Oklahoma Drill, oder neues Jahr – neues Glück? Der NFL Draft 2023 steht vor der Tür und, Stand jetzt, Pick Nummer fünf für die Seattle Seahawks. An dieser Stelle möglicherweise letztmalig der Dank nach Denver, von wegen Wilson-Trade und so … Für alle „Mock-Drafter“ unter den Football-Freunden stellt sich damit jedoch die Gretchenfrage: Welcher Spieler könnte hier den größten Impact haben? Was gilt es zu adressieren? Viele Argumente deuten auf einen Quarterback-Pick beim Draft in Kansas City hin, wo Ende April die diesjährige Show stattfinden wird.
Schließlich ist die Auswahl groß und ebenso die Chancen, einen der vielversprechenden Ballverteiler in die Emerald City zu lotsen. Bryce Young von der Alabama Crimson Tide etwa gilt bei vielen als potenzieller Nr. 1-Pick. Oder C.J. Stroud von Ohio State, der eine beeindruckende College-Karriere bei den „Buckeyes“ hinlegte. Auch in der Verlosung: Will Levis von Kentucky, dem man einen starken Arm nachsagt sowie der blutjunge Anthony Richardson von den Florida Gators, dessen Entwicklungspotenzial wohl am Höchsten ist.
Das andere Mittel der Wahl ist ebenso naheliegend wie möglich: Denn wer die Defense der Seahawks in der letzten Saison sah, kommt leicht in Versuchung, in diese investieren zu wollen. Hier könnten Seattle Elite-Prospects wie Will Anderson (Alabama) oder Jalen Carter (Georgia) in die Hände fallen. Zeit also, selbst General Manager zu spielen und damit eine neue Ausgabe des berühmt-berüchtigten „Oklahoma Drill“ der German Sea Hawkers aufzulegen. In der heutigen Ausgabe treten dabei die Autoren Henri und Thomas mit ihren Meinungen gegeneinander an.
Fix the Need oder: Welches ist die größere Baustelle?
Thomas: Nur sieht man die Phrase vor seinem geistigen Auge: Offense wins Games – Defense wins Championships. Ok, ein Regal tiefer reicht auch, denn: wie sehr hätte ich mir einen Impact-Spieler vergangene Saison in blau-grün gewünscht, der den lahmenden Pass-Rush unterstützt. Einer, der vorangeht, Sacks erzwingt und dem gegnerischen Quarterback signalisiert: Du kommst nicht vorbei! Und ja, Needs ergeben sich auf dieser Position automatisch, denn Quinton Jefferson hatte nach dreimal Seahawks Feierabend und wurde im März entlassen – außerdem: Defensive Tackle Al Woods genießt den (Un-) Ruhestand. Im Übrigen testet Poona Ford die Free Agency und so könnte die durchaus talentierte und junge Defense um Koordinator Clint Hurtt einen Leader im 3–4-Schema gut gebrauchen.
401 Punkte GEGEN die Seahawks in der vergangenen Saison – das bedeutet: nur sieben Teams hatten statistisch eine schlechtere Verteidigung als das Team aus dem US-Bundesstaat Washington. Die Show in der Defensive machen oftmals spektakuläre Interceptions der Cornerbacks oder die Sacks der Pass-Rusher. Doch ein physisch starker Defensive Tackle gibt all jenen Sicherheit, ihre Stärken noch gezielter einzusetzen, indem er Präsenz und Haltung zeigt. Nicht zu vergessen: Löcher stopfen – und da gab es zuletzt viel Arbeit bei den Seahawks. Beim fünften Pick mag es verlockend sein, ihn in die Offensive zu stecken – doch kann sich das Front Office immer darauf verlassen, mehr Punkte als der Gegner zu machen? Ein Schritt in die Zukunft und insbesondere etwas Beruhigung für die angespannten Nerven der 12s lassen mich daher in die Verteidigung investieren.
Henri: Der größere „Need“ ist für das Jahr 2023 mit Sicherheit die Defensive Line. Zumal Geno Smith nun mindestens für die kommende Saison unter Vertrag steht. Der „Need“ in der Defensive Line ist erst einmal größer, aber der Impact eines QB-Picks birgt für die langfristige Zukunft der Franchise ein viel höheres Potenzial. Letztlich ist es dann Abwägungssache, wie wichtig einem die Upside eines Quarterback-Picks inklusive billigem Rookie-Vertrag gegenüber mittelfristiger Hilfe in der Defensive Line ist. Denn eines müssen sich Seahawks-Fans auch klarmachen: Ein Quarterback-Pick an fünfter Stelle hat Bust-Gefahr. Und für einen Nicht-Quarterback-Pick an fünfter Stelle gilt genau das gleiche. Einen „sicheren“ Pick gibt es im NFL Draft nicht und ein Rookie-Defensive Linemen wird die Seahawks-Defense nicht eigenhändig reparieren können.
Thomas: Natürlich, man kann NIE in die Köpfe der Spieler hineinsehen, da gibt es auch genug Filmmaterial, dass das nicht ersetzen kann. Natürlich ist ein Quarterback-Pick, von dem man möglicherweise zu 100 Prozent überzeugt ist, lukrativ und der „günstige“ Rookie-Vertrag ist verlockend. Es bleibt also spannend im Nordwesten der USA.
With the 5th Overall Pick: The Seattle Seahawks select …
Thomas: Da ich mich bereits auf die Defensive festgelegt habe, kann der Spieler der Wahl nur Jalen Carter heißen. Sehen wir es mal realistisch: die Teams VOR den Hawks werden (bis auf Arizona) Quarterbacks draften. Carolina geht „all in“ und wird einen für die Zukunft holen, Houston muss etwas tun, um die Franchise wieder in die Spur zu lotsen und Indianapolis hat bislang einen teuren Kicker und sonst recht wenig. Blieben die Cardinals, welche auf der Position des Edge-Rushers auf Will Anderson schielen und zack: kommt Seattle. Jüngst fiel Jalen Carter beim Pro Day mit reichlich Übergewicht auf und in schlechter Verfassung auch ab – und zwar im Ranking. Der 21-Jährige galt dereinst als potenzieller „First Overall Pick“ und stand zuletzt nach einem Verkehrsunfall mit Todesfolge in den Schlagzeilen. Die Haftstrafe bleibt ihm immerhin erspart und folgenlos geht ein solches Szenario auch an einem künftigen Profi nicht vorbei.
Dennoch: Schnelligkeit und Explosivität kennzeichnen seine Stärken, die ihn trotz des Wirbels sicher in den Top 10 sehen. Für Seattle heißt es hier den „Need“ zu bedienen und nach folgendem Motto zu verfahren: den „best player available“ draften! Und wenn einer weiß, wie man die Defensive ausbildet, dann die Bulldogs: Travon Walker, Jordan Davis & Devonte Wyatt seien genannt aus der jüngsten Episode des Drafts. Im Falle von Carter ist alles drin, von „Generational Talent“ bis Problemkind. Hier zeigt er jedenfalls, warum er den Pick wert sein kann:
Talk about Jalen Carter's performance at his @GeorgiaFootball pro day all you want. Watching him on the football field should remove any doubt. The guy can be a game wrecker for years to come. pic.twitter.com/z0BngdQo35
— Glenn Naughton (@JetsPicks) March 17, 2023
Henri: Ich denke, es ist mittlerweile ein offenes Geheimnis, dass die Seahawks an der diesjährigen Quarterback-Klasse zumindest sehr interessiert sind. Ich bin sicher, John Schneider und Pete Carroll sind sich der einmaligen Chance bewusst, in einer starken Quarterback-Klasse unverhofft einen hohen Pick im Draft zu besitzen. Nie hatte Seattle unter dem Duo Schneider/Carroll einen derartig hohen Pick und es ist ungewiss, wann sich eine solche Chance wieder bieten wird.
Hinzu kommt, dass mit Levis und Richardson mindestens zwei Prospects eines Quarterback-Typs in dieser Klasse vertreten sind, den GM John Schneider bevorzugt. Beide bringen eine hohe athletische Upside und bereits eine gute Basis mit, um sich in der NFL zum Top-Quarterback zu entwickeln. Ich denke, dass C.J. Stroud und Bryce Young an Pick fünf bereits vom Board sind. Ansonsten rechne ich damit, dass die Cardinals mit dem dritten Pick Will Anderson ziehen. Nach dem Colts-Pick wird Seattle dann höchstwahrscheinlich eine Chance auf mindestens einen der vier Quarterbacks haben. Sollte Arizona zurück traden und es gehen tatsächlich alle vier Quarterbacks vor dem fünften Pick vom Board, dürfen sich alle Seahawks-Fans auf Will Anderson freuen.
Jalen Carter ist meiner Einschätzung nach für die Seahawks nach den Negativerfahrungen mit Malik McDowell wegen dessen charakterlichen Schwächen hier keine Option. Tyree Wilson ist dagegen der High-Upside Defensive Linemen, der an fünfter Stelle sicherlich auch eine Überlegung wert ist. Letztlich ist aber dieses Szenario das aus meiner Sicht wahrscheinlichste:
#1 Carolina – C.J. Stroud
#2 Houston – Bryce Young
#3 Arizona – Will Anderson
#4 Indiannapolis – Levis/Richardson
Somit wird es final wohl auf eine Wahl zwischen Tyree Wilson und einem Rookie-Quarterback (Will Levis oder Anthony Richardson) hinauslaufen. Das wäre ein großartiger Draft-Verlauf und ich tendiere immer mehr dazu zu glauben, dass Carroll und Schneider hier den Rookie-Quarterback der Zukunft holen.
Watching Anthony Richardson avoid sacks is like watching Picasso paint pic.twitter.com/TNyk3SJed3
— Matt Holder (@MHolder95) March 20, 2023
Warum in einen Quarterback investieren? Läuft doch – oder?!
Thomas: Tatsächlich sehe ich das Team von Pete Caroll kurzfristig gut aufgestellt. Geno Smith hat nicht zurückgeschrieben und es einfach verdient, bezahlt zu werden und nochmals zu beweisen, warum er das Vertrauen genießen durfte. Am Ende ist die NFL ein Business und steht noch immer für „Not For Long“ – aber zumindest für ein Jahr reicht es locker. Die Backup-Position ist auch besetzt, da bleibt also noch Luft für andere Positionsgruppen.
Außerdem: Ich finde, es ist einfacher sich in einem Quarterback zu irren, als in einem Verteidiger. Passt er ins Schema? Wie harmoniert er mit den Receivern? Ferner ist der mediale Druck auf einen QB ungleich höher, als für den vermeintlich „unsexy“ Defense-Pick. Baut man ein Team auf, braucht es einen Leader auf beiden Seiten des Balles. Und zumindest in der Verteidigung kann da ein Zuwachs an Führungspersönlichkeiten, auch nach der Rückkehr von Bobby Wagner, nicht schaden. Und zu dem Thema noch eine abschließende Phrase in diesem Absatz: Never change a Running System. Die Offensive hat die Seahawks 2022 getragen. Smith hat die Chemie mit seinen Receivern Tyler Lockett und DK Metcalf; unterstützt von Rookie Ken Walker III. Will man das wirklich ändern?
Henri: Diese Seahawks-Saison 2022 war ein voller Erfolg sowie ein Schritt in Richtung zukünftiger Super Bowl-Ambitionen. Eine Konstellation, die man sich kaum besser hätte erhoffen können. Sicherlich: Der Grundstein für den Kader ist gelegt, doch in dieser Offseason fallen dennoch die wichtigsten Entscheidungen für die nächsten Jahre. Und die wichtigste ist natürlich: Was passiert auf Quarterback? Im Draft könnte das Front Office mindestens für die nächsten vier bis fünf Jahre die Tackle-Situation bereinigen und damit ein gutes Umfeld für einen (Rookie)-QB schaffen.
Geno Smith hatte eine wirklich tolle Saison und ich war deshalb auch großer Fan der teamfreundlichen Vertragsverlängerung. Das darf allerdings keinen QB-Pick ausschließen. Und die Vertragsstruktur sagt mir auch: Die Seahawks schließen einen Quarterback-Pick an fünfte Stelle definitiv nicht aus. Bereits nach der kommenden Saison könnte Seattle sich ohne größere Cap-Belastungen von Geno Smith trennen. Ferner hätte der Rookie ein ruhiges Umfeld und wäre nicht gezwungen, sofort zu starten. Ideale Bedingungen also.
Warum mit dem fünften Pick in einen Quarterback investiert werden sollte, ist aus meiner Sicht ganz einfach: Ein erfolgreicher QB-Pick hat (nicht nur aus cap-technischen Gründen) eine viel höhere Upside als ein erfolgreicher Pick eines hervorragenden Defensive Linemen. Das muss man sich einfach klarmachen. Ich halte es für einen großen Fehler, einen Quarterback-Pick als unnützes Verbrennen von Ressourcen abzutun, mit dem Argument, dass die Seahawks etwa Will Anderson oder Jalen Carter hätten picken können. Zunächst einmal hat Seattle selbst ohne den fünften Pick, der Richtung QB gehen könnte, genügend Munition, den Kader weiter Richtung Spitzenklasse zu pushen: allein mit vier Picks in den Top 80 des 2023er-Drafts.
Überdies wird ein einziger Spieler, wenngleich er einschlägt wie ein Aaron Donald oder T.J. Watt, diese Defense nicht eigenhändig fixen. Schon gar nicht im ersten Jahr. Hier reicht ein Blick nach Detroit (Hutchinson) oder Washington (Young) aus. Ganz zu schweigen davon, dass Draft-Experten Spieler wie Will Anderson etwas schwächer einschätzen, als die absoluten Elite Edge-Prospects der letzten Jahre. Der Impact von Nicht-Quarterbacks ist schlicht zu gering. Geno Smith könnte mit knapp über 30 Jahren die Seahawks-Offense über die nächsten drei bis vier Jahre wahrscheinlich noch gut umsetzen, kommt aber natürlich auch ins Alter. Aber was ist mit den nächsten zehn Jahren? Da wird nur ein junger QB, der beispielsweise in Jahr zwei übernimmt, die langfristige Antwort sein.
Sicher, EIN Spieler wird selten alle Probleme eines Teams lösen können und es wird spannend sein, zu sehen, wie sich der „ungewohnt“ frühe Pick der Hawks umsetzen lässt. Wir sind gespannt oder wird es am Ende doch ein „Down-Trade“ und dieser Oklahoma Drill ist obsolet? Was würdet Ihr tun, wenn Ihr im Draft Room der Seahawks sitzen würdet? Oder habt Ihr andere Ideen? Diskutiert auf Social Media mit uns!