Leugnen, Wut, Verhandeln… Gefühlt gehen die 12s weltweit aktuell durch die fünf Phasen der Trauer, denn die Seattle Seahawks scheinen nach zehn Jahren Erfolg pur in der NFL jetzt auf dem Weg in den Keller der Liga zu sein. Mit einer Bilanz von 3-7 steht das Team aus dem Staate Washington nach der vollkommen verdienten Niederlage gegen die Arizona Cardinals und deren Ersatz-QB Colt McCoy so schlecht da wie noch nie in der Russell Wilson-Ära. Und ausgerechnet jetzt steht in Week 12 ein Auswärtsspiel beim formstarken Football Team aus der US-Hauptstadt Washington an.
Hier muss das Team von Head Coach Pete Carroll mit den jetzt sicheren, monatelangen Ausfällen von RB Chris Carson und CB Tre Brown zurechtkommen. Auf der einen Seite bietet das daraus resultierende Personalpuzzle bei den Seahawks die Chance für Reservespieler sich mit guten Leistungen in den Vordergrund und damit auch in die Stammformation zu spielen. Auf der anderen Seite haben die letzten Spiele gezeigt, dass Seattles Bank an der Seitenlinie leider nicht so tief besetzt ist, wie es viele gehofft haben. Und apropos Seitenlinie: Die Saison 2021 hat bislang ganz deutlich gezeigt, wie wichtig der Faktor Coaching für die elf Spieler auf dem Feld ist, wenn sie selbst auf der Suche nach ihrem Selbstvertrauen und ihren persönlichen, spielerischen Stärken sind. Entsprechend stark muss die Führung von Außen sein.
Und dass genau die beim Gegner aus Washington da ist, haben die letzten Wochen gezeigt. Gerade gegen Tampa Bay und mit Abstrichen auch gegen Carolina war das Football Team alles andere als Favorit. Doch mit dem Mut von Head Coach Ron Rivera schaffte es QB Taylor Heinicke seine Mitspieler auch in scheinbar schlechten Situationen souverän über das Feld zu führen. Vor dem Hintergrund, dass die Truppe aus der US-Hauptstadt dabei auf zwei Eckpfeiler ihrer hochgelobten Defense verzichten musste, ist dabei umso bemerkenswerter und lässt dabei für die Seahawks eigentlich nichts gutes vermuten.
Das Spiel:
- Kickoff: Dienstag, 2.15 Uhr
- Austragungsort: FedEx Field (Freiluft, Naturrasen)
- Wettervorhersage: 8 Grad Celsius, Bewölkt
- Schiedsrichter: Clay Martin
- Empfang: NFL GamePass, DAZN
- Wettprognose: Seahawks +1,5
- Hashtag: #SEAvsWFT
Der Injury Report:
Im Laufe der Trainingswoche mussten die Seattle Seahawks am Freitag in den Übungseinheiten auf OLB Benson Mayowa (Knie), WR DK Metcalf (Fuß), SS Jamal Adams (Leiste) und CB Sidney Jones (Schulter) verzichten. Eingeschränkt mittrainieren konnten dagegen RB Alex Collins (Bauch), LB Jordyn Brooks (Hüfte) und CB D.J. Reed (Knie).
Aufseiten des Washington Football Teams konnten drei Tage vor dem Spiel OT Sam Cosmi (Hüfte), C Tyler Larsen (Knie) und TE Ricky Seals-Jones (ebenfalls Hüfte) nicht mittrainieren.
#Seahawks practice report for Friday: pic.twitter.com/N99Dd6SLFe
— John Boyle (@johnpboyle) November 27, 2021
Die Matchups:
Seahawks-Passing Offense vs. Washington-Pass Defense: Die Offensive der Seahawks, gerade durch die Luft, ist 2021 nicht gut. Gerade WR DK Metcalf und TE Will Dissly haben in den letzten Wochen mehrfach einfache Pässe fallen gelassen. Dazu kämpft QB Russell Wilson mit seiner Zielgenauigkeit. Insgesamt hat Seattle also den Ball nicht lang genug in den eigenen Händen. Mit 5,1 Plays pro Drive liegt man auf dem letzten Platz in der NFL. Jeweils 2 Minuten und 11 Sekunden Ballbesitz und 28,9 Yards pro Drive bedeuten beides den 29. Rang. Auf der anderen Seite ist aber nicht alles schlecht. Nur sechs Prozent der Drives enden mit einem Turnover und 5,6 Punkte in der Redzone bedeuten jeweils Top-5-Platzierungen.
Mit 2.700 zugelassenen Passing Yards liegt die Pass Defense des Football Teams in dieser Saison auf Rang 28 der NFL. Und genau das muss Seattle ausnutzen, indem man sich im Passspiel auf seine Stärken besinnt und die liegen bei Russell Wilson ganz klar im Bereich Play Action. Setzen tun die Seahawks darauf aber nicht, im Gegenteil. Bei knapp einem Viertel der Passversuche (27 Prozent) wird das Konzept angewandt, obwohl Wilson und seine Receiver hier 12 Yards pro Play machen. Mit Abstand der Topwert in der Liga. Zum Vergleich: Cardinals-QB Kyler Murray liegt hier aktuell bei 36 Prozent Play Action und Bills-QB Josh Allen bei 32 Prozent. Im Gegensatz dazu macht Seattles Spielmacher bei Drop Backs 6,8 Yards pro Versuch, was genau auf dem NFL-Durchschnitt liegt. Weit darunter liegt dagegen die Effektivität bei 3rd Down. Während sie bei ersten und zweiten Versuchen in Sachen Yards pro Play Top-5 sind, liegen die Seahawks mit 6,6 Yards bei 3rd Down in den Top-10, von hinten. Kombiniert mit der Tatsache, dass Pete Carroll die zweitwenigsten 4th Downs ausspielen lässt, wenn die Offense aus analytischer Sicht dafür gehen sollte, verheißt das gegen Washingtons Coverage nichts Gutes. Denn hier das Football Team besonders stark.
Seahawks-Offensive Line vs. Washington-Defensive Line: Im Training Camp wurde der neue Offensive Coordinator Shane Waldron noch als Magier bezeichnet, doch diese Zauberei scheint vorerst verflogen. Mit seinem inkonstanten Play Calling tut er dabei vor allem der Offensive Line weh, die sich nicht auf das einstellen kann, was sie am jeweiligen Spieltag gut umsetzt. Zum Beispiel gegen die Steelers und gegen die Packers funktionierte das Run Blocking sehr gut. Doch anstatt auf das zu setzen, was hier gut funktionierte, während der eigene Quaterback im Passspiel Probleme hatte, legte Waldron den Ball immer wieder in die Hände von Geno Smith und Russell Wilson. Über die Frage, dass das Run Game nicht so effektiv ist, wie das Passing Game braucht man nicht zu streiten. Warum über das Play Calling hier dann aber Druck auf die O-Line aufgebaut wird, indem sie einen schwächelnden Spielmacher lange beschützen muss, wirft schon Fragen auf.
Gegen eine Defensive Line aus Washington, die zwar mit den Pass Rushern Chase Young und Montez Sweat zwei ihrer wichtigsten Stützen vermisst, aber trotzdem mit First Roundern gespickt ist, wird die Aufgabe für OT Duane Brown, G Gabe Jackson, C Ethan Pocic und Co. eine ohnehin schwere. Gerade die DTs Jonathan Allen (sechs Sacks, 21 Quarterback Hits und acht Tackles for Loss) und Daron Payne (2,5 Sacks, acht Quarterback Hits und zwei Tackles for Loss) sorgen durch die Mitte konstant für Druck. Umso wichtiger ist es für Seattle, das Laufspiel etwa durch Jet Sweeps vor dem Snap effektiver zu machen, indem man mit diesen Bewegungen der O-Line Hinweise auf das Reaktionsverhalten der Defensive Line gibt. Leider machen die Seahawks das aber nur bei 15 Prozent der Laufspielzüge, während es bei den LA Rams, den Green Bay Packers und den Baltimore Ravens, die alle ein gutes Running Game auf den Rasen bringen, jeweils über 20 Prozent sind.
Seahawks-Pass Defense vs. Washington-QB Taylor Heinicke: Mehr als 40 Minuten stand die Defense der Seattle Seahawks im Heimspiel gegen die Arizona Cardinals auf dem Feld und war damit gerade gegen Ende des Spiels vollkommen erschöpft. Die Folge: Teils haarsträubende Fehler in der Deckungsarbeit. Mit dem Blick auf den Quarterback des kommenden Gegners aus Washington, QB Taylor Heinicke, bedeutet diese Statistik nichts gutes. Nicht nur das der Spielmacher des Football Teams nach zwei Siegen in zwei Wochen formstark und selbstbewusst ist, er ist auch ein kleiner Meister darin Drives in die Länge zu ziehen wie Pete Carroll seine knallpinken Kaugummis. So legte er etwa gegen die Tampa Bay Buccaneers einen Scoring Drive hin, der mehr als zehn Minuten dauerte!
Insgesamt lieferte Heinicke gegen den amtirenden Super Bowl-Champion und die Carolina Panthers zwei seiner besten Karrierespiele ab. So blieb er jeweils ohne Interception, warf für vier Touchdowns und brachte mindestens 72 Prozent der Pässe an den Mann. Im Quarterback Rating schlug sich das mit einem Wert von 110,4 und 141,3 (von maximal 158,3) nieder. Davon profitiert dann vor allem WR Terry McLaurin, der in dieser Saison nicht nur einer der besten Receiver in der Liga ist, wenn es darum geht umkämpfte Bälle gegen generische Defensive Backs zu fangen. „Scary Terry“ hat bislang 735 Yards, fünf Touchdowns und 13,6 Yards pro Anspiel gefangen. Damit spielt er in einer Liga wie DK Metcalf (637 Yards, acht Touchdowns und 13,8 Yards pro Anspiel) und dürfte damit die Passverteidiger der Seahawks auf den Außenbahnen vor arge Probleme stellen. Gerade weil der aktuell gesündeste Cornerback aufseiten von Seattle Bless Austin heißt, nachdem Tre Brown für den Rest der Saison ausfällt und D.J. Reed sowie Sidney Jones mehr oder weniger schwer angeschlagen sind.
Der X-Faktor: Russell Wilsons rechter Mittelfinger
Weniger als 55 Prozent Completion Percentage, nicht mehr als 210 Passing Yards, zwei Interceptions und kein Touchdown. In den zwei Spielen nach seiner verletzungsbedingten Pause scheint Russell Wilson einfach noch nicht der alte zu sein. Dass ihn sein rechter Mittelfinger noch beeinträchtigt, ist selbst in der Außenansicht am TV relativ offensichtlich. Genau wie die Tatsache, dass sich der ultra-ehrgeizige Quarterback der Seahawks das nicht so richtig eingestehen kann. Und so sehr die 12s ihn auch für seine Magie auf dem Feld lieben, aktuell scheint sie einfach nicht da zu sein. Und bevor Houdini nicht vollkommen fit ist, wird es auch erstmal so bleiben, dass Seattle in der NFL tatsächlich nur unteres Mittelmaß ist.
- Spieler des Spiels: Alex Collins. Für den Rest der Saison muss er jetzt die Dienste als Running Back Nr. 1 der Seattle Seahawks von Chris Carson übernehmen. Gegen das Football Team erläuft Collins mindestens starke 125 Yards und einen Touchdown.
- Statistik des Spiels: 9.5 Sacks. Damit stellte Jamal Adams letztes Jahr einen NFL-Saisonrekord für Defensive Backs auf. Die neue Bestmarke setzte er am 20. Dezember 2020 beim Auswärtsspiel gegen das Washington Football Team.
- Anekdote des Spiels: Zehn Jahre spielt Russell Wilson nun schon im Trikot der Seahawks. In dieser Zeit schaffte er es mit Seattle bislang achtmal in die Playoffs, so viel wie kein Spielmacher zuvor in der Franchise-Geschichte. Seinen ersten Sieg in der Post Season feierte der Quarterback als Rookie. Am 6. Januar 2013 führte Wilson seine Mannschaft zu einem 24:10-Sieg beim damals noch als Redskins auftretenden Team aus Washington.
Der Hype-Faktor: We’re thankful
In den USA war am Donnerstag Thanksgiving und auf Twitter hat Marshawn Lynch hier einmal mehr gezeigt, warum die 12s so dankbar sind, dass er Teil der erfolgreichsten Jahre der Seahawks war. In diesem Sinne hoffen wir Dienstagnacht, dass Seattle endlich mal wieder auf Beast Mode umschaltet!
Still Thankful!!! Merry TGiving!!!#FamilyFirst #YesLawd pic.twitter.com/z70d3cWFic
— Shawn Lynch (@MoneyLynch) November 25, 2021
Das Fazit:
Es reicht einfach nicht für die Seahawks. Die Kombination aus Verletzungspech, einem offenbar nicht fitten Franchise-Spielmacher und massiven Defiziten im Coaching ist selbst gegen Mittelfeld-Teams in der NFL oft fast eine Garantie für eine Niederlage. Sollte sich Seattle wieder berappeln und sich seiner Stärken besinnen, wären sie gegen Washington klarer Favorit. Aber im aktuellen Zustand ist die Truppe von Head Coach Pete Carroll gerade der talentierten Defense des Football Teams nicht gewachsen.
Im Angesicht dieser Tatsache stellt sich nun die Frage, ob es überhaupt Sinne macht in einer jetzt schon verlorenen Saison so viel Risiko zu gehen und Russell Wilson einer so gefährlichen Defensive Front auszusetzen. Den Schritt werden aber weder er, noch der Coaching Staff wagen und so bleibt für uns als 12s nur zu hoffen, dass die Seahawks in ihrem geliebten Primetime-Slot halbwegs Schadensbegrenzung betreiben und sich von Taylor Heinicke, Terry McLaurin und Co. nicht zu sehr abkochen lassen.
Prognose: Die Seattle Seahawks verlieren 10:17.