Diese Mailbag-Sache hat ziemlich viel Spaß gemacht vor zwei Wochen. Deshalb gibt’s heute eine zweite Runde mit Euren Fragen aus den sozialen Medien – und in der dreht sich alles um den Rückfall der O-Line in Cable’sche Züge, US-amerikanisches Münzgeld und einen etwas angenervten Pete Carroll.
In der Rubrik „Nachgehawkt“ beantworten Autoren der German Sea Hawkers e.V. in unregelmäßigen Abständen Fragen rund um die Seahawks, die besten Aussichtspunkte in Seattle, wilde Gerüchte, gutes Essen aus dem Pacific Northwest und Pete Carrolls Lieblingskaugummi, die auf Twitter oder in anderen Social-Media-Kanälen gestellt wurden.
@simonkell fragt: Sollten die Seahawks Safety Tedric Thompson weiterhin starten und Fehler machen lassen oder lieber Marquise Blair von Beginn an spielen und im Reifeprozess Rookie-Fehler machen lassen?
Eine ähnliche Frage stellten die Reporter Anfang der Woche Pete Carroll. Werde er personelle Konsequenzen ziehen und über eine Umstellung nachdenken, fragten sie den Cheftrainer. Der reagierte ungewohnt schmallippig: „Nein.“ Er ließ das Wort zunächst wirken und ergänzte dann: „Wir spielen Football, wir reden nicht über so etwas, ganz im Ernst.“
Pete Carroll gibt Tedric Thompson im dritten Jahr nicht auf, so viel wurde unter der Woche klar. Ja, auch er war nicht begeistert vom Auftritt des Safetys, der es „zu sehr versucht“ habe und deshalb durch die Gegend geflogen und Pässe falsch angelaufen sei. Doch Carroll verteidigt Thompson auch. Es sei nicht so, dass er nicht sein Bestes gebe oder seine Aufgaben nicht kenne.
Es ist aber eben leider auch nicht so, dass Thompson aus einem Fehler gelernt hat, den er bereits am 28. Oktober 2018 gegen die Detroit Lions machte:
The Tedric Thompson experience. pic.twitter.com/bEdtImbIji
— Mookie Alexander (@mookiealexander) September 9, 2019
Außer dem üblen Bock, den Ball beim Touchdown von John Ross falsch einzuschätzen, hatte Thompson keinen gravierenden Aussetzer gegen die Bengals. Der Fehler war schwerwiegend, aber am Ende zum Glück nicht spielentscheidend, deswegen ist es falsch, Thompson zum alleinigen Sündenbock zu machen. Fehler haben unter anderem auch Cornerback Tre Flowers und Linebacker Mychal Kendricks gemacht, Fehler wurden auch durch die Formation provoziert. Andere Schwächen von Thompson wie das Spiel im Zentrum des Hinterfelds wurden größtenteils eliminiert, weil Bradley McDougald hier Verantwortung übernahm und Thompson stattdessen oft die Flats (Zonen außerhalb der Hashmark von der Line of Scrimmage bis zehn Yards tief) abdeckte.
Ich denke nicht, dass die Seahawks jetzt sofort in Panik verfallen und etwas ändern sollten. Dafür ist ein einzelner großer Fehler, auch wenn er zum zweiten Mal passiert, aus meiner Sicht nicht Grund genug. Die anderen beiden Kandidaten, Marquise Blair und Lano Hill sind recht vielversprechend, doch beide haben noch Rückstand. Hill, weil er die komplette Offseason verletzt war und erst spät richtig in die Preseason einstieg. Blair, weil er in der Vorbereitung öfter wegen einer Rückenverletzung fehlte und bislang kaum Snaps in der Seahawks-Defense gesehen hat. Blair wird seine Chance bekommen, Hill auch. Dass das in Week 2 oder Week 3 gegen die in der nächsten Frage angesprochenen Pass-Feuerwerke passiert, wage ich zu bezweifeln. Außer eine Verletzung kommt dazwischen.
Langfristig ist Blair für mich der Starter, weil er der talentierteste der drei Kandidaten ist, aber ich finde es nicht sinnvoll, ihm das Selbstvertrauen direkt zu rauben, wenn er vergleichsweise unvorbereitet in ein NFL-Spiel geworfen wird und Fehler macht. So verheizten andere Teams auch schon Quarterbacks. Fehler wird und muss Blair machen, aber ich halte wenig davon, es auf Fehler ankommen zu lassen, die nicht gemacht werden müssen.
In diesem Zusammenhang möchte ich auch auf die Frage von @TLengersdorf eingehen, ob Free Agent Eric Berry ein Kandidat für die Seahawks wäre. Berry – 2015 fantastisch von einer Krebserkrankung zurückgekehrt – hat in den vergangenen zwei Spielzeiten insgesamt verletzungsbedingt nur drei Spiele bestritten, eins im Jahr 2017 und zwei im Jahr 2018. Die Verletzungsmisere begann für den mittlerweile 30-Jährigen nur wenige Monate nachdem er einen neuen Sechsjahresvertrag unterschrieben hatte, der ihn damals zum bestbezahlten Safety der NFL machte, und endete mit seiner Entlassung im März 2019. Die Tatsache, dass der dreifache All-Pro seither nirgends mehr untergekommen ist, deutet darauf hin, dass er körperlich nicht mehr auf dem Niveau ist wie noch vor seinem Achillessehnenriss im September 2017 und den daraus resultierenden Komplikationen. Auch sind außer einem Probetraining bei den Dallas Cowboys im März keine weiteren Teambesuche bekannt. Möglicherweise hat sich herumgesprochen, dass Berry nicht mehr in NFL-Form ist.
Wenn wir davon ausgingen, dass Berry fit wäre, dann würde eine Verpflichtung jetzt nach Week 1 der Regular Season Sinn machen, weil dann für einen Veteran mit mindestens vier Jahren NFL-Erfahrung das Saisongehalt nicht mehr garantiert ist. Unabhängig davon glaube ich aber, dass Pete Carroll überhaupt nicht nach einem weiteren Safety sucht, weil er der Meinung ist, dass die vorhandenen Spieler genügen. Er möchte Blair und Hill bald die Chance geben, um den Platz zu kämpfen, den zumindest aktuell noch Thompson belegt.
@Inside_Shwks fragt: Sehen wir in den nächsten Wochen gegen die Pass-Feuerwerke aus Pittsburgh, New Orleans und LA doch wieder mehr Nickel-Defense als im Auftaktspiel? Kann Head Coach Pete Carroll auf einen seiner Stud-Linebacker verzichten? Vertraut er einem Nickel-Cornerback (Taylor, King, Amadi) genug?
Die Bengals in Week 1 waren für die Seahawks eine ziemliche Wundertüte. Nach einer 6-10-Saison hatte sich Cincinnati vom langjährigen Cheftrainer Marvin Lewis getrennt. Vom System des Nachfolgers Zac Taylor gab es bis dahin abgesehen von etwas Preseason-Geplänkel kein verlässliches Videomaterial. Im Spiel haben wir dann gesehen, dass auch die Bengals etwas von einem Pass-Feuerwerk hatten, wie es in den kommenden Wochen auf die Seahawks zukommt – 51 Passversuche bei nur 14 Läufen.
Jetzt liegt das vermutlich daran, dass Seattle mit der Base-Defense, also mit den klassischen drei Linebackern in der 4-3-Formation, den Lauf von vornherein aus dem Spiel nehmen wollte. Die breite Aufstellung der zwei Outside Linebacker weit außerhalb der Defensive Ends könnte Indiz dafür sein, dass die Seahawks Läufe über außen verhindern wollten. Das alles funktionierte recht gut, Cincinnati erlief nur 34 Yards, im Schnitt 2,4 pro Lauf. Damit findet sich Seattle nach Week 1 vorerst auf dem ersten Platz in Sachen Laufverteidigung wieder, nach einer gerade so durchschnittlichen Saison 2018.
Der hohe Anteil an Base-Defense-Formation in Seattles Spiel (circa 90 Prozent gegen die Bengals, wobei diese rund 75 Prozent ihrer Snaps mit drei Receivern absolvierten) ist ein krasser Wandel im Vergleich zur Vorsaison, als die Seahawks bei 40 Prozent der Snaps Nickel-Defense, also mit einem zusätzlichen Cornerback für den Slot, spielten (34 Prozent Base, 14 Prozent Dime mit zwei zusätzlichen Defensive Backs). Und es ist eine Entwicklung entgegen des Trends in der NFL, immer mehr Nickel zu spielen. Begründen kann man das damit, dass Pete Carroll immer wieder betont, dass er seine drei Linebacker Bobby Wagner, K.J. Wright und Mychal Kendricks zusammen auf dem Feld sehen möchte.
Und hier kommt dann der Begriff „Stud“ ins Spiel – und das sogar ein wenig doppeldeutig. Stud ist grundsätzlich ein positiv konnotiertes Wort, das jemanden bezeichnet, der etwas gut macht (von einer detaillierten Übersetzung sehe ich lieber ab; nur so viel – es hat einen maskulinen Bezug und es sind Pferde involviert). Jedenfalls dürfte diese Bezeichnung auf Wagner, Wright und Kendricks zutreffen, die vielleicht das beste Linebacker-Trio der Liga bilden. Im American-Football-Fachjargon sind Studs solche Spieler, die als Defensive Ends und Linebacker andere Aufgaben übernehmen, also Hybrid-Rollen mit Safety-Aufgaben haben, im Pass Rush aktiv sind und Nickel- oder Dime-Formationen spielen. Carroll ist der Meinung, dass Wright und Kendricks diese Rollen ausfüllen können.
Dass sie aber Probleme bekommen, wenn sie in bestimmten Formationen plötzlich wieselflinken Spielern wie John Ross von den Bengals gegenüber stehen, war am Wochenende ersichtlich. Und genau deshalb würde auch ich mir wünschen, dass die Seahawks wieder zu mehr Nickel-Defense zurückkehren und nicht noch in einem zweiten Bereich (neben dem seit 2018 wieder intensivierten Laufspiel) gegen den Strom schwimmen. Hier kommt aber meine Begründung, warum ich glaube, dass wir weiterhin viel Base und wenig Nickel sehen werden:
Pete Carroll geht nach dem Prinzip der besten Spieler auf dem Feld und stellt deshalb Wagner, Wright und Kendricks auf statt eines seiner drei Nickel-Kandidaten Ugo Amadi, Akeem King und Jamar Taylor. Amadi halte ich noch für den aussichtsreichsten Kandidaten, weil er in der Manndeckung in der Preseason seinen Gegenspielern am besten auf den Fersen blieb. Gegen die Bengals war er das auch, doch mit 1,75 Metern Körpergröße wurde es gegen den 1,88 Meter großen Tyler Body von den Bengals oft trotz guter Deckung schwer. King ist zu inkonstant und Taylor ließ in der Preseason zu viele Fänge und zu viel Raumgewinn zu. Hätte Carroll weiterhin Justin Coleman zur Verfügung, würde er vielleicht mehr Nickel spielen lassen.
Die Tatsache, dass der ebenfalls für die Nickel-Position vorgesehene Parry Nickerson nach einer Woche schon wieder durch Taylor ersetzt wird (und nun in der Practice Squad landet), zeigt zwar, dass die Seahawks Fehler schnell beheben können. Aber sie zeigt auch, dass Seattle weiterhin auf der Suche nach der perfekten Lösung ist. Wenn Pete Carroll sagt, dass Taylor gut auch in Week 1 im Kader hätte stehen können und nun direkt wieder in den Wettbewerb geworfen wird, ist das schön, bedeutet aber nichts. Wir erinnern uns, wie begeistert die Trainer von Wide Receiver Jaron Brown sprachen und ihn mehr ins Passspiel einbinden wollten. Brown wurde gegen die Bengals kein einziges Mal anvisiert.
Es wäre schön, wenn Seattle jetzt nicht direkt zwei Spiele spielen müsste, in denen die Passverteidigung Play für Play getestet und vermutlich auch entlarvt wird. Ein paar mehr Snaps gegen schwächere Pass-Offensiven wären praktisch, um die richtige Formation und Balance in der Defense zu finden. Weil das aber nicht möglich ist gegen die Steelers und die Saints, dürfen wir damit rechnen, dass die Seahawks keine großen Umstellungen machen wollen, um eine Art Rhythmus beizubehalten.
@stefan_denz und @rimmusjobbus möchten wissen, wie die Running Back-Situation bei den Seahawks aktuell aussieht, ob Seattle mit Rashaad Penny den gleichen Fehler macht wie mit Eddie Lacy und ob Chris Carson das Potenzial hat, einer der besten Läufer der Liga zu werden.
Zunächst einmal zum Fehler: Die Seahawks versuchten eine Saison lang ohne Erfolg, Eddie Lacy als Running Back effektiv einzusetzen. 2017 kam er insgesamt nur auf 179 Yards bei 69 Läufen, was im Schnitt 2,6 Yards pro Lauf macht. Rashaad Penny hatte in seiner ersten Saison bei den Seahawks 85 Carries für 419 Yards und 4,9 Yards pro Lauf und bei ähnlicher Einbindung ins Passspiel einen knapp besseren Yards-Schnitt (8,3 > 7,8). Deshalb würde ich hier grundsätzlich nicht davon sprechen, dass es ein Fehler ist, Penny einzusetzen, denn das funktioniert besser als mit Lacy.
Aber ja, auch ich sehe die Gemeinsamkeiten. Probleme, das Idealgewicht zu halten, schwerfälliger Antritt, viel Festlaufen in der Verteidigungslinie. Ich glaube trotzdem, dass man die Situation eines 23-Jährigen in seinem zweiten Jahr nicht mit der eines 29-Jährigen in seiner fünften NFL-Saison vergleichen kann. Dafür möchte ich noch ein paar mehr Spiele von Penny sehen, vor allem dann, wenn die O-Line sich wieder gefangen hat (Chris Carson kam auf 3,1 Yards pro Lauf, Penny auf 3,0), wenn nicht Preseason ist und wenn das Play Calling nicht so zerfahren ist wie in Week 1 gegen die Bengals.
Wenn ich einen Fehler sehe, dann ist das der, Penny überhaupt (so früh) auszuwählen vor dem Hintergrund, dass eine Saison vorher der gleiche Typ Running Back in der Seahawks-Offensive einfach nicht zurecht kam. Das halte ich für ziemlich viel Risiko. Ein Fehler, der leider nicht mehr rückgängig gemacht werden kann – nur korrigiert.
Als die Gerüchte rund um den Jadeveon-Clowney-Trade konkreter wurden, fiel der Name Penny immer wieder, wenn es um den Tauschwert ging. Ich war von vornherein der Ansicht, dass das Front Office der Seahawks Penny nicht abgeben würde, weil das ein Eingeständnis wäre, dass der Erstrundenpick in Seattle gescheitert wäre. Nach gerade einem Jahr und einem Spiel im zweiten Jahr ist mir das auch noch zu früh. Vielleicht reden wir Mitte oder eher Ende der Saison nochmals über die Personalie Penny.
Chris Carson, mit dem Penny 2019 eine Art One-Two-Punch bilden soll, ist auf dem Weg, einer der besten Läufer der Liga zu werden, falls er das nicht schon ist. Das möchte ich nicht anhand von Yards untermauern, sondern mit seinem Laufstil begründen. Carson ließ Gegenspieler mit seinen Bewegungen 45 Mal ein Tackle verpassen – das war 2018 gemeinsam mit Derrick Henry und Adrian Peterson Liga-Bestwert. Außerdem sammelte Carson nach Kontakt im Schnitt noch 3,4 Yards pro Lauf, Platz vier in der NFL unter Running Backs mit mehr als 100 Läufen. 2018 war der Top-Läufer der Seahawks mit 85,1 von 100 Punkten laut Pro Football Focus der fünftbeste Running Back der Liga.
Wenn jetzt 2019 noch der Faktor Passspiel verstärkt und vor allem sinnvoll umgesetzt hinzukommt – so deuteten das die Trainer in der Preseason vermehrt an und so war es auch in Week 1 gegen die Bengals der Fall – wird Carson zu einem kompletten Running Back. Gegen Cincinnati gingen die Pässe auf Carson meist hinter die Line of Scrimmage, sodass sein Laufspiel praktisch einfach an einen anderen Ort auf dem Spielfeld verlegt wurde und die Vorblocker nicht O-Liner sondern Wide Receiver waren. Wenn die O-Line schwächelt, kann das durchaus ein probates Mittel sein. Aber nicht immer. Hier ein interessanter englischsprachiger Text, der sich mit der Ineffizienz von Pässen auf Running Backs beschäftigt.
@flozilla84 und @Donsta911 fragen zur O-Line: Wird die Positionsgruppe in Week 2 besser spielen? Wer ist der Backup von Guard Germain Ifedi?
Zunächst einmal die positive Nachricht: Arg viel schlechter als gegen Cincinnati kann die O-Line der Seahawks fast nicht mehr spielen. Bei Pro Football Focus liegt Seattle im Pass-Blocking nach Week 1 auf dem drittletzten Rang (46,6/100) und beim im Lauf-Blocking auf dem fünftletzten Platz (49,1/100). Negativhöhepunkt dürften die in zwei aufeinanderfolgenden Snaps kassierten Sacks Mitte des dritten Quarters gewesen sein. Tom Cable wäre stolz.
The #Seahawks offensive line allowed 10 pressures (1 sack, 4 hits, 5 hurries) on 24 dropbacks in week 1, ranking 31st in pass-blocking efficiency.
— PFF SEA Seahawks (@PFF_Seahawks) September 10, 2019
Und jetzt die schlechte Nachricht. Von den letzten neun Auftaktspielen in der Fremde haben die Seahawks acht verloren. Die O-Line war bei vielen dieser Niederlagen eine der schwächsten Positionsgruppen. Somit sind die Vorzeichen für den zweiten Spieltag in Pennsylvania bei den Pittsburgh Steelers nicht wirklich gut. Eine noch gravierendere Statistik: Unter Pete Carroll, also seit 2010, hat Seattle in den ersten zwei Wochen einer Saison nur ein einziges Auswärtsspiel (1/12) gewonnen, wogegen die Franchise in diesem Zeitraum in Heimspielen in den ersten zwei Wochen unbesiegt ist. Wir haben es hier also mit einer eklatanten Auswärtsschwäche zu Beginn der Saison zu tun, für die es irgendwie keine vernünftige Erklärung gibt. Läge es ausschließlich an der O-Line, müsste man sich die Frage stellen, warum nur auswärts und nicht daheim. Ben Baldwin von The Athletic beschäftigt sich in einem neuen Artikel mit der mysteriösen Auswärtsschwäche der Seahawks zum Saisonstart (The Athletic mit 40 Prozent Rabatt abonnieren).
Zurück zur O-Line. Auch wenn die Noten von Pro Football Focus das 2018 nur bedingt widerspiegelten (Pass-Blocking > Lauf-Blocking), haben die Seahawks den Fokus bei der Angriffslinie wie im Play Calling auf ein intensives Laufspiel gelegt. Die Verpflichtung von Mike Iupati in der Offseason dürfte ein weiteres Upgrade fürs Pass- und Downgrade fürs Laufspiel sein, wenn er am Sonntag sein Debüt im Trikot der Seahawks gibt. Nur hilft uns das bloß leider wenig, weil Seattle in beiden Bereichen extrem schwach war gegen die Bengals, die zugegebenermaßen in Sachen Pass Rush zur besseren Hälfte der Liga gehören und in Sachen Laufverteidigung knapp zur schlechteren Hälfte. Ungeschickt ist jetzt, dass die Pittsburgh Steelers in beiden Bereichen noch weiter oben angesiedelt sind. Der seit 2017 am meisten zu Boden gebrachte Quarterback, Russell Wilson, trifft auf die Defense mit den meisten Sacks seit 2017.
Daher fällt meine Antwort unterm Strich negativ aus. Auch wenn Center Justin Britt nach einer unterirdischen Week 1 – bedingt natürlich auch dadurch, dass er früh im Spiel angeschlagen war – sicher kein zweites katastrophales Spiel abliefern wird und Left Tackle Duane Brown gewiss nur ausnahmsweise schlecht gespielt hat, wird es für die O-Line der Seahawks nicht weniger unangenehm.
Und dann ist da noch Right Tackle Germain Ifedi, für viele Zuschauer zentrales Problem der schwachen O-Line. Ich versuche, mich so gut wie möglich aus dem Ifedi-Bashing rauszuhalten, kann aber schon nachvollziehen, dass wiederkehrende Muster wie Holding-Strafen und Sacks über Russell Wilsons rechte Seite Seahawks-Fans verzweifeln lassen. Das war am vergangenen Sonntag bei mir nicht anders. In vier Spielzeiten insgesamt 40 Strafen ansammeln – das war sicher mit ein Grund, warum Seattle vor der Saison die Option auf ein fünftes Vertragsjahr bei Ifedi nicht gezogen hat. Laut Depth Chart ist George Fant der Backup auf Left Tackle, wobei Jamarco Jones sicher auch in Frage käme, wenn Fant sich mehr auf diese Tight-End-Sache konzentrieren soll. Fakt ist aber auch, dass Ifedi 2018 ein solider Pass-Blocker war und ihm die Trainer weiterhin vertrauen.
@rimmusjobbus will wissen, ob Wide Receiver DK Metcalf die ganze Saison über ein Starter bleiben wird?
DK Metcalf ist Seattles bester Wide Receiver in dieser Saison. Okay, das hat nach einem Spieltag nur bedingt Aussagekraft, schon klar. Aber schaut man auf die Zahlen, wie es mein Kollege Jannis Wiese gestern in der Statistik der Woche gemacht hat, dann spricht nichts dagegen, dass Metcalf seinen Stammplatz behält.
Zwei Faktoren sind für mich zur vollständigen Beantwortung dieser Frage relevant. 1) Bleibt Metcalf gesund? Wir wissen, dass er am College eine Saison wegen einer Fußverletzung verpasste und vor dem NFL Draft 2019 mit einer Nackenverletzung ausfiel. Das ist zunächst nicht weiter dramatisch, aber eben ein Thema, das die Scouts beschäftigt. In der Preseason fehlte Metcalf den Seahawks zeitweise wegen eines kleinen Eingriffs am Knie. Doch der Rookie, der sich selbst gerne als Wolverine (Comicfigur; ein Mutant mit erhöhter Regenerationsfähigkeit) bezeichnet, war nur zehn Tage nach der Operation wieder einsatzbereit. Vielleicht liegt es an seiner geliebten Erdbeermilch.
How does DK Metcalf #KeepOnChuggin? With 14g of delicious protein in every bottle of Nesquik! pic.twitter.com/Xkhi0jVij7
— Nesquik (@Nesquik) June 27, 2019
2) Entwickelt Metcalf sich weiter? Ein Kritikpunkt im Draft-Prozess war immer, dass der Receiver nicht variabel in der Gestaltung seiner Laufwege sei und deshalb eindimensional und berechenbar. Man kennt das aus dem Baseball, dass ein neuer Schlagmann (oder ganz generell die Seattle Mariners) zu Beginn der Saison Homerun um Homerun schlägt, im Laufe der Runde aber schwächer wird, weil die Gegner nun Wege gefunden haben, ihn zu lesen und zu verteidigen. In Week 1 jedenfalls war von Eindimensionalität nichts zu sehen. Von seinen vier gefangenen Bällen waren zwei kurze Slants, einer der 42-Yard-Pass vor dem ersten Touchdown der Seahawks und einer ein Fang nach einem Scramble-Drill, als Russell Wilson aus der zusammenfallenden Pocket fliehen musste. Das spricht dafür, dass das Zusammenspiel mit dem Quarterback schon gut funktioniert (das gemeinsame Offseason-Training wirkt) und dass mehr Material in Metcalfs Playbook ist als nur die Go-Route in die Tiefe, mit der er seine Schnelligkeit ausspielen kann.
@raincityseries hat den dritten Teil seiner „Rain City Series“-Dokumentation überarbeitet. Das ist zwar mehr eine Feststellung von mir als eine Frage von ihm, wichtig ist es dennoch.
William Cornell, der Macher hinter der Doku-Serie, und ich haben eine gemeinsame Vergangenheit. Das ist witzig, weil es uns erst im Nachhinein aufgefallen ist. 2013 und 2014 waren wir beide Studenten an der University of Oregon. Während ich meine Zeit mit High-School-Football-Fotografie verbracht habe, hat er seine in die „Rain City Series“ gesteckt. Gemeinsamkeit: Wir saßen beide im gleichen Gebäude. Unterschied: Für meine Fotos interessiert sich keine Sau, für seine Serie jeder Seahawks-Fan auf dieser Welt.
Es ist schade, dass wir uns während unserer Studienzeit nicht kennenlernten. Denn Seahawks-Fans mit Vorliebe für ein anderes College-Football-Team als das der Washington Huskies haben es in Seattle schwer – vor allem, wenn dieses andere Team die Oregon Ducks, der Rivale schlechthin, sind. Immerhin wissen wir jetzt, dass wir nicht alleine sind unter 12s.
Aber gut, Schluss mit diesen alten Geschichten. Schaut Euch das Werk von Will an. Wer die Serie schon kennt, schaut sie einfach ein zweites oder drittes Mal an. Los geht’s!