Im zweiten Teil der Analytics-Serie rund um Advanced-Metriken geht es unter anderem um Statistiken, die Quarterback-Leistung möglichst gut quantifizieren und um eine Metrik, die individuelle Leistungen von Running Backs relativ gut darstellt und bewertet. Darüber hinaus thematisiert dieser Artikel den Analytics-Dienstleister Pro Football Focus (PFF) und gibt einen kleinen Ausblick auf die Zukunft der Datenanalyse im American Football.
4. Pro Football Focus (PFF)
Im Jahr 2004 gründete der Brite Neil Hornsby die Website Pro Football Focus. In diesem Jahr begann er erstmal selbst, die Leistungen von Spielern systematisch zu bewerten. Nach eigenen Angaben entstand die Idee, weil er mit den damaligen relativ simplen und wenig aussagekräftigen Statistiken unzufrieden war und nach einer besseren Alternative suchte, um die Leistungen von Spielern oder Positionsgruppen zu bewerten. Im Jahr 2007 ging Hornsbys Website online. Zu diesem Zeitpunkt hatte PFF auch bereits mehrere Mitarbeiter. Die NFL-Saison 2006 war die erste, für die PFF vollständige Daten zur Verfügung stellte. 2011 stellte PFF bereits für drei Teams individuell gewünschte Datenpakete zur Verfügung.
PFF ist also bei weitem nicht nur Dienstleister für interessierte Football-Fans: Den allergrößten Teil seiner Dienstleistungen (ca. 90 Prozent laut PFF-Mitarbeiter Timo Riske) erbringt das Unternehmen für Kunden abseits der normalen User wie beispielsweise Football-Teams. Seit 2019 ist jedes NFL-Team Kunde von PFF und bekommt individuelle Dienstleistungen zur Verfügung gestellt. Auch über 80 Teams aus der FBS, darunter insgesamt über 75 Prozent der Power-5-Schulen, im College Football beziehen Daten von PFF. Auch Spieleragenten oder Medienfirmen gehören zum Kundenstamm des Unternehmens.
Neil Hornsby: Der Gründer der Website Pro Football Focus. pic.twitter.com/9SZj98ZOTn
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Das zentrale Tool von PFF ist dessen Bewertungssystem, das mit den rein auf Zahlen basierten bereits erläuterten Metriken jedoch nur bedingt vergleichbar ist. Das liegt daran, dass die Evaluierung in der Verantwortung von PFF bzw. seinen Mitarbeitern und deren subjektiver Zuordnung liegt. Dieser Prozess mündet schließlich in einer Grade bzw. Note. Dafür analysiert PFF Spielzüge aus der NFL sowie der NCAA Division I im College Football.
Für die meisten Leistungen von PFF müssen Nutzer bezahlen. Teile der Inhalte von PFF sind jedoch auch auf der Website frei zugänglich. Als zusätzliches Analysetool, um beispielsweise Grades mit anderen Advanced-Metriken abzugleichen, eignet sich das Bewertungssystem von PFF ebenfalls gut, was sich in dieser Grafik von Ben Baldwin zeigt.
Quarterback grades and stats. It really is down to a 3-person MVP race pic.twitter.com/uCZyImkFdl
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Genau wie alle anderen Metriken ist PFF natürlich nicht „die“ perfekte Metrik, um die Qualität von Spielern oder Teams zu messen. Auf einer Skala von 0-100 werden Spieler unter Einbezug jedes einzelnen Spielzugs von Analysten nach einem spezifischen Bewertungsmuster eingeordnet. Wichtig ist dabei, dass diese Einordnung zwangsläufig zu einem gewissen Maße subjektiv erfolgt und damit fehleranfällig ist. Wenn jedoch etwa bei der Bewertung die Aufgabe eines Spielers in einer jeweiligen Situation nicht sicher zugeordnet werden kann, vergibt PFF eine neutrale Bewertung. Das engt den Raum für mögliche Fehler ein. Jeder Spieler wird bei PFF immer nach dem gleichen Maßstab bewertet.
Der Grading-Prozess ist eine kleine Black Box. PFF möchte natürlich nicht vollumfänglich preisgeben, wie genau die Noten zustande kommen, da die Methodik kopiert werden könnte. Ein paar Details sind jedoch bekannt: Im Grunde wird jedem Spieler bei jedem möglichen Play eine Bewertung von -2 bis +2 mit Abstufungen von 0,5 dazwischen gegeben. Dazu gibt es natürlich auch Ausnahmen, da jede Position im American Football unterschiedliche Aufgaben und Regeln hat, an die sie gebunden ist. Das ist jedoch ganz grob der Mechanismus, nach dem Spieler bewertet werden. Dazu werden zu den rohen Grades noch Adjustments hinsichtlich der Umstände, unter denen ein Spieler eine gewisse Leistung erbringt, gemacht. Damit ist gemeint, dass PFF aufgrund der über 200 Rohdaten, die das Unternehmen während nur eines Spielzugs sammeln, eine Vorstellung davon hat, was in etwa die erwartete Leistung eines Spielers in einer bestimmten Spielsituation ist. Wenn also ein Spieler in einer Situation, in der er aufgrund dieser Erfahrungswerte in einer seine Performance begünstigenden Situation ist, wird seine Note leicht nach unten angepasst. Im gegenteiligen Fall wird seine Note nach oben adjustiert.
Das Basiskonzept des Grading-Prozesses von PFF am Beispiel von Quarterbacks: pic.twitter.com/5L2yrRfZZs
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Darüber hinaus hat PFF für die Bewertung absolute Top-Experten und Analysten wie etwa ehemalige NFL-Spieler angestellt, die sich bestens in ihrem jeweiligen Bereich, den Schemes und auch den Positionstechniken auskennen. PFF hat mehr als 600 Voll- oder Teilzeitangestellte, von denen jedoch lediglich circa zehn Prozent in der Lage sind, Plays anhand des Bewertungssystems zu graden. Nur zwei bis drei Prozent der Mitarbeiter haben den Status eines Senior-Analysten. Nur die sind befähigt, die finale Note nach eigener Prüfung zur Veröffentlichung freizugeben. Jede Grade für ein spezifisches Play wurde dann mindestens einmal, in der Regel jedoch mehrmals unter Berücksichtigung aller verfügbaren Kameraeinstellungen überprüft. Der Prozess hin zur Bewertung von Spielern ist wohl einer der besten, die es aktuell gibt. Und das trotz der Tatsache, dass eine gewisse Subjektivität niemals gänzlich ausgeschlossen werden kann.
PFF wird durchaus auch kritisiert, da die Bewertung zum Beispiel nicht aus rein quantitativer Datenlage zustande kommt. Darüber hinaus wird kritisiert, dass das Bewertungssystem so eher anfällig für Bias, kleine Stichproben oder andere Fehlermöglichkeiten sein kann. Auch die Intransparenz beim Zustandekommen der Noten steht in der Kritik. Was man nicht falsch verstehen darf: PFF ist wie jede Metrik natürlich auch nicht in der Lage, reines Talent eines Spielers zu quantifizieren, sondern lediglich dessen Performance.
PFF schafft es jedoch, die individuelle Leistung eines Spielers besser von dessen Umständen abzukoppeln als DVOA oder EPA. Gleichwohl schafft PFF das auch nur bis zu einem gewissen Grad.
Insgesamt kommt PFF häufig mit seinem Bewertungssystem beim Abgleich mit rein quantitativen Metriken auf ein insgesamt ähnliches Ergebnis. Deshalb ist es ein interessantes zusätzliches Tool abseits von Metriken und Statistiken, die rein auf quantitativen Daten beruhen.
6.1. WAR (Wins above Replacement)
Ein weiteres definitiv zu erwähnenswertes Tool ist die Metrik „Wins above Replacement“; zu deutsch etwa: „Siege über dem Ersatzspieler“, dass PFF entwickelt hat. Auch wenn dieses Modell ebenfalls eine gewisse Black Box ist, funktioniert es im Groben folgendermaßen: Anhand von PFF-Noten wird die Leistung eines jeweiligen Spielers über einen bestimmten Zeitraum (in der Regel eine gesamte NFL-Saison) bestimmt. Sodann wird die Produktivität eines Spielers in den Wert an Siegen umgewandelt, welche er für sein Team unter Berücksichtigung der relativen Wichtigkeit jeder Facette des Spiels virtuell wert ist.
Es geht also darum, den „Mehrwert“, den ein Spieler für sein Team erbringt, zu quantifizieren. Die Siege, die ein Spieler auf Basis des Modells für sein Team wert ist, ist der Ausgangswert. Die Siege „über dem Replacement-Level“ sind dann die „Wins above Replacement“. Die Annahme von PFF ist, dass ein Team ausschließlich bestehend aus Ersatzspielern im Schnitt eine Saisonbilanz von 3-13 erreicht. Den höchsten „WAR-Wert“, den ein Spieler im Erfassungszeitraum von PFF jemals hatte, war Drew Brees im Jahr 2011, als er einen Wert von 5,54 erreichte. Für das WAR-Modell von PFF war Drew Brees im Jahr 2011 also 5,54 Siege für die Saints mehr wert, als mit einem virtuellen Ersatzspieler als Saints-Quarterback.
Die NFL Most Valuable Players von 2006 bis 2018 und ihr "WAR-Wert": pic.twitter.com/4j0xxPcpLS
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Aus dieser Metrik kann wie man an den NFL-MVPs der letzten Jahre sieht, beispielsweise viel über den Wert bzw. die Wichtigkeit einer Positionsgruppe ableiten. Selbst in seiner MVP-Saison 2012 war Adrian Peterson etwa nicht annähernd so viel Wert für sein Team wie lediglich durchschnittliche Quarterbacks in der NFL. Nach „WAR“ sind durchschnittlich Quarterbacks die wichtigsten Spieler eines Teams. Dahinter haben Wide Receiver, Defensive Backs und, Überraschung, Tight Ends den durchschnittlich höchsten „WAR-Wert“. Um von dem Modell berücksichtigt zu werden, muss ein Spieler mindestens 250 Snaps absolviert haben. Aus diesen Erkenntnissen lassen sich im übrigen wiederum Rückschlüsse für Draft- oder Free Agency-Strategien schließen.
Die Metrik „Wins above Replacement“ ist darüber hinaus sehr stabil. Bei den „WAR-Werten“ von Saison zu Saison weisen diese etwa bei Quarterbacks nach dem „Spearmon-Korrelationskoeffizienten“ eine Korrelation von 0,64 aus (1 wäre eine perfekte Korrelation). Zum Vergleich: Passer Rating (0,37), QBR (0,43) oder EPA/Play (0,45) weisen eine deutlich geringere Stabilität von Jahr zu Jahr auf. Die Positionsgruppen, bei denen die „WAR-Werte“ von Saison zu Saison durchschnittlich die höchste Korrelation aufwiesen, waren Tight Ends und Defensive Tackles. Die instabilsten Positionsgruppen mit den größten Leistungsschwankungen von Jahr zu Jahr waren Cornerbacks und Safeties.
„WAR“ ist eine hochinteressante Metrik, die in den kommenden Jahren wahrscheinlich noch eine wesentlich höhere Bedeutung und einen größeren Bekanntheitsgrad erlangen wird.
5. Quarterback-Metriken
Wer ist denn nun die Nummer 1? Dank unterschiedlicher Quarterback-Metriken können wir uns der Frage nach dem besten Spielmacher in der NFL ziemlich gut annähern. pic.twitter.com/qaSzm1KA2s
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5.1. Net Yards pro Versuch (NY/A)
„Net Yards per Attempt“ ist für sich gesehen schon einmal ein riesiger Fortschritt gegenüber den schlichten Yards pro Pass. Dabei werden Total Yards minus durch Sacks verlorene Yards durch die Anzahl der Pässe plus die Anzahl der Sacks geteilt. So wird jeder Dropback, bei dem der Quarterback unbestritten die Hauptrolle spielt, einbezogen. Diese Metrik hat den Vorteil, dass sie transparent, stabil und leicht nachvollziehbar ist und nebenbei gut mit künftigen Siegen korreliert.
5.2. Adjusted Net Yards pro Versuch (ANY/A)
„Adjusted Net Yards per Attempt“ ist eine Weiterentwicklung von NY/A und korreliert sogar noch besser mit Sieg und Niederlage. Der Unterschied zu NY/A besteht darin, dass pro Touchdown 20 Yards aufaddiert und pro Interception 45 Yards subtrahiert werden.
5.3. Total Adusted Yards pro Spielzug (TAY/Play)
TAY/Play ist wiederum eine Weiterentwicklung von ANY/A und bezieht zusätzlich Läufe des Quarterbacks sowie die Conversions zu neuen First Downs mit ein.
5.4. QBR von ESPN
QBR versucht durch die Kombination mehrerer Parameter und Metriken wie beispielsweise EPA, Quarterbacks möglichst in einem Vakuum also so unabhängig wie möglich von seinen Mitspielern zu bewerten. Die Rushing-Performance eines Spielmachers wird dabei unter anderem auch berücksichtigt. Kritiker dieser Metrik befinden, dass dieser Aspekt etwas zu stark gewichtet wird. Nichtsdestotrotz ist diese Metrik eine um Längen bessere Alternative zum bereits angesprochenen Passer-Rating. Suboptimal ist außerdem, dass nicht komplett transparent ist, wie sich diese Metrik genau errechnet.
5.5. CPOE
Die „Completion Percentage over Expectation“ (CPOE) ist eine bessere Alternative zur klassischen „Completion Rate“. Dabei wird versucht, die Anzahl der angebrachten Pässe eines Quarterbacks in Verhältnis zum „Schwierigkeitsgrad“ der versuchten Pässe zu setzen. Dabei gibt es zwei gängige Herangehensweisen an CPOE, um den Schwierigkeitsgrad und damit die erwartete Completion Rate zu ermitteln:
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- 1. Relativ zu den Air Yards
- 2. Relativ zur Tiefe der Würfe und der Distanz des Receivers zu Cornerbacks im Moment des Anspiels (auf Basis von Tracking-Daten bei „NFL Next Gen Stats“)
Die Differenz zwischen der erwarteten Completion Rate eines Quarterbacks und der tatsächlichen ist dann die „Completion Percentage over Expectation“.
Präziser als der Rest der NFL, zumindest wenn es nach der Metrik CPOE geht: Seahawks Quarterback Russell Wilson. pic.twitter.com/u9luDx1IjN
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CPOE ist im übrigen eine hervorragende und eine der besten Metriken, um die Performance von College-Quarterbacks in der NFL vorherzusagen. Josh Hermsmeyer erklärt das zahlenbasiert in seinem Artikel zur Frage, ob NFL-Teams Quarterbacks auf die richtige Art und Weise scouten. Eine gute Metrik zeichnet sich vor allem darin aus, über einen längeren Zeitraum „stabil“ zu sein, wie etwa beim Übergang eines Quarterbacks vom College in die NFL.
Darüber hinaus sollte eine gute Metrik mit „wichtigen“ Dingen wie beispielsweise Siegen korrelieren. CPOE ist sogar stabiler als andere Advanced Metriken wie QBR und kann unter anderem dabei helfen, gute NFL Prospects auszumachen. Hierbei muss jedoch stets im Auge behalten werden, dass es natürlich „Ausreißer“ gibt. Würde CPOE einwandfrei ausmachen können, ob ein guter College-Quarterback seine Produktivität auch auf das nächste Level übertragen kann, hätten wir die Frage, ob nun Trevor Lawrence oder vielleicht doch Justin Fields das beste Quarterback-Prospect im NFL Draft 2021 ist, bereits beantwortet. Rein danach wäre das nämlich der Quarterback der Buckeyes und zwar mit relativ großem Vorsprung.
Metriken wie CPOE oder EPA/Play verleihen der Bewertung eines Quarterback so viel Kontext wie fast keine anderen reinen Metriken in ihren jeweiligen Bereichen. Sie sind jedoch ebenfalls anfällig für die Umstände des Quarterback-Spiels, die sie nicht vollumfänglich erfassen können. Reminder: Keine Metrik oder Statistik ist perfekt.
Als Beispiel dienen die Performances von Russell Wilson und Patrick Mahomes bei EPA/Play und CPOE. Nicht nur wie im Schaubild unten in dieser Saison, sondern auch in den letzten Jahren schneidet Russell Wilson bei CPOE im Vergleich mit dem Rest der NFL überragend ab. Währenddessen spiegelt sich die Effizienz bei dieser Metrik nicht vollumfänglich etwa bei EPA/Play wieder. Demgegenüber performt Patrick Mahomes bei EPA/Play traditionell in den letzten Jahren wie auch in diesem Jahr im ligaweiten Vergleich brillant, während er bei CPOE nur im Liga-Durchschnitt liegt. Die Diskrepanz oder auch der kleine Widerspruch der beiden Metriken lässt sich so erklären, dass CPOE wie auch EPA/Play manche Dinge nicht gut erfassen (können).
Eine Erklärung ist etwa, dass die Offensive der Chiefs mit Mahomes dank des überragenden Play Callings von OC Eric Biniemy und Head Coach Andy Reid dem Quarterback überdurchschnittlich viele einfache Würfe gibt, die dazu führen, dass die Offensive den Ball effektiv über das Feld führt und in einem hohen EPA/Play münden.
Im Gegensatz dazu erklären sich Russell Wilsons Performances in den beiden Metriken teilweise genau gegenteilig: Wilson versucht mehr schwierige Würfe oder das offensive Scheme gibt Wilson vergleichsweise weniger dieser einfachen Würfe. Das EPA/Play ist jedoch trotz Wilson’s hervorragendem Abschneiden bei CPOE nicht so hoch wie jenes von Mahomes.
EPA/Play vs. CPOE nach dem EPA-Modell von Baldwin und Carl: pic.twitter.com/5vnLwawJzz
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Einen Lösungsansatz für die Diskrepanz wählt Datenanalyst Ben Baldwin, indem er EPA/Play und CPOE kombiniert, um Quarterback-Leistung noch besser einordnen zu können, als es beide Metriken für sich alleine tun würden. So ergäbe sich folgendes Bild, das zumindest gefühlt die Quarterbacks in der NFL in ein akkurateres Ranking einteilt, als bei den einzelnen Metriken für sich, wo man immer wieder einzelne „Ausreißer-Quarterbacks“ findet, die nicht so recht in die subjektive Wahrnehmung passen mögen.
EPA/Play und CPOE nach Woche 11 der Regular Season 2020 kombiniert nach dem Modell von Baldwin und Carl:
Grafik: @benbbaldwin pic.twitter.com/HZAtDmtAUO
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6. Was die Zukunft in der Datenanalyse bringt
Die nächste Stufe sind nach den Play-by-Play-Daten der NFL die Tracking-Daten. Ein Blick dahinter zeigt, wie viele Informationen aus einem Spielzug gewonnen werden können. Da man ansonsten langsam an die Grenzen der Rechenleistungen moderner Rechner stoßen würde, werden „nur“ alle Zehntelsekunden Daten erfasst. Allein dies ist schon enorm, da Computer in diesen zeitlichen Abständen immer wieder die Positionen von 22 Spielern sowie die des Balles erfassen. Pro Sekunde also 230 Datenpunkte. Ein Play, dass etwa vier Sekunden andauert besteht demnach aus etwa 1.000 Rohdatenpunkten. Damit sinnvoll Datenanalyse zu betreiben, erfordert einen klaren Durchblick durch die Welt der Daten.
Die Entwicklung der Tracking-Daten in der NFL bis heute: pic.twitter.com/318KHLgArt
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Die NFL hat ihre Tracking-Daten bislang nur teilweise veröffentlicht. Für die Öffentlichkeit sind sie im Gegensatz zu den NFL-Teams kaum zugänglich. Tracking-Daten sind die nächste große Stufe in der NFL-Datenrevolution. Sie könnten beispielsweise dazu genutzt werden, einen Computer zu trainieren, die Defensive zu simulieren. Anschließend lässt sich darüber für den Vergleich die Reaktion einer Defensive in der realen Situation legen. Diese Technik, die „Ghosting“ genannt wird, gibt es übrigens in der NBA schon länger. Dort wird sie bereits von Teams genutzt.
6.1. Expected Rushing Yards
Wie Tracking-Daten schon jetzt sinnvoll genutzt werden, zeigt die relativ neue Metrik „Expected Rushing Yards“ bzw. „Rushing Yards over Expectation“. Mit dieser Metrik, die auf die beiden österreichischen Datenwissenschaftler Philipp Singer und Dmitry Gordeev zurückgeht, ist es möglich, die individuelle Performance von Rushern bzw. in den meisten Fällen Running Backs kontextbasierter als bei herkömmlichen Statistiken zu messen.
Die Idee für das Konzept entstand durch den Big Data Bowl 2020, bei dem über 2.000 Datenwissenschaftler auf der Jagd nach 75.000 Dollar Preisgeld der Frage nachgingen, wie viel Rushing-Yards ein Ballträger vom Moment des Handoffs an erlangt.
Das Gewinner-Model der beiden Österreicher funktioniert im Groben folgendermaßen: Es geht darum, bis auf den Ballträger alle anderen Offensivspieler auszublenden. Sodann stände hypothetisch ein Spieler elf Verteidigern gegenüber, die versuchen, ihn zu Boden zu bringen. Sobald das Play startet, so die Annahme im Modell, versucht jeder Verteidiger, den Ballträger schnellstmöglich zu stoppen, wobei jeder Verteidiger eine gewisse Chance hat, diesen zu tacklen. Die Chance eines Verteidigers, den Ballträger zu tacklen ergibt sich aus der Position, die er in diesem Moment auf dem Feld hat, seiner Geschwindigkeit, Beschleunigung sowie die Richtung, in die er sich bewegt. Auf diese Weise ergibt sich eine Anzahl an Yards, die im Moment des Handoffs zu erwarten ist. An dieser Stelle sei angemerkt, dass das hier eine vereinfachte Erklärung für das Modell war. Alles andere sprengt den Rahmen.
Mit 2,4 Rushing Yards over Expected pro Lauf ist Running Back Nick Chubb von den Cleveland Browns nach dieser Metrik in dieser Kategorie über ein Yard besser als der zweitbeste Ballträger in der NFL mit einer gewissen Mindestanzahl an Laufversuchen.
(Stand nach Woche 12, 2020) pic.twitter.com/lM7Wep867k
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Dieses Modell hat traditionellen Lauf-Statistiken wie Yards pro Lauf viel voraus, da sie bedeutend mehr Kontext enthält. Auf diese Weise gelingt es, die individuelle Leistung relativ stark von dessen Umständen abzukoppeln. So kann ermittelt werden, wie viel Rushing-Yards ein Running Back wie Ezekiel Elliott über oder unter den „Expected Rushing Yards“ erreicht hat. Das kann dann auch noch in Relation zu den Laufversuchen gesetzt werden. Auch kann etwa der Prozentsatz der Läufe ermittelt werden, bei denen ein Running Back mehr Yards als beim Handoff erwartet wurde, produzierte. Auf Basis des entwickelten Modells können darüber hinaus auch noch Wahrscheinlichkeiten für ein First Down oder einen Touchdown im Moment des Handoffs ermittelt werden. Wie sich das ermittelt, würde in einer detaillierten Erklärung jedoch an dieser Stelle den Rahmen sprengen.
Auf der Website „NFL Next Gen Stats“ können unter anderem die „Expected Rushing Yards“ abgerufen werden.
7. Fazit
Mit dem Anreißen des Themas Tracking-Daten in der NFL sollte an dieser Stelle auch gezeigt werden, dass Advanced-Metriken noch lange nicht am Ende ihrer Entwicklung stehen und auch in der Zukunft eine wichtige Rolle spielen werden. Gegebenenfalls gibt es in naher Zukunft andere Metriken, die DVOA oder EPA in vielen Bereichen überlegen sind und sie möglicherweise irgendwann ablösen.
Über die Themen in diesem Artikel und jenem der Vorwoche haben wir auch in unserem Ballhawks-Podcast mit einem der führenden Datenanalytiker in Deutschland, Timo Riske, gesprochen. Im Interview erzählt er, warum er mit der Metrik Passer Rating nichts anfangen kann und welche aus analytischer Sicht falschen Entscheidungen die Seattle Seahawks auf dem Spielfeld treffen.
Keine der vorgestellten Metriken ist – wie bereits mehrfach angedeutet – perfekt. Das geht im Prinzip auch gar nicht. Wenn Football so einfach und gleichzeitig vollumfänglich mit diversen Metriken bis ins letzte Detail ohne Fehlerquoten beschreibbar wäre, würden wir unterschiedlichste Debatten im Football gar nicht mehr führen müssen. Beispielsweise die Frage, wer zwischen den Quarterbacks Russell Wilson oder Patrick Mahomes nun der bessere ist.
Mit den vorgestellten Metriken und Tools können wir solche Fragen zwar nicht durch eine Art Totschlagargument beantworten. Wir können uns den Fragen aber durchaus aber ein großes Stück weit annähern und ein Gefühl dafür bekommen, welche Teams, Units oder Spieler zu den besten, schlechtesten oder beispielsweise durchschnittlichsten in der NFL gehören. Mit Advanced Stats und -Metriken ist das noch viel genauer möglich als mit den klassischen Statistiken.
Dabei sollten wir uns aber davor hüten, ausschließlich mit Zahlen zu arbeiten oder zu argumentieren, ohne das Tape bzw. das Spiel an sich zu berücksichtigen. Vielmehr kann für ein optimales Verständnis ein Mix aus Eye Test und Datenanalyse ein möglichst gutes Bild über einen bestimmten Spieler oder ein Team liefern. Genau diese Kombination aus Tape und Advanced-Metriken verbindet beispielsweise der YouTuber Brett Kollman in seinen Film-Breakdowns auf hervorragende Art und Weise.
„Nobody’s perfect“ – das trifft ebenfalls und fast schon zwangsläufig auf Advanced-Metriken im Football zu. Doch wir sollten dabei anerkennen, dass diese Metriken zu den besten statistischen Beschreibungen von American Football gehören, die es aktuell gibt – und dementsprechend versuchen, diese viel öfter zu verwenden. Sie werden dieser hochkomplexen und fantastischen Sportart um einiges gerechter als kontextarme Total Stats.
Zuletzt noch ein kleiner Gruß an die Leser, die es in beiden Teilen bis ans Ende des Artikels geschafft und damit wahre Analytics-Ausdauer bewiesen haben. Ich hoffe, der Lesestoff war nicht allzu trocken und konnte das Themengebiet rund um Advanced-Metriken einigermaßen gut näher bringen. Und dabei bitte immer, wie einst Dave Gettleman sinngemäß schon sagte, im Hinterkopf behalten: Football wird nicht auf Spreadsheets gespielt!
Nuff' Said! pic.twitter.com/3YEnMRh44L
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