Eine Woche durchgeatmet, und dann? Genau das ist die Frage, die sich alle 12s stellen dürften, wenn es darum geht, wie die Seattle Seahawks aus ihrer Bye Week herauskommen. Auf der einen Seite ist nach Week 9 und den Ergebnissen der anderen relevanten Teams aus der NFC weiter zumindest die Aussicht auf den Wild Card-Spot und damit einen Playoffteilnahme für die Truppe aus dem Pacific Northwest drin. Auf der anderen ist es für eine Mannschaft, die aktuell bei einer Bilanz von 3-5 steht auch nicht ausgeschlossen, dass das Team von Head Coach Pete Carroll sich schneller als man sich es wünscht aus dem Rennen um die Postseason, zumindest für 2021, ein für alle Mal verabschiedet. Schließlich stehen in den kommenden beiden Wochen zwei Spiele gegen Gegner an, die doch etwas schwerer zu schlagen sind als die Jacksonville Jaguars.
Die größte sportliche wie auch führungstechnische Hilfe, die die Seahawks bei ihrer anstehenden Auswärtstour nach Wisconsin im Kader haben können, trägt die Trikotnummer 3. Gemeint ist natürlich QB Russell Wilson. Nach seiner Fingerverletzung, die sein behandelnder Arzt Dr. Steve Shin nach eigener Aussage in dieser Schwere noch nie an der Wurfhand eines NFL-Quarterbacks gesehen hatte, ist der wichtigste Spieler für Seattle wieder dabei. Und er ist nicht der einzige. Denn auch Rookie-WR Dee Eskridge wurde nach seiner schweren Gehirnerschütterung, die er in Week 1 bei den Indianapolis Colts erlitt, unter der Woche wieder zum Trainingsbetrieb zugelassen. Genau wie RB Chris Carson am Mittwoch und – der Vollständigkeit halber – CB Nigel Warrior. Damit könnte zumindest auf die Offensive der Seahawks der Funken überspringen, der den Nachbrenner der Abteilung Attacke endlich zum Glühen bringt. So, wie sich die Fans das schon das ganze Jahr über wünschen. Und wer weiß, vielleicht gibt es dazu ja doch noch eine nicht unwichtige Free Agent-Verpflichtung…
Inwieweit die Defensive aus Seattle ihren Aufwärtstrend aus den letzten Wochen auch in Green Bay bestätigen kann, hängt auch von einer einzigen Personalie ab, und zwar einer aufseiten des Gegners. Denn ob, und wenn ja welche, Konsequenzen QB Aaron Rodgers nach seinem positiven Corona-Test im Angesicht seines Status als Ungeimpfter von der NFL befürchten muss, steht noch in den Sternen. Sicher ist dagegen, dass der junge Backup-QB der Packers, Jordan Love, seine Sache bei seinem ersten Start in der NFL am vergangenen Sonntag bei den Kansas City Chiefs zwar nicht schlecht und relativ fehlerlos absolviert hat. Trotzdem: So kurzfristig adäquat die Fußstapfen des amtierenden MVP der Liga zu füllen, ist für keinen Spielmacher in diesem Alter wirklich realistisch. Entsprechend einfacher könnte es für die Defense der Seahawks sein, den jungen Quarterback aus Wisconsin mental und spielerisch ins Wackeln zu bringen, als den kommenden Hall of Famer.
Das Spiel:
- Kickoff: Sonntag, 22.25 Uhr
- Austragungsort: Lambeau Field (Freiluft, Naturrasen)
- Wettervorhersage: 4 Grad Celsius, Bewölkt
- Schiedsrichter: Brad Allen
- Empfang: NFL GamePass, DAZN, ran
- Wettprognose: Seahawks +3,5
- Hashtag: #SEAvsGB
Der Injury Report:
Ja, QB Russell Wilson (Finger), RB Chris Carson (Nacken) und WR Dee Eskridge (Gehirnerschütterung) tauchten zu Beginn der Trainingswoche nicht auf dem Practice Report der Seahawks auf. Sorgen müssen sich die 12s aber zumindest bei Wilson und Eskridge nicht machen. Beide wurden am Freitag wieder in den 53 Mann-Kader aktiviert und werden daher gegen die Packers spielen. Anders verhält es sich bei Carson, der laut Pete Carroll noch nicht so weit in seinem Heilungsprozess ist und daher leider weiter ausfallen wird. Dazu wird verwunderlicherweise weiter S Marquise Blair (Knie) nach seiner Saison-beendenen Operation noch als „Out“ geführt. Ebenfalls ausfallen werden LB Cody Barton (Oberschenkel) und CB Bless Austin (aus persönlichen Gründen). Fraglich ist zudem der Einsatz von DT Al Woods (nicht verletzungsbedingt).
Bei den Packers ist die Einsatzfähigkeit von TE Dominique Daffney (Oberschenkel), DT Kingsley Keke (Gehrinerschütterung) sowie OT David Bakhtiari (Knie) zweifelhaft. Als fraglich zählen DT Kenny Clark (Rücken), WR EQ St. Brown (Knöchel) und CB Eric Stokes (Knie).
Updated #Seahawks injury report for their Week 10 game at Green Bay. LB Cody Barton has been downgraded to out: pic.twitter.com/7lM0NnZwQF
— John Boyle (@johnpboyle) November 12, 2021
Die Matchups:
Seahawks-Quarterback Russell Wilson vs. Packers-Defense: Es war bezeichnend, als Seahawks-Head Coach Pete Carroll in der Woche nach der Verletzung seines Quarterbacks in einer Pressekonferenz sinngemäß sagte, dass er ohne Russell Wilson wahrscheinlich nie so lange Cheftrainer in Seattle sein würde. Auf der Suche nach dem ohnehin unumstrittenen Elite-Status von Wilson lässt sich das schon beim Blick auf die blanken Statistiken der aktuellen Saison voll und ganz bestätigen. Rein von den Total Stats liegt RW3 mit einer Completion Percentage von 72,0 Prozent nur knapp hinter Kyler Murray auf Platz 2 im ligaweiten Quarterback-Vergleich. Und mit einem Passer Rating von 125,3 führt er das Feld der Spielmacher mit großem Vorsprung an.
Doch wenn man etwas tiefer ins Zahlenwerk springt, dann wird deutlich wie schwer der Verlust von Wilson in den letzten drei Spielen gewogen hat. Mit dem Franchise-Player lieferte die Offense der Seahawks bei ihren beiden Niederlagen gegen Tennessee und Minnesota im Bereich der Expected Points-Metrik 13,29 bzw, 14,86 Punkte ab. Ohne Russell Wilson holte Seattles ohnehin etwas lahmende Abteilung Attacke in Pittsburgh und gegen New Orleans nicht nur keinen Sieg, bei den Expected Points stand man sogar bei -3,89 bzw. -6,87 Punkten. Entsprechend froh können nicht nur die 12s sein, dass Wilson in Green Bay wieder auf dem Platz stehen wird. Mit gerade einmal 19,8 zugelassenen Punkten pro Spiel rangiert die gesamte Defense der Packers aktuell auf dem 7. Platz in der NFL. 321,2 insgesamt zugelassene Yards pro Spiel und im Schnitt 210,4 zugelassene Passing Yards sind ebenfalls locker Top-10 in der Liga.
Seahawks-Secondary vs. Packers-WR Devante Adams: Anders als ihre Passverteidiger-Kollegen aus Wisconsin steht die Secondary der Seahawks aktuell noch am anderen Ende des defensiven NFL-Spektrums. Obwohl sich die Leistung der Cornerbacks und der Safetys in den letzten Wochen seit der Verletzung von Russell Wilson, wie die gesamte Verteidigung aus Seattle, leistungstechnisch stabilisiert hat, lassen sie im Schnitt bislang trotzdem 273,9 Passing Yards pro Spiel zu. Ligaweit bedeutet das aus 32 Teams nur den 28. Platz! Und genau in diesem Moment lassen wir dann einmal den Namen von Packers-WR Devante Adams fallen.
Nach der Saison wird Green Bays Nr. 1-Receiver Free Agent und deshalb spekulieren Experten schon, ob ihn sein neuer Vertrag – wo auch immer er ihn unterschreiben mag – zum höchstbezahlten Wide Receiver in der NFL-Geschichte macht. In Kombination mit einem fähigen Quarterback wie Aaron Rodgers ist Adams nämlich in der Lage selbst gegen die besten Passverteidiger der NFL Spiele im Alleingang zu übernehmen. Gezeigt hat er das in dieser Saison zwar noch nicht so eklatant. Mit drei Touchdowns hat er zum Beispiel fünf weniger gefangen als Seahawks-WR DK Metcalf. Dafür liegt Davante Adams mit 786 gefangenen Yards schon wieder in den Top-4 der Liga. Und genau das könnte aufseiten von Seattle für die CBs DJ Reed und Tre Brown zum Problem werden, den Adams zu covern ist alles andere als eine dankbare Aufgabe. Sollten sie auf der anderen Seite aber gegen die offensive Waffe der Packers bestehen und ihn größtenteils aus dem Spiel nehmen, könnte das Cornerback-Tandem der Seahawks für die nächsten Jahre gefunden sein.
Seahawks-Running Backs vs. Packers-Rushing Defense: Nacken hin, Nacken her, Chris Carson ist wieder da. Zumindest auf dem Trainingsplatz. Hier durfte er nach seiner Verletzung unter der Woche nämlich wieder stehen, nachdem die Seahawks ihn als letzten Schlüsselspieler von der Injured Reserve-Liste geholt hatten. Ein (mittlerweile nicht mehr möglicher) Einsatz des Nr. 1-Backs aus Seattle dürfte für die Offense in Green Bay sehr wichtig sein, auch um durch ein halbwegs passables Laufspiel Druck von Russell Wilson im Passpiel zu nehmen und gefährliche Play Action-Konzepte laufen zu können. In Carsons Abwesenheit hat RB Alex Collins dessen Rolle als Starter „ok“ ausgefüllt. Gegen Pittsburgh erlief Collins starke 101 Yards, bevor er gegen New Orleans nur 35 Yards und gegen Jacksonville 44 Yards verbuchen konnte. Weil es dabei kaum Hilfe von RB DeeJay Dallas gab und RB Rashaad Penny lediglich als „anwesend“ notiert werden konnte, wäre die Rückkehr von Chris Carson so wichtig. Denn anders als die Passverteidigung ist die Run Defense der Packers mit 110,8 zugelassenen Rushing Yards pro Spiel tatsächlich nur Mittelmaß. Und mit der Qualität von Carson sowie halbwegs intelligenten Laufspielzügen, könnte Seattle diese wortwörtliche „Lücke“ in der Geen Bay-Defense ja einmal ausnützen.
Der X-Faktor: Aaron Rodgers
Es ist eine Frage, auf die die Antwort sehr einfach ist und die die 12s nur allzu gut kennen: Spielt Dein Franchise-Quarterback, bist Du Playoff- oder sogar Super Bowl-Contender. Spielt er nicht, dann hast Du in der NFL ein massives Problem. Bei Aaron Rodgers, ob man ihn jetzt nun mag oder nicht, genügt wie auch bei Russell Wilson der erste Blick auf die Zahlen, um zu zeigen, wie groß sein Einfluss auf die Leistung seines Teams ist. Sein QBR liegt in dieser Saison bei 65,6. Besser sind hier nur Matthew Stafford und Tom Brady. Bei 1894 Passing Yards und 17 Touchdowns hat Rodgers zudem nur drei Interceptions geworfen. Eine Completion Percentage von 67,1 und 7,3 Yards pro geglückten Anspiel. Und, und, und… Auch wenn es heißt, dass Total Stats nicht immer aussagekräftig sind. In den Sphären eines Aaron Rodgers sind sie es doch schon irgendwie und wenn sie nur dazu da sind, um seinen Elite-Status zu unterstreichen.
- Spieler des Spiels: Russell Wilson. Wer, wenn nicht er. In seinem Comeback-Spiel wirft der Anführer der Seahawks über 250 Passing Yards und einen Touchdown. Dazu findet er zu Fuß auch einmal selbst die Endzone.
- Statistik des Spiels: Elfmal sind die Seahawks seit dem Jahr 1981 zu einem Auswärtsspiel ins legendäre Lambeau Field gereist. Dabei kassierte Seattle gegen Green Bay zehn Niederlagen. Den ersten und bis ins Jahr 2021 einzigen Sieg in der „Frozen Tundra“ gab es am 1. November 1999. Nach vier Interceptions von Brett Farve stand dort am Ende ein deutlicher 27:7-Erfolg für das Team von Ex-Packers-Head Coach Mike Holmgren.
- Anekdote des Spiels: „We want the ball and we’re gonna score!“ oder „Wir wollen den Ball und wir werden punkten!“ Diesen mittlerweile legendären Satz brachte Matt Hasselbeck nach dem Coin Toss zur Overtime im NFC Championship 2003 über die Lippen. Gespielt wurde an diesem 4. Januar 2004 in Green Bay, Wisconsin. Im Lambeau Field traf der Seahawks-Quarterback auf sein altes Team, das im ersten Drive der Verlängerung direkt einen Pass von ihm abfing und den Ball sofort als Pick-6 zum 33:27-Sieg der Packers in die Endzone trug.
Der Hype-Faktor: Russell „Mentalitätsmonster“ Wilson
Andere kommen von Verletzungen dank gutem Heilfleisch zurück. Das hat der Franchise-Quarterback der Seattle Seahawks auch, und puren Willen…
It’s Time. pic.twitter.com/DVdHxn9hos
— Russell Wilson (@DangeRussWilson) November 8, 2021
Das Fazit:
Es ist klar: Auch mit Russell Wilson dürfte es die in diesem Jahr launische Seahawks-Diva bei Spiel in Green Bay schwer haben. Zu oft haben Coaching Entscheidungen und verwunderliche Schemes dazu geführt, dass die Offense aus Seattle 2021 auch nicht einmal ansatzweise das Potenzial zeigen konnte, was viele vor Beginn der Saison erwartet hatten. Doch wenn das Passspiel über kurze Distanz, auf Tight Ends und über Play Action einmal variabel gestaltet wurde und dazu die Runnig Backs nicht mit dem Kopf zuerst in ein überlebensgroßes Knäul aus Offensive und Defensive Linemen geschickt wurde, dann konnte selbst Geno Smith gegnerische Defenses wie etwa die aus LA vor Probleme stellen.
Gleiches gilt für die Defensive. Sobald sich Bobby Wagner, Jamal Adams, Quandre Diggs, Poona Ford und Co. auf ihre Kernkompetenzen besinnen durften, stotterte der Motor hier schon weniger. Und als dann noch vermehrt das junge Blut von Darrell Taylor, Alton Robinson und Tre Brown injiziert wurde, begann das Aggregat schon fast zu schnurren. Und das dürfte es auch in der winterlichen Atmosphäre von Green Bay tun. Sollten sich Ken Norton Jr., Pete Carroll und Shane Waldron dazu entscheiden ihr Team in den vierten und gar fünften Gang schalten zu lassen und sie durch „interessante“ Entscheidungen an der Seitenlinie nicht im ersten Gang absaufen zu lassen, dann könnte man auch knapp gegen die Packers bestehen. Hoffentlich…
Prognose: Die Seattle Seahawks gewinnen 20:17.