Hurra, hurra, die Seahawks sind wieder da! Zumindest was die Art zu siegen anbelangt. Am letzten Sonntag gegen die Erzrivalen der San Francisco 49ers, zeigte Seattle im heimischen Lumen Field den 12s wieder, warum wir so eine innige Hassliebe zum Team von Head Coach Pete Carroll aufgebaut haben. Interceptions, Fumbles, haarsträubende Fehler in der Defense, ein Fake Punt-Touchdown, stotterndes Laufspiel, ein paar Traumpässe von Russell Wilson und am Ende den Sieg in einem One-Score-Game mit einem Goalline-Stand 13 Sekunden vor Schluss eingetütet. In den heimischen Wohnzimmern sorgte das trotz der bislang bescheidenen Saison wieder einmal für deutlich hörbar artikulierte Glücksgefühle und einen erhöhten Verbrauch von Baldrian. Letzterer dürfte jetzt in Week 14 unter normalen Umständen nicht vonnöten sein. Schließlich reisen die Seattle Seahawks hier zu einem der NFL-Kellerkinder, den Houston Texans.
Auch aus diesem Grund könnten die Voraussetzungen für Seattle eigentlich nicht besser sein, um einen halbwegs entspannten Vormittag in Texas zu verbringen. Trotz des Sieges gegen die 49ers gilt es nämlich jetzt, die Saison abzuhaken. Ja, die Chance auf die Playoffs ist rechnerisch mit drei Prozent immer noch da. Dafür müssten die Seahawks aber alle noch ausstehenden Spiele gewinnen und auf Ausrutscher der Konkurrenz hoffen. Und selbst, wenn es mit Ach und Krach für die Wild Card-Round reichen sollte, dann ist hier nach den bislang gezeigten Leistungen ein weiteres frühes und peinliches Playoff-Aus mehr als wahrscheinlich. Dementsprechend bleibt nun zu hoffen, dass sich die Verantwortlichen im Pacific Northwest dessen bewusst sind. Die Saison weitgehend abzuhaken hätte hier zwei ganz entscheidende Vorteile: Erstens kann sich das Front Office, sofern es denn in dieser Form zusammen bleibt, bereits jetzt frühzeitig auf das Jahr 2022 konzentrieren. Und das wiederum könnte zweitens den Druck vom Team auf dem Feld nehmen und die Spieler so frei im Kopf machen, dass sie sich in Spielen wie am Sonntag in Houston wieder Selbstvertrauen durch Erfolge holen können.
Auf Seiten der Texans war bereits vor der Saison klar, dass der Rebuild auch 2021 weiter geht. Nach dem andauernden juristischen Theater um Star-Spieler Deshaun Watson und dem Engagement des neuen Head Coaches David Culley, sucht das Team auf dem Feld weiter nach seiner Identität. Mit einer Bilanz von 2-10 ist zudem die Hoffnung groß, dass es im kommenden Draft für einen Top-3-Pick reicht. Abgesehen von der Tatsache, dass kein Spiel in der NFL für den Favoriten (in diesem Fall die Seahawks) schon vor dem Kickoff gewonnen ist, muss man aber davon ausgehen, dass Houston in diesem Zustand klar besiegt werden muss.
Das Spiel:
- Kickoff: Sonntag, 19 Uhr
- Austragungsort: NRG Stadium (Freiluft, Kunstrasen)
- Wettervorhersage: 17 Grad Celsius, Bewölkt
- Schiedsrichter: Adrian Hill
- Empfang: NFL GamePass
- Wettprognose: Seahawks -6,5
- Hashtag: #SEAvsHOU
Der Injury Report:
Die Saison wird immer länger und die Injury Reports zu Beginn der Trainingswoche auch. Da bildeten auch die Seattle Seahawks am Mittwoch keine Ausnahme. So konnten hier insgesamt zehn Spieler nicht an den Übungseinheiten im VMAC teilnehmen. Definitiv ausfallen für die Partie in Houston tun dagegen jetzt nur SS Jamal Adams (Schulter), der nach seiner Operation am Donnerstag für den Rest der Saison raus ist, sowie C Kyle Fuller (Wade), OT Brandon Shell (Schulter) und RB Travis Homer (Wade/Oberschenkel). Dazu ist der Einsatz von FS Quandre Diggs (Wade) noch fraglich. Spielen kann dagegen WR DK Metcalf (Fuß).
Zum Zeitpunlt als dieser Text entstand, war der finale Injury Report der Houston Texans für Sonntag dagegen noch nicht veröffentlicht. Am Donnerstag verpassten in der texanischen Metropole noch QB Deshaun Watson, der sich weiter schweren Vorwürfen von sexuellem Missbrauch ausgesetzt sieht, die FS Terence Brooks (Oberschenkel) und A.J. Moore (Hüfte) sowie DE Jonathan Greenard (Fuß) das Training.
#Seahawks injury report for their Week 14 game at Houston: pic.twitter.com/OdRU6cGv1D
— John Boyle (@johnpboyle) December 10, 2021
Die Matchups:
Seahawks-Wide Receiver vs. Texans-Secondary: Spielt er, oder spielt er nicht. Diese Frage mussten sich die 12s unter der Woche stellen, nachdem DK Metcalf auf dem Injury Report der Seahawks aufgetaucht war. Selbstverständlich ist Seattle mit seiner Nr. 14 deutlich besser als ohne. Denn obwohl Metcalf in den letzten Partien wie die gesamte Offense eher blass blieb, hat der Wide Receiver in dieser Spielzeit immerhin schon acht Touchdowns gefangen und damit nur drei weniger als die Nr. 1 in dieser Kategorie aktuell, Rams-WR Cooper Kupp. Überraschenderweise am erfolgreichsten ist Russell Wilson, wenn er Metcalf und Tyler Lockett, der mit 881 Yards im Moment der Leading Receiver der Seahawks ist, vergleichsweise tief anspielt. Mit 13,9 (Lockett) und 12,9 (Metcalf) Yards Targettiefe im Schnitt, liegt das Duo mit Abstand vor den restlichen Receivern des Teams. Zum Vergleich: WR Penny Hart kommt bei gerade einmal zehn Targets insgesamt als Nr. 3 auf im Schnitt 9,8 Yards, während die beiden Tight Ends TE Will Dissly und Gerald Everett hier positionstypisch bei 3,6 bzw. 3,3 Yards liegen.
Anstelle der Secondary der Texans gilt es in Sachen Gameplan also vor allem ein Auge auf die Personalie Metcalf zu haben. Sollte DK spielen, dann dürfte Houston am besten beraten sein, mit zwei tiefen Safeties zu spielen, um Wilson die langen Bälle wegzunehmen. Fällt Metcalf dagegen aus, dürfte Seattle, wenn Offensive Coordinator Shane Waldron es denn genauso sieht, eher mit kürzeren Anspielen agieren. Insgesamt gilt es gegen die Passverteidiger aus dem Lone Star-State so oder so auch für die Seahawks auf der Hut zu sein. Denn während der Rest der Texans-Defense statistisch gesehen auf den untersten Plätzen der NFL rangiert, liegt ihre Stärke in der Verteidigung gegen den Pass. Mit im Schnitt 234 Passing Yards die man pro Spiel zulässt, liegt Houston hier auf Rang 15 und damit im Mittelfeld der Liga. Dazu kommen auch noch starke neun Interceptions insgesamt gegen gegnerische Quarterbacks.
Seahawks-Offensive Line vs. Texans-Pass Rush: Wer die 199. Folge des Ballhawks-Podcasts gehört hat, der dürfte wissen, dass C Kyle Fuller im Spiel vor zwei Wochen beim Washington Football Team als Guard für den verletzten Damien Lewis eingesprungen war. Seine Leistung im Pass Blocking bewertete Pro Football Focus (PFF) dabei ohne mit der Wimper zu zucken mit 0,0 (von 100 möglichen Punkten). Gut also, dass Lewis gegen die Texans wieder mit von der Partie sein dürfte. Denn nicht nur angesichts der Leistungen von Fuller ist das auch bitter nötig. So muss sich die launische Offensive Line aus Seattle, in der sich vor allem bei OT Duane Bown und C Ethan Pocic viel zu häufig Licht und vor allem Schatten abwechseln, sich nämlich auch dem Pass Rush aus Houston stellen.
Und genau der ist selbst nach dem Abgang von Veteran-DE JJ Watt immer noch nicht zu unterschätzen. Neben LB Kamu Grugier-Hill (88 Tacklings und davon zehn für Raumverlust), sticht hier vor allem neben Ex-Seahawk und OLB Jacob Martin (vier Sacks, fünf Tackles for loss, sechs QB-Hits und ein Safety) DE Jonathan Greenard heraus. 2020 wurde er von den Texans in der dritten Runde des Drafts an 90. Stelle ausgewählt und nach einer überschaubaren Rookie-Saison, zeigt er 2021 das er alles andere als ein Bust ist. Obwohl Greenard verletzungsbedint drei Spiele verpasst hat, wartete er trotzdem mit starken acht Sacks, neun Tackles for loss, zwölf QB-Hits und zwei forcierten Fumbles auf. Klare Zeichen dafür, dass Houstons Nr. 52 auch Jagd auf Russell Wilson machen dürfte, wenn ihm die O-Line aus Seattle die entsprechenden Löcher anbietet.
Seahawks-Special Teams vs. Texans-Special Teams: Und spätestens jetzt dürfte allen, die diese Zeilen lesen, auffallen, dass wir angesichts des Leistungspotenzials und der mangelnden Häufigkeit an Duellen mit den Houston Texans nun mit unserer Preview-Munition irgendwie am Ende angekommen sind. Und angesichts dieser Tatsache blicken wir einfach noch einmal auf die Special Teams. Nach dem Auftritt gegen die 49ers ist das nämlich locker erneut eine Erwähnung wert. Denn wer von uns erinnert sich nicht gerne an den 73 Yard-Fake Punt-Touchdown von RB Travis Homer, den krachend forcierten Fumble von FB Nick Bellore oder an das fast halbe Dutzend Gourmet-Punts von P Michael Dickson. Da müssen wir als 12s einfach einmal Respekt zollen und laut folgendes aussprechen: Ja, G’Day mates!
Statistisch gesehen liegt die Unit aus Seattle im ligaweiten Special Teams-Ranking auch dank solcher Leistungen auf dem 3. Rang. Neben dem Abwehren oder Verhindern von Extra Punkten sind die Seahawks hier auch bei den eigenen Kick Returns so stark, dass es locker für die Top-10 in dieser Kategorie reicht. Dank Dickson und der Coverage bei seinen Kicks, ist Seattle dazu in den Gesamtyards aller Punts Top-8 in der Liga und bei der durchschnittlichen Länge der Punts sogar die Nummer 2. Anders dagegen die Texans, die in Sachen zugelassener Kicks sowie erlaubter Field Goals und Extra Punkte im untersten Drittel der Liga rangieren. Im Zusammenhang mit vielen eigenen Punts und den damit verbundenen, zugelassenen Return Yards reicht es damit in der NFL aktuell nur für den 25. Rang.
Der X-Faktor: Eine Seahawks-Defense ohne ihren Prez
Jamal Adams war der Blockbuster-Trade der Schneider/Carroll-Ära. Und nach anderthalb Spielzeiten fragen sich viele 12s mittlerweile, wofür genau unter anderem zwei First-Round Picks zu den New York Jets geschickt wurden. Zwar ließ der Strong Safety in seiner Premieren-Saison 2020 für die Seahawks immer wieder seine Qualitäten aufblitzen. Gerade im Pass Rush mit 9,5 Sacks, doch ein komplettes Spiel brachte Adams nie auf den Rasen. Ob diese Gründe jetzt verletzungs- oder schemebedingt waren, sei dahin gestellt. Auch 2021 startet er wie der Rest der Defense nicht gut in die Spielzeit, verbesserte sich aber Spiel für Spiel, auch weil die Coaches ihn wieder mehr in die Box beorderten. Wo das alles leistungstechnisch hätte enden können, werden wir nicht herausfinden. Denn die Saison von Jamal Adams ist nach der gleichen Schulterverletzung wie im letzten Jahr schon jetzt beendet. So muss sich jetzt unter anderem Ryan Neal auf der Position des 70 Millionen Dollar-Mannes beweisen. Und sollte er hier Erfolg haben, gute Leistungen zeigen und das Level der Defense halten, dann werden unweigerlich wieder die Diskussionen aufkommen, ob der Blockbuster-Trade gar kein Hit, sondern eben ein Bust war.
- Spieler des Spiels: Gerade haben wir ihn angesprochen und schon taucht Ryan Neal wieder auf. Bis in die Spitzen seiner Dreadlocks motiviert, wird er gegen die Texans im tiefen, defensiven Backfield patroullieren und dabei zwei Interceptions fangen sowie drei Pässe abwehren.
- Statistik des Spiels: Am 29. September 2013 spielten die Seattle Seahawks zuletzt im NRG Stadium von Houston. Als es vor 2.993 Tagen auswärts gegen die Texans ran ging, hatte Russell Wilson noch keinen Super Bowl gewonnen, die Deutsche Fußballnationalmannschaft war erst dreimal Weltmeister, Angela Merkel war Bundeskanzlerin und DK Metcalf besuchte in der High School gerade die 10. Klasse.
- Anekdote des Spiels: Als die Seahawks im August 2019 Jadeveon Clowney von den Texans per Trade nach Seattle holten, ging unter anderem Jacob Martin im Tausch nach Houston. Aus Sicht der 12s hielt sich dieser Verlust damals in Grenzen. Heute dürften diese Gefühle aber andere sein. Denn während Clowney gar nicht mehr am Puget Sound spielt, ist Martin immer noch in Houston. Dort hat sich der Outside Linebacker mittlerweile zu einem der besten Verteidiger der Texans entwickelt. 2021 hat er zum Beispiel schon vier Sacks auf dem Konto und damit nur einen weniger, als der Sack-Leader der Seahawks: Darrell Taylor.
Der Hype-Faktor: Russell, der Western-Held
Ja, wir sind am Sonntag in Texas. Und ja, wenn Russell Wilson in der Pocket schneller als sein Schatten und zumindest schneller als der gegnerische Pass Rush wirft, dann können seine Receiver einige Anspiele erwarten.
Russell Wilson completed more passes than expected (+9.8% CPOE) in Week 13 for the first time since returning from injury.
Wilson limited the 49ers pass rush with quick passes:
🔹 Time to Throw: 2.54 seconds (season-low)
🔹 QBP Rate: 17.1% (season-low)#SEAvsSF | #Seahawks pic.twitter.com/innZLcUr6R— Next Gen Stats (@NextGenStats) December 6, 2021
Das Fazit:
Die Karten liegen ganz klar auf dem Tisch: Alles andere als ein deutlicher Sieg gegen die Houston Texans dürfte die Seattle Seahawks nicht zufrieden stellen. Denn trotz derben Verletzungsproblemen, fragwürdigem Coaching und kaum verständlichen Schemes in der Offense, ist und bleibt das Team von Pete Carroll einfach deutlich talentierter, als das Roster der Gastgeber aus Texas. Und das muss die Truppe aus dem Pacific Northwest auch genauso zeigen. Dass man die Kellerkinder der NFL nicht unterschätzt und gegen diese einen sinnvollen Gameplan ausarbeiten kann, hat man gegen die Jacksonville Jaguars gezeigt.
Entsprechend fokussiert gilt es die Aufgabe in Houston anzugehen, wo man dazu auf der Position des Spielmachers jetzt auch Russell Wilson aufbieten kann. Dessen Leistungen haben in den letzten Wochen merkbar unter seiner Fingerverletzung gelitten, obwohl er immer wieder beteuerte, fit zu sein. Dass das genau jetzt wieder der Fall ist, könnte er mit einer Leistung zeigen, die nicht nur seinem Anspruch entspricht und damit unterstreichen, dass er sich auch für Seattle zerreißt, wenn es nicht mehr um die Playoffs geht. Und wo ginge das aktuell besser, als im Lone Star-State.
Prognose: Die Seattle Seahawks gewinnen 34:13.