Kopfsache: Hilinski’s Hope

Wer bei der großen Party der Sea Hawkers am Vorabend des London-Spiels der Seattle Seahawks im Oktober 2018 dabei war, der wird die Fahnen bemerkt haben, die über dem Eingangsbereich der Bar in im Stadtteil Leadenhall hingen. Da war die weit und breit bekannte weiße 12 auf hellblauem Hintergrund, daneben der grün und dunkelblau eingefärbte Union Jack der UK Sea Hawkers – und eine den meisten Anwesenden bis dato unbekannte Fahne, auf der eine große 3 weiß auf weinrot abgebildet war.

Diese Zahl steht für Tyler Hilinski. Sieht steht für einen jungen Mann, dem die Zukunft gehören sollte. Sie steht auch für die allgegenwärtigen Gefahren der Sportart American Football. Und sie steht inzwischen für Hilinski’s Hope, eine Wohltätigkeitsorganisation, die Hilinskis Eltern nach dessen Tod gegründet haben. Denn Tyler Hilinski nahm sich am 16. Januar 2018 im Alter von 21 Jahren das Leben. Er war zu diesem Zeitpunkt Backup-Quarterback der Washington State Cougars in Pullman und sollte im Folgejahr als Starter das Team seiner Universität lenken. Doch soweit kam es nie.

Nach seinem Tod stellten Ärzte bei Tyler Hilinskis Obduktion CTE ersten Grades fest. Der Quarterback habe „das Gehirn eines 65-Jährigen“ gehabt, sagten sie. American Football war wohl mit ein Grund dafür, dass ein junger Mensch mentale Probleme hatte. Dass ein junger Mensch mit sich selbst kämpfte, ohne Hilfe zu suchen. Dass ein junger Mensch sich das Leben genommen hat.

Für die Eltern von Tyler Hilinski, für seine zwei Brüder folgte eine Zeit der Trauer und der Fragen. Hätten sie bemerken müssen, dass mit ihrem Sohn und Bruder etwas nicht stimmte? Was hat ihn in den Suizid getrieben? Hätten sie besser für ihn da sein müssen? Hätten sie mit ihm über Risiken der Sportart sprechen müssen? In dieser Geschichte werden die Monate der Trauer berührend und respektvoll beschrieben. Die Familienmitglieder verarbeiteten den Verlust unterschiedlich. Der ältere Bruder und angehende Arzt Kelly stürzte sich in sein Medizinstudium. Der jüngere Bruder Ryan – inzwischen Quarterback bei den South Carolina Gamecocks in der NCAA – wollte jetzt erst recht als Footballer das verwirklichen, was sein Bruder Tyler sich einst zum Ziel gesetzt hatte. Mutter Kym und Vater Mark gründeten eine Stiftung: Hilinski’s Hope, kurz H3H.

H3H ist die Antwort auf die Unterstützung, die die Familie nach dem Tod von Tyler erfuhr. Mit H3H wollen die Hilinskis ihrem Sohn und Bruder gedenken und gleichzeitig Programme unterstützen, die psychische Krankheiten entstigmatisieren. Sie wollen, das Studenten und andere Betroffene über ihr Leiden sprechen können, ohne als schwach dargestellt zu werden und ohne Konsequenzen fürchten zu müssen.

Die UK Sea Hawkers, maßgeblich in Person von Stuart Court, nahmen mit Kym Hilinski Kontakt auf, um das Anliegen der Stiftung auch über den großen Teich hinaus bekannter zu machen – und um im Rahmen des London Game 2018 Spenden zu sammeln und Shirts zu verkaufen. Insgesamt kamen für Hilinski’s Hope an dem Abend, an dem in einer London-Leadenhaller Bar die weinrote Fahne mit der Nummer 3 über den Köpfen der Fans schwebte, 2.380 Britische Pfund zusammen.

Anmerkung der Redaktion

In der Regel berichten wir nicht über Selbsttötungen, außer sie erfahren durch die Umstände besondere Aufmerksamkeit. Der Grund für die bewusste Zurückhaltung ist die hohe Nachahmerquote nach jeder Berichterstattung über Suizide. Wenn Sie sich selbst betroffen fühlen, kontaktieren Sie bitte umgehend die Telefonseelsorge. Unter der kostenlosen Hotline 0800-1110111 oder 0800-1110222 erhalten Sie Hilfe von Beratern, die schon in vielen Fällen Auswege aus schwierigen Situationen aufzeigen konnten.

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