cornerback: Wäre der kürzlich verpflichtete B.J. Reed fit, würde die Position jetzt kaum zur Debatte stehen. Doch wäre er fit, hätten die Seahawks ihn wohl auch nicht bekommen, denn dann würde er heute noch im Kader der San Francisco 49ers stehen. Viel Konjunktiv – das passt zu dieser Problemposition bei den Seahawks. Zu Beginn der Offseason ließ sich aus den Aussagen von Pete Carroll herauslesen, dass Ugo Amadi der Favorit auf den Platz als Slot-Cornerback ist. In den vergangenen Wochen klang an, dass auch Safety Marquise Blair als Nickel seine Chance bekommen soll. Dazu gibt es Varianten, in denen die Veterans Quinton Dunbar und Quandre Diggs im Slot auftauchen. Die Suche nach dem ersten verlässlichen Nickelback seit Justin Coleman (2017-2018) geht weiter. Von ihr hängt maßgeblich ab, welche Defensiv-Formation wir von den Seahawks primär sehen werden.
Wide-Receiver-Tiefe: Tyler Lockett und DK Metcalf sind gesetzt. Dahinter sind eine Reihe von Fragen offen: Krallt sich Neuzugang Phillip Dorsett mit seiner Geschwindigkeit den dritten Platz? Oder nutzt David Moore den Vorteil der Spielsystem-Erfahrung? Verbunden mit der Personalfrage ist immer auch die nach der Anzahl der verfügbaren Kaderplätze. Ob fünf oder sechs Receiver – für Hometown Hero Aaron Fuller und die etwas erfahreneren Cody Thompson und Penny Hart wird es ein langer Weg. Freddie Swain duelliert sich wohl mit John Ursua um den Slot-Platz. Stephen Sullivan könnte zur Not auch auf Tight End ausweichen, sollte für ihn bei den Wide Receivern kein Platz sein.
Pass Rush: Das Warten auf einen etablierten Veteran könnte bald ein Ende haben. Ab sofort dürfen NFL-Teams wieder Spieler zu Probetrainings aufs Gelände holen. Vielleicht kommt nun zum Auftakt der Training-Camp-Wochen endlich wieder Schwung in einen zuletzt eingeschlafenen Free-Agent-Markt. Namen, die weiterhin mit den Seahawks in Verbindung gebracht werden: Everson Griffen, Jadeveon Clowney, Clay Matthews.
Aber nun zu den Spielern, die dem Kader angehören. Jarran Reed und Poona Ford sind in der Mitte der D-Line gesetzt. Dahinter bleibt die Situation angespannt. Demarcus Christmas, Bryan Mone und eventuell Edge L.J. Collier könnten hier in der Rotation Snaps sehen. Außen wären Rasheem Green, Benson Mayowa und Bruce Irvin die offensichtliche Wahl. Dass die Rookies Darrell Taylor und Alton Robinson im ersten Jahr einen Impact haben, sollte man als Seahawks-Fan nur ganz vorsichtig hoffen.
Tight End: Greg Olsen und Will Dissly (sofern vollkommen gesund) scheinen gesetzt. Dass die Seahawks vier Tight Ends mit in die Saison nehmen, ist ebenfalls weitreichender Konsens (12 Personnel). Jacob Hollister zu entlassen und stattdessen Rookie Colby Parkinson, einen ähnlichen Spielertypen, zu behalten, klingt nach der Sparfuchs-Variante. Beide zu halten, klingt nach Doppelbesetzung. Hier liegt die Chance für Veteran Luke Willson, Receiver-Tight-End-Hybrid Sullivan und Undrafted Free Agent Tyler Mabry.
Offensive Line: Wir reden zu wenig über die Angriffslinie. Das überrascht, denn mindestens drei von fünf Startern dürften Neuzugänge sein. Die Stammformation scheint für viele Experten in Stein gemeißelt: Duane Brown, Mike Iupati, B.J. Finney, Damien Lewis, Brandon Shell. Aber ist sie das? Und viel wichtiger: Hat diese Line das Potenzial, mehr als eine Dauerbaustelle zu sein? Brown hatte zum Ende der Regular Season 2019 hin eine Knie-Operation, zuletzt Probleme mit dem Bizeps und wird Ende August 35 Jahre alt. Iupati ist ein Lauf-Blocker, kommt selten ohne Ausfall durch eine Saison und hat Phil Haynes im Nacken. Damien Lewis ist wohl der Rookie mit dem leichtesten Weg in die Startformation, aber hält er den Erwartungen stand? Und auf Right Tackle vertrauen die Seahawks Brandon Shell, einem nicht mehr als durchschnittlichen Neuzugang, scheinbar fast blind, weil sie Germain Ifedi so satt hatten? Oder bekommt Jamarco Jones seine Chance?
Es ist davon auszugehen, dass die O-Line auch 2020 nur langsam in einen Rhythmus kommen wird. Fürs Zusammenspiel wären ein paar Snaps in der Preseason dann doch ganz nett gewesen. Und: Auch zwischen Quarterback und Center muss die Absprache stimmen. B.J. Finney ist Russell Wilsons dritter Profi-Center (nach Justin Britt und Max Unger). Das Tandem arbeitet in den kommenden Tagen erstmals an Ballübergabe und Kommunikation. Für beide Aspekte ist Routine unabdingbar.
Kaderbau leicht gemacht – jetzt General Manager spielen
Die German Sea Hawkers haben eine App konzipiert. Unter https://roster.germanseahawkers.com können Fans der Seahawks ab sofort ihren individuellen 53-Mann-Kader für die Saison 2020 zusammenstellen. Dabei stehen ihnen immer die Spieler zur Verfügung, die aktuell in Seattles Aufgebot gelistet werden und im Training Camp um einen Platz kämpfen. Neuzugänge, die aus sicheren Quellen bestätigt sind, werden aktuell hinzugefügt, Abgänge zeitnah entfernt.
Individuelle Angaben zu Position, Erfahrung, Körpergröße und -gewicht unterstützen bei der Spielerauswahl. Die Größe der einzelnen Positionsgruppen ist abhängig von der Spielphilosophie flexibel gestaltbar. Ein automatischer Zähler hilft dabei, das Kaderlimit nicht zu überschreiten. Mögen die Prognosen beginnen!
#SeahawksCamp live im Stream
Wie in jedem Jahr übertragen die Seahawks auch 2020 mehrere Trainingseinheiten im Livestream. An 15 Terminen können die Fans – die diesmal keine Möglichkeit haben, das Training Camp live vor Ort zu verfolgen – ihren Lieblingsspielern im Internet beim Training zuschauen. Möglich ist das im deutschsprachigen Raum über YouTube und die Website der Seahawks.
Übertragungsbeginn ist anders als in den vergangenen Jahren meist erst um 22 Uhr, zum Ende des Camps hin sogar erst um 23 Uhr. Hier der Terminplan für die Einheiten im Überblick:
#SeahawksCamp gibt’s 2020 wieder im Livestream (Fans sind auch im VMAC nicht erlaubt).
An 15 Tagen wird je eine Stunde Training live auf Facebook, Twitter, YouTube und der Seahawks-Website übertragen.
Beginn ist anders als in den Vorjahren später: 22 Uhr (am Ende 23 Uhr) MESZ. pic.twitter.com/B0UrJaFQUT
— German Sea Hawkers (😷) (@SeaHawkersGER) August 8, 2020
Details zu den zwei angekündigten Trainingsspielen im CenturyLink Field, die am 22. und 26. August stattfinden sollen, sind bislang nicht bekannt. Auch diese sollen im Livestream verfügbar sein.