Russell Wilson ist zurück – und die Seattle Seahawks stehen bei einer Bilanz von 3-6. Die Stimmung rund um das Team war im Vorfeld der Partie gegen die Green Bay Packers von einer gewissen Euphorie geprägt. Der Franchise-Quarterback absolvierte eine Blitz-Reha, kehrte zum frühestmöglichen Zeitpunkt zurück auf das Feld. Nach dem überzeugenden Sieg gegen die Jacksonville Jaguars und einer immer stärker aufspielenden Defensive fehlte dem Vernehmen nach nur noch Wilson, um einen großen Push Richtung Playoffs zu wagen. Die Ernüchterung ließ dann aber nicht lange auf sich warten: Mit 0:17 verloren die Seattle Seahawks im Lambeau Field. Das erste Mal in der Russell-Wilson-Ära gelang den Seahawks kein einziger Punkt. Und der Zug Richtung Playoffs scheint immer weiter abzufahren und das ohne das Team aus der Emerald City.
Das größte Sorgenkind der Seahawks bleibt, zu aller Überraschung, die von Offensive Coordinator Shane Waldron angeführte Offensive. Mit vielen Vorschusslorbeeren ausgestattet entfachte die Verpflichtung von Waldron aus dem McVay-System eine Hoffnung auf ein kreatives Playcalling, verschiedene Play-Designs und eine rundum bessere Offensive. Bis zum jetzigen Zeitpunkt muss man festhalten, dass das in dieser Form nicht eingetreten ist. Die Seahawks-Offense ist nach wie vor sehr abhängig davon, Big Plays zu erzielen. Viel zu oft forciert Wilson, wie erst am vergangenen Sonntag, tiefe Bälle gegen zwei tiefe Safeties und wurde dafür prompt bestraft. Ein konstantes Kurzpassspiel sucht man vergebens, auch wenn beispielsweise die Tight Ends zuletzt viel besser eingesetzt wurden (Gerald Everett und Will Dissly sahen in Summe zehn Targets in Woche 10). Warum etwa D’Wayne Eskridige nach überstandener Gehirnerschütterung nur zwei Mal probiert wurde anzuspielen, dürfte ein Geheimnis des Trainerteams bleiben. Und so liegt die Offensivabteilung brach und benötigt ganz dringend neue Ideen, Konzepte, gar eine Wiederbelebung. Nur woher nehmen, wenn nicht stehlen?
Hoffnung gibt einzig und allein die Defensive. Die Unit hat sich im Laufe der letzten Woche massiv gesteigert, mit einem ähnlichen Verlauf wie in der letzten Spielzeit. Wurden die ersten Achtungserfolge gegen die Pittsburgh Steelers, New Orleans Saints und die Jacksonville Jaguars (in diesem Stretch kassierte man nur 14,3 Punkte pro Spiel) noch aufgrund der eher schwächeren Offensiven belächelt, so konnte man die von Aaron Rodgers angeführte Packers-Offense im Spiel lange bei nur drei Punkten halten und hielt damit das eigene Team überhaupt in der Partie. Eine ähnliche Leistung muss nun gegen das Schwergewicht aus Arizona folgen. Der Divisionsrivale ist aktuell der #2-Seed in der NFC und mit enormer Klasse in der Offensive ausgestattet.
Das Spiel:
- Kickoff: Sonntag, 22:25 Uhr
- Austragungsort: Lumen Field (Freiluft, Kunstrasen)
- Wettervorhersage: 8 Grad Celsius, Bewölkt
- Schiedsrichter: Tony Corrente
- Empfang: NFL GamePass
- Wettprognose: Seahawks -3,5
- Hashtag: #AZvsSEA
Der Injury Report:
Gleich mehrere Spieler konnten zu Beginn der Trainingswoche nicht trainieren. Bei LT Duane Brown (Hüfte) deutete sich das an, er musste das Spiel in der letzten Woche frühzeitig verlassen und ist aktuell „Day to day“, hat aber eine Chance am Sonntag zu spielen. Weiterhin fehlten DK Metcalf (Fuß), DE Kerry Hyder (Wade), OT Jamarco Jones (Rücken) und TE Gerald Everett (Leiste). Hier wird man die weitere Trainingswoche verfolgen müssen. Safety Ryan Neal konnte nach Verdacht auf Gehirnerschütterung limitiert trainieren. Er musste das Spiel in Green Bay verlassen, konnte später aber wieder auf das Spielfeld zurückkehren und scheint demnach auch keine Nachwehen zu haben.
Beim Gast aus Arizona konnten die beiden Quarterbacks Kyler Murray (Knöchel) und Colt McCoy (Brust) limitiert trainieren. Hier wird abzuwarten sein, wer schlussendlich am Sonntag starten wird. WR DeAndre Hopkins konnte mit einer Oberschenkelverletzung weiterhin nicht am Training teilnehmen, Einsatz fraglich. LB Chandler Jones bekam einen Ruhetag und wird spielen können.
Seahawks only version of the injury report. pic.twitter.com/1JU0UktWde
— Bob Condotta (@bcondotta) November 18, 2021
Die Matchups:
Seahawks-Offense vs. Cardinals-Defense: Bei diesem Matchup verbietet sich meinem Empfinden nach eine geschickte Unterteilung in Positionsgruppen oder direkte Duelle. Die Seahawks-Offense ist, wie eingangs beschrieben, momentan einer der schlechteren der National Football League. Sie hat nach wie vor Probleme eine gewisse Baseline in ihre Angriffsbemühungen zu bekommen. Das Laufspiel ist zahnlos und wenig kreativ, das Passspiel wird durch einen, unter Umständen nicht 100 Prozent fitten, Quarterback ausgeführt und das Screen-Passing-Game hat den Namen kaum verdient, so wenig Raumgewinn wird mit dieser Art von Spielzügen erzielt.
Mit der Cardinals-Defense wartet die laut DVOA die zweitbeste Verteidigung (-14,9%) der gesamten Liga. Die von Defensive Coordinator Vance Joseph geleitete Gruppe offenbart dabei wenig Schwächen, am ehesten ist sie noch über das Laufspiel zu schlagen. Schaffen die Seahawks in der Offensive nicht eine Trendwende, gehen mit einem geeigneten Gameplan in das Spiel und führen weiter ihre Angriffsbemühungen derart unsauber aus, so ist die Wahrscheinlichkeit eines erneuten Shutouts diesmal statistisch größer als noch vor einer Woche.
Seahawks-Front-Seven vs. Cardinals-QB Kyler Murray: Mit der Rückkehr von QB Kyler Murray sollte sich die Durchschlagskraft der Cardinals-Offensive auf das Normalmaß erhöhen. Murray ist laut EPA+CPOE-Composite-Ranking der beste Quarterback in der Saison 2021 und damit einer der heißen Anwärter auf den MVP-Titel, bei dessen Wahl Russell Wilson weiterhin auf seine erste Stimme wartet. Murray ist ein enorm akkurater Passgeber. Womit hier also eine wahre Mammutaufgabe auf die Secondary zukommt. Wichtig wird aber auch der Job der Front Seven sein.
Um Murray aus dem Rhythmus zu bringen, müssen die Mannen rund um DE Carlos Dunlap konstant Druck auf den gegnerischen Quarterback bringen, was diese Saison bisher nicht geschah. Weiterhin wird es wichtig sein diszipliniert die Edges zu verteidigen und Murray in der Pocket zu halten, um ihm die Fähigkeit zu rauben außerhalb der Struktur Plays zu kreieren. Auf die Linebacker Bobby Wagner und Jordyn Brooks kommt die wenig dankbare Aufgabe zu die D-Line in diesem Vorhaben zu unterstützen. Vor allem Letztgenannter könnte die Aufgabe des Quarterback-Spy zukommen, der bei jedem Spielzug immer ein Auge auf Murray hat und ihn bei etwaigen Scrambling-Vorhaben versuchen wird zu stören und zu stoppen.
Der X-Faktor: Jamal Adams
Jamal Adams wird völlig zu Recht kontrovers diskutiert. Neben des üppigen Preises, für den er nichts kann, spielte er weit unter seinen Erwartungen und Möglichkeiten. Viel mehr war Adams vor allem zu Beginn der Saison ein konstanter Unsicherheitsfaktor in der Seahawks-Defensive. Auch er konnte sich in den letzten Wochen steigern und fing gar seine erste Interception im Seahawks-Dress und grüßte im Anschluss Aaron Rodgers recht herzlich. Er krönte damit seine wohl beste Leitung unter Führung von Pete Carroll. Ein starker Jamal Adams kann auch am kommenden Sonntag ein spielentscheidender Faktor werden, sei es als Blitzer, Box-Safety oder in der Deckungsarbeit. Wie gut kann Adams die Defensive unterstützen oder gar tragen, die alle Hände voll zu haben wird? One-Hit-Wonder oder Unterschiedsspieler? Diese Frage muss er selbst beantworten.
- Spieler des Spiels: Leider Kyler Murray. Nach seiner kurzen Verletzungspause wird er den aktuellen Status der Arizona Cardinals in der NFC West gnadenlos unterstreichen und festigen. Das Resultat: Über 300 Yards im Passspiel, ein solider Rushing-Floor von 50 Yards, drei Touchdown-Pässe und ein selbst erlaufener Touchdown. Die erneute Übergabe der Division-Fackel findet mal wieder in Seattle statt.
- Statistik des Spiels: Die Arizona Cardinals haben es bisher mit Bravour geschafft WR DK Metcalf zu egalisieren. Er konnte in den Aufeinandertreffen gegen den Divisionsrivalen bisher nur 18,8 Yards pro Spiel erzielen – die wenigsten Yards gegen einen Gegner in seiner Karriere.
- Anekdote des Spiels: Es war die Woche 7 der Saison 2020. Die Seahawks gastierten bei den Cardinals. Mitte des zweiten Viertels wurde ein Pass von Russell Wilson von Safety Budda Baker abgefangen. Baker war auf dem besten Weg diese Interception zu einem Pick-Six zurück in die gegnerische Endzone zu tragen. Die Rechnung hatte er jedoch ohne DK Metcalf gemacht, er sah was geschah und trat die Verfolgung an. Mit einem Top-Speed von 36 km/h und einer zurückgelegten Distanz von beinahe 115 Yards konnte er den gegnerischen Verteidiger noch vor der Endzone zu Fall bringen. Pete Carroll beschrieb es im Nachgang als eines der besten Plays, die er jemals gesehen hat.
Der Hype-Faktor: Establish the Run!
In einer Woche nach einer erneuten Niederlage und mit einem negativen Record fällt es schwer einen völlig ernst gemeinten Hype-Faktor zu benennen. Deshalb mit einem Augenzwinkern: Die Ankündigung von Head Coach Pete Caroll, den Ball wieder mehr zu laufen. Juhu…
Pete Carroll says 11 runs by the running backs on Sunday was not enough. Says Seahawks have to run it more.
— Bob Condotta (@bcondotta) November 15, 2021
Das Fazit:
Die Seattle Seahawks gehen mal wieder bei einem Heimspiel als Außenseiter in die Partie. Und es gibt wenig Gründe, warum man eines der besten Teams dieser Saison auf heimischen Feld schlagen sollte. Zwar verfügt man weiterhin über einen Franchise-Quarterback und eines der Top-Receiver-Duos in der NFL, trotzdem fällt es dem Team schwer offensiv zu produzieren. Um mit der Feuerkraft der Arizona-Offense mitzuhalten, braucht es eine Kehrtwende. Viel Hoffnung auf Besserung gibt das Team aus dem Pacific Northwest aktuell nicht.
Die Arizona Cardinals hingegen sind eines der komplettesten Teams der gesamten Liga. In EPA pro Spielzug ist die Offensive auf Platz 4 zu finden, die Defensive auf Platz 3. Und auch der Coaching Staff des Teams aus der Wüste ist dem der Seattle Seahawks in vielerlei Hinsicht überlegen. Die Vorfreude auf das Spiel ist trotz der Vorzeichen vorhanden. Trotzdem fehlt der Glaube, dass den Seahawks hier eine Überraschung (und genau das wäre ein Sieg) gelingen wird.
Prognose: Die Seattle Seahawks verlieren 17:31.