Der aktuell aufgrund von Covid-19 leere NFL-Terminkalender lässt Raum für Gerüchte. Im Pacific Northwest drehen die sich im Augenblick vor allem um zwei talentierte Passempfänger mit Makeln – Antonio Brown und Josh Gordon.
In der WhatsApp-Gruppe der GSH-Redaktion reichten die Reaktionen zu den beiden Spielern von klarer Ablehnung bis zum ausgerollten roten Teppich. Dieses Meinungsspektrum gab den Anstoß für eine neue Ausgabe des redaktionellen Streitgesprächs. Der „Oklahoma Drill“ ist zurück.
In dieser zweiten Ausgabe haben Max Brending und Max Länge diskutiert, welchen der zwei Wide Receiver sie lieber im Kader der Seattle Seahawks sehen würden.
Max L.: Gehen wir mal davon aus, dass die Seahawks nur einen von beiden Spielern – Antonio Brown oder Josh Gordon – verpflichten können, weil sie maximal sechs, eher fünf Receiver in den 90-Mann-Kader nehmen wollen und sich da gut aufgestellt sehen. Dann fällt bei mir die Wahl zwischen der unbelehrbaren, egoistischen Drama-Queen und dem introvertierten, instabilen Rückfälligen eindeutig aus. Das mag überspitzt formuliert sein, aber Brown ist für mich eine tickende Zeitbombe, die scharf geschaltet wird, sobald er wieder in der Öffentlichkeit steht. Das kann keinem Team gut tun.
Max B.: Ob man ihn mag oder nicht, Antonio Brown ist zweifellos einer der prägendsten und besten Passempfänger der vergangenen Dekade. Sein Verhalten bei den (damals noch) Oakland Raiders und New England Patriots will ich hier keinesfalls rechtfertigen. Ich bin selbst etwas überrascht von mir, aber der Gedanke, dass Russell Wilson, einer der zwei besten Quarterbacks der Liga, bald seine tiefen Bälle nicht nur auf Tyler Lockett und DK Metcalf, sondern auch auf Antonio Brown werfen könnte, ruft bei mir eine gewisse Euphorie hervor. Als tickende Zeitbombe würde ich ihn nicht sehen, da das Risiko einer Verpflichtung überschaubar bleibt. Wilson selbst spricht sich für ihn aus, würde vermutlich gut mit ihm klarkommen. Sollte AB sich nicht verändert haben, ist man in Seattle dennoch so gut aufgestellt auf Receiver, dass ein Cut nicht allzu sehr schmerzen sollte.
Max L.: Diese Euphorie kann ich durchaus nachvollziehen, ich wünsche mir auch, dass die Seahawks „Russell Wilson kochen lassen“. Jedoch bezweifle ich stark, dass sich an der Philosophie der Seahawks groß etwas ändern wird. Schon Josh Gordon hat 2019 kaum das Feld gesehen, als er in Seattle war. Mit der limitierten Anzahl an tiefen Targets in einer nicht primär aufs Passspiel ausgelegten Offense gäbe es da auch für Antonio Brown nicht viel zu fangen. Und man hat ja bei den Pittsburgh Steelers gesehen wie er reagiert, wenn er nicht die erste Geige spielt. Mit einer David-Moore- oder Malik-Turner-Rolle wird er sich nicht abgeben. Josh Gordon hat bewiesen, dass er mit dieser Situation zurecht kommt – und in den wichtigen Momenten fürs Team da ist, ohne Ansprüche zu stellen. Genau diesen Typ Spieler braucht Seattle jetzt noch.
Auswirkungen auf die Stimmung in der Kabine
Das finanzielle Risiko hält sich natürlich bei beiden durch einen Cut in Grenzen. Aber soll man sich dann diesen Störfaktor – Brown fiel in schöner Regelmäßigkeit immer wieder auf, seit er wegen interner Streitigkeiten von den Steelers verramscht wurde – wirklich ins Haus holen? Da gibt es Vorwürfe der sexuellen Belästigung, der Vergewaltigung, des Diebstahls sowie unbezahlte Rechnungen, Auseinandersetzungen mit der Polizei und Tätlichkeiten. Die kann man mit einer schweren Kindheit und Jugend nicht legitimieren, doch man sollte diesen Aspekt zumindest nicht vergessen. Und auch wenn die Frequenz der Zwischenfälle zuletzt geringer wurde – Überstunden in der PR-Abteilung sind mit Brown im Kader vorprogrammiert.
Zudem war vorlautes Verhalten schon in den vergangenen Jahren mit ein Grund dafür, dass Pete Carroll sich von Spielern trennen wollte (siehe Michael Bennett und Richard Sherman), um die Stimmung in der Kabine zu retten. Und Russell Wilsons Wunsch nach weiteren Stars (falls da in Bezug auf Brown was dran ist) kamen die Verantwortlichen bislang auch nicht nach. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie ihre Prinzipien nun gerade bei Brown vernachlässigen.
Max B.: Vielleicht bin ich zu naiv, aber ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass sich nach einer möglichen Brown-Verpflichtung rein gar nichts an der Philosophie ändern würde. Andernfalls müsste man sich dann auf Antonio Browns Run-Blocking-Stats konzentrieren.
Seine privaten Probleme sind größtenteils geklärt, er hat sich auf einen Deal eingelassen und gilt auch nicht als vorbestraft, sollte er sich an die Auflagen halten. Das von mir angesprochene geringe Risiko gilt hierbei nicht allein für Seattles Finanzen, sondern meiner Meinung nach auch für den Locker Room. Sollte Brown eine weitere Show abziehen, ist er schneller weg, als er gucken kann. Viel Zeit, um den Seahawks die Stimmung madig zu machen, wird ihm nicht bleiben.
Rein sportlich gesehen könnte Brown der dominante Nummer-eins-Receiver sein, den Russell Wilson in seiner Karriere nie hatte. Lockett und Metcalf sind ein kongeniales Duo, aber mit einem Antonio Brown an ihrer Seite könnte man gegnerische Secondarys in die Verzweiflung stürzen. Josh Gordons letzte und einzige 1000-Yard-Saison liegt mittlerweile sieben Jahre zurück. Sicherlich würde man eine Rolle für ihn finden. Bereits vergangene Saison hat er in entscheidenden Momenten gezeigt, dass auf ihn Verlass ist, aber reicht uns das? Hilft Gordon den Seahawks, einen Schritt näher in Richtung Super Bowl zu rücken? Ein Spieler, der bei den Hawks elf Targets in fünf Spielen bekam? Wohl eher nicht. Mit Gordon würde man die sichere Variante wählen, aber AB könnte die Seahawks erneut an die Spitze der NFL heben.
Max L.: Ich glaube, da ist ein wenig der Wunsch Vater des Gedanken. Die Seahawks haben Russell Wilson, den besten Tiefpasser der Liga, der als reiner Werfer ebenfalls ganz weit vorne dabei. Wenn sie für ihn die Philosophie nicht umstellen, werden sie es auch für Antonio Brown nicht tun. Aber ich hoffe natürlich mit Dir – unabhängig von Antonio Brown.
Die Receiver-Zukunft der Seahawks – gefördert von Antonio Brown oder Josh Gordon
Bleiben wir mal beim Thema Nummer-eins-Receiver. Ich traue DK Metcalf 2020 den Sprung zur ersten Anspielstation Russell Wilsons und somit vorbei an Tyler Lockett zu. Blicken wir zurück auf die vergangenen Jahre, sind Lockett und Doug Baldwin die zwei Spieler, die die Wilson-Ära als Receiver am meisten geprägt haben. Bei beiden dauerte es fünf bzw. vier Jahre, ehe sie in einer Saison mal die 100 Targets erreichten. Metcalf schaffte genau das bereits in seiner Rookie-Spielzeit. Das will etwas heißen, denn 100 Targets fallen in Seattle nicht einfach vom Himmel. Metcalf nun bei sowieso schon limitierten Targets Antonio Brown vor die Nase zu setzen – bei dem ich nach mehreren längeren Pausen nicht pauschal von Bestleistungen ausgehen würde – wäre für den Nachwuchsspieler nicht förderlich. Er braucht mehr Catches (auch um Schwächen beispielsweise beim Fangen abzustellen). Die bekommt er nur mit mehr Targets und somit ohne Brown.
Was spricht aus meiner Sicht für den zwei Jahre jüngeren Gordon (29)? Er kennt das System aus der vergangenen Saison, ist eine zuverlässige Anspielstation und stellt keine hohen Ansprüche. Der Mann will einfach nur Teil eines Teams sein und nimmt den aufstrebenden Jungstars wie Metcalf nicht die Targets weg. Sein letzter Rückfall war laut Anwalt auch bedingt durch den Tod seines Bruders. Er braucht die richtigen Menschen an seiner Seite – und scheint die in Seattle gefunden zu haben. Er trainiert mit mehreren Seahawks-Spielern, versteht sich mit ihnen und fühlt sich im Pacific Northwest heimisch (das ist für einen offenbar nicht stabilen Menschen wichtig, um den richtigen Weg zu finden). Und er wäre bei Freigabe seiner Spielerlizenz durch die NFL direkt einsatzberechtigt, während auf Brown möglicherweise noch eine Sperre von Seiten der Liga wartet, falls ihn ein Team verpflichtet.
Max B.: Dass DK Metcalf die Chance hat, Lockett in Receptions und Yards zu überholen, denke ich auch. Er hat viele Experten überrascht, die ihm vorwarfen lediglich Slant-, Comeback- und Go-Passwege laufen zu können. Dennoch wird Metcalf vermutlich immer gewisse Limitierungen im Route Tree haben, die ihn davon abhalten, auf eine Stufe mit Receivern wie Brown, DeAndre Hopkins oder Julio Jones zu kommen. Versteh mich nicht falsch, Metcalf ist die Zukunft und wird uns allen noch viel Spaß bereiten. Aber ein, zwei Jahre Antonio Brown an seiner Seite müssen nicht zu seinem Nachteil verlaufen. Auch wenn Brown bisher nicht den Eindruck gemacht hat, junge Spieler unter seine Fittiche zu nehmen, bestünde schon die Möglichkeit, dass sich DK die ein oder andere Sache beim erfahrenen Veteranen abschaut.
Josh Gordon ist zwar jünger als Brown, hat allerdings bis auf 2013 nie wirklich auf ähnlichem Level performen können. Die Vergangenheit hat immer wieder gezeigt, dass es enorm schwierig für ihn war, von seiner Sucht loszukommen. Auch wenn die Einnahme von Cannabis durch den neuen Tarifvertrag zwischen NFL und Spielergewerkschaft unproblematischer wird, kamen da bei ihm in der vergangenen Saison auch noch leistungssteigernde Substanzen hinzu.
Ob er es schafft, all diesen Mitteln abzuschwören, steht ebenso in den Sternen wie das Verhalten Antonio Browns. Beide haben mit mentalen Problemen zu kämpfen, auch wenn sie sich unterschiedlich äußern und Browns Probleme sich auch sehr unschön auf seine Mitmenschen ausgewirkt haben. Ich denke, ich würde es so formulieren: Hätten die Seahawks einen großen Need auf Wide Receiver, wäre Gordon die sicherere Variante. In unserem jetzigen Szenario bleibe ich aber bei der höheren Upside des 31-jährigen Brown.
Max L.: So kann man das zusammenfassen. Es ist ein bisschen wie im Kasino. Wer höher gewinnen will, muss oftmals mehr riskieren. Beiden ist jedenfalls zu wünschen, dass sie ihre Probleme in den Griff bekommen (haben). Und sollte es am Ende Brown werden, findet er hoffentlich in Seattle den passenden Helm.
Wie denkt Ihr über Antonio Brown und Josh Gordon? Würdet Ihr einen von ihnen in den Kader holen? Bastelt hier jetzt Euren Seahawks-Kader und diskutiert auf Social Media mit uns!