Die Los Angeles Rams. Gegen wen auch sonst sollten die Seattle Seahawks in Week 16 der NFL-Saison 2020 die Chance haben, ihre Regular Season zu krönen. Ein Sieg gegen den Rivalen aus der Stadt der Engel würde den 1. Platz in der NFC West und damit auch ein Heimspiel in den Playoffs klarmachen. Und nicht nur das: Ein Erfolg gegen LA ist für Seattle auch Voraussetzung, um die kleine Chance auf den Nummer-eins-Seed in der gesamten NFC und damit eine Bye Week in der ersten Runde der Postseason am Leben zu halten.
Kniffeliger könnte die Aufgabe für Seahawks-Cheftrainer Pete Carroll und sein Team dabei kaum sein. In den letzten fünf Duellen mit den Rams ging man nur einmal als Sieger vom Platz. Seitdem er der jüngste Head Coach in der Geschichte der Liga wurde, hat Sean McVay offenbar in Kalifornien das Kryptonit der Seahawks aus dem San-Andreas-Graben gebuddelt. Mit seiner variablen und innovativen Offense gelingt es ihm dabei immer wieder, den Mannen aus dem Pacific Northwest mental einen Knoten in die Beine zu spielen.
Ob sich LA aber genau den selbst im Kopf gebunden hat, wird sich am Sonntag zeigen. Die bittere Heimniederlage der Rams gegen die bis dahin sieglosen New York Jets hat nämlich gezeigt, dass das McVay’sche System nicht fehlerlos ist. Für eine wiedererstarkte Defense der Seahawks könnte genau dies die Blaupause sein, um nach vier Jahren wieder einmal die eigene Division zu gewinnen.
Das Spiel:
- Kickoff: Sonntag, 22.25 Uhr
- Austragungsort: Lumen Field (Freiluft/Kunstrasen)
- Wettervorhersage: 8 Grad Celsius, bewölkt
- Schiedsrichter: Bill Vinovich
- Empfang: NFL GamePass, ProSieben MAXX, ran
- Wettprognose: Seahawks -1,5
- Schnellcheck: Los Angeles Rams
- Hashtag: #LARvsSEA
Der Injury Report:
Auch im Lazarett ist in der ruhigen Weihnachtswoche recht wenig los. Bei den Seahawks fällt definitiv Running Back Deejay Dallas (Sprunggelenk) aus. Bei den Rams wird Läufer Cam Akers mit ähnlicher Verletzung fehlen.
Starke Zweifel bestehen am Einsatz von Left Guard Mike Iupati (Nacken). Für ihn dürfte wie teils schon in Week 15 Backup Jordan Simmons auflaufen. Fraglich sind derweil Right Tackle Brandon Shell (Sprunggelenk) und Safety Damarious Randall (Fuß).
Der vollständige Injury Report für #LARvsSEA: pic.twitter.com/ljFmOtjekJ
— German Sea Hawkers (😷) (@SeaHawkersGER) December 26, 2020
Die Matchups:
Seahawks-Pass-Rush vs. Rams-Quarterback Jared Goff: Defense wins Championships. Wenn es nach diesem (nicht unumstrittenen) Mantra geht, dann befinden sich die Seahawks seit Mitte der Saison auf einem guten Kurs. Seit Week 10 stellt Seattle mit die stärkste Scoring Defense der NFL. Im Schnitt ließ man in diesem Zeitraum nur 16,0 Punkte zu. Dazu erlaubte die zwischendurch historisch schlechte Unit von Defensive Coordinator Ken Norton Jr. hier nur noch durchschnittlich 296,8 Yards pro Spiel – ligaweit der 4. Rang. Statistisch gesehen schlug dagegen der lahmende Pass Rush aus Seattle am stärksten ein. Mit dem Trade für Defensive End Carlos Dunlap sahen die 12s auf dem Feld eine Entwicklung, die sie sich so wahrscheinlich kaum erträumt haben dürfen. Es gab endlich Sacks – am Fließband. In den letzten sechs Spielen waren es 21. Dies ist geteilter Ligabestwert!
Mit Safety Jamal Adams (9,5 Sacks) und Ex-Bengal Dunlap (4,5 Sacks) kommt der Druck dabei in der Spitze sehr gut beim gegnerischen Spielmacher an. In der Breite hakt es hingegen. Der Beweis: Im Spiel gegen das Washington Football Team kamen drei der vier Sacks der Seahawks erst im letzten Drive zustande. Mit 53,8 (aus 100 Punkten) erhielt der Pass Rush bei Pro Football Focus (PFF) Seattles viertschlechteste Note der Saison. Im Hinspiel gegen die Rams war es mit 53,5 noch schlechter und das nutzte LA-Quarterback Jared Goff gnadenlos aus.
Seit seinem Rookie-Jahr 2018 hat er gegen die Seahawks zwar lediglich acht Touchdowns und acht Interceptions geworfen. Insgesamt sammelte er in den Aufeinandertreffen gegen Pete Carrolls Defenses im Schnitt aber 325,8 Yards durch die Luft! DER Weg, um dies auch am Sonntag zu verhindern, ist Goff über den Rush unter Druck zu setzen. Genau dann macht er nämlich teilweise schlimme Fehler. Laut NextGen-Stats bringt die Nummer 16 der Los Angeles Rams vor Week 16 in dieser Saison nur 44,3 Prozent seiner Bälle für 5,1 Yards pro Versuch an den Mann, wenn er unter Druck steht. Dazu warf Goff in diesen Situationen zwei Touchdowns bei vier Interceptions und steht bei einem Passer Rating von 51,0.
Wenn der Kalifornier allerdings Zeit hat, dann zerlegt er die Verteidigung des Gegners ohne Probleme. Seine Next Gen Stats 2020 in diesen Fällen: 74,2 Prozent Completions, 7,9 Yards pro Wurf, 18 Touchdowns bei acht Interceptions und ein Passer Rating von 103,3.
Seahawks-Wide-Receiver DK Metcalf vs. Rams-Cornerback Jalen Ramsey: Nein, es war nicht Revis Island, auf der DK Metcalf im SoFi Stadium abgestellt wurde. Es war Ramsey Island. Unter den wachsamen Augen des Rams-Cornerbacks sah der junge Receiver der Seahawks in Week 10 zum zweiten Mal in seiner immer noch überragenden Saison, wortwörtlich, kein Land gegen einen Top-Passverteidiger. Doch das war 2020 nicht immer so: In Week 2 entnervte Metcalf zunächst den amtirenden Defensive Player of the Year, Stephon Gilmore. Ihm und den New England Patriots schenkte er 92 Receiving-Yards und einen Touchdown ein.
TOUCHDOWN! Great route by DK Metcalf. Stacks Stephon Gilmore using an inside release and then using his body to protect the ball. #Seahawks pic.twitter.com/ujKRsR6nVC
— Samuel Gold (@SamuelRGold) September 21, 2020
Zwei Wochen später in Miami gelang ihm zwar kein Touchdown und Cornerback Xavien Howard schnappte sich unter seiner Nase ein Interception in der Endzone. Dafür fing DK gegen die Dolphins aber 106 Yards. Beim Besuch in Buffalo gegen Tre’Davious White waren es dann 108 Yards und ein Touchdown, während es gegen Philadelphias Darius Slay am Ende 177 Yards ohne Touchdown auf dem Statistikbogen standen. Und nachdem ihn Patrick Peterson beim Auswärtsspiel in Arizona erstmals in 2020 komplett abmeldete, revanchierte sich Metcalf in Seattle immerhin mit einem Touchdown und 46 Yards beim Veteran der Cardinals.
Ähnliches erhofft er sich dann wohl am Sonntag auch gegen Jalen Ramsey. Der war der Nummer 14 der Seahawks auf dem Kunstrasen in LA schließlich wirklich auf Schritt und Tritt gefolgt. Das Resultat: Zwei Catches bei vier Anspielen für 28 Yards und einen Saisontiefstwert bei PFF von 56,9. Zum Vergleich: Über die gesamte Saison hat der Shutdown-Cornerback der Rams zwar „nur“ eine PFF-Note von 74,2. Damit liegt er unter allen Cornerbacks (die mehr als zehn Spiele gemacht haben) auf dem 14. Rang. Aber: Unter allen Passverteidigern die im Jahr 2020 mehr als 500 Snaps in Coverage gespielt haben, wurden Ramseys direkte Gegenspieler nur 53 Mal angeworfen. Ligaweit bedeutet das hinter White (52 Mal) Rang 2 und zeigt, wie viel Respekt gegnerische Quarterbacks vor ihm haben.
Seahawks-Special-Teams vs. Rams-Special-Teams: Na, wer kann sich noch an Punter Jon Ryan und seine legendären Momente gegen die Rams erinnern? Wir geben zu, es ist nicht einfach, versuchen aber in der zweiten Ausgabe des SEAlosophie-Newsletters, den Hirnschmalz der 12s etwas anzukurbeln. So viel sei an dieser Stelle aber schon einmal gesagt: Gut sahen die Special Teams der Seahawks gegen den Divisonrivalen nicht immer aus. Stattdessen legten die Rams mit Punter Johnny Hecker, Kicker Greg Zuerlein und Returner Tavon Austin der Unit von Coordinator Brian Schneider öfter das ein oder andere Special-Teams-Ei ins Nest.
Doch anno 2020 hat sich das Blatt gewendet. Nach dem Abgang von Zuerlein, der gerade 2019 in Seattle auch nicht geglänzt hat, ist man in LA noch auf der Suche nach einem Top-Kicker. Mit Sam Sloman, Kai Forbath und Matt Gay haben sich in dieser Sasion hier schon drei Spieler versucht. Ihre Bilanz: vier von 41 Extrapunkten und sechs von 24 Field Goals verschossen. Und auch Hekker hat als Punter nicht sein bestes Jahr. Im Schnitt drischt er das Lederei 45,9 Yards das Feld hinunter, das dann von den Returnern im Durchnitt 14,1 Yards zurückgetragen wird. In Seattle läuft es dagegen in dieser Saison eher so:
Auf den Fan-Liebling Stephen Hauschka folgten auf der Kicker-Position zunächst Testballons namens Blair Walsh und Sebastian Janikowski, bevor vor der Saison 2019 Jason Myers vollkommen zu Recht mit einem Vierjahresvertrag ausgestattet wurde. Warum? Drei verschossenen Extrapunkten stehen 2020 insgesamt 45 verwandelte gegenüber. Und in Sachen Field Goals ist er erst recht „automatic“. 20 von 20 hat Myers bislang verwandelt und damit auch saisonübergreifend den Vereinsrekord auf 31 Treffer in Folge ausgebaut. Sein Holder und Kult-Australier Michael Dickson drischt seine Punts dazu noch im Durchschnitt 49,4 Yards Richtung Endzone. Gegnerische Returner bringen die Bälle in knapp 40 Prozent der Fälle für nur 7,2 Yards pro Lauf zurück. Ein Wert, der wiederum die Top-Leistungen von Seattles Special-Teams-Coverage unterstreicht.
Der X-Faktor: Dritter Versuch und…
17 Mal gelang es der Seahawks-Defense in Week 15, die Offense des Washington Football Team zu dritten Versuchen zu zwingen. Davon verwandelte die Truppe von Cheftrainer Ron Rivera zehnmal. Und genau das spiegelt das Dilemma wider, mit dem Seattle in dieser Saison zu kämpfen hat – auf beiden Seiten des Balles. Auf dem Weg in die gegnerischen Endzonen liegt die Third-Down-Effizienz von Russell Wilson und der Offense bei 40 Prozent, was ligaweit Rang 24 bedeutet. Defensiv liegt man hier dagegen noch weiter unten. Auf dem 27. Platz, mit 47,6 Prozent zugelassenen Conversions.
Um gegen die Rams erfolgreich zu sein, könnten erfolgreiche dritte Versuche und Stops bei der Verteidigung selbiger der große Knackpunkt sein. Ob es Offensive Coordinator Brian Schottenheimer gelingt, LA mit seinem Playcalling zu überlisten, ist aber fraglich. In Sachen 3rd Down sind die Kalifornier nämlich ein echtes Spitzenteam. Jared Goff und Kollegen verwandeln ihrerseits 43,2 Prozent der Dritten Versuche und liegen damit in der NFL aktuell auf dem 10. Rang. Und defensiv ist man sogar noch besser. Lediglich 35 Prozent der 3rd Downs können die Gegner von Aaron Donald und Co. überwinden. NFL-weit ist die Rams-Defense damit Zweiter!
- Spieler des Spiels: K.J. Wright. Mit seinem Spielstil und seiner Erfahrung ist der Seahawks-Linebacker prädestiniert dafür, dass Play-Action-Lauf- und Screen-Pass-Spiel der Rams an der Line of Scrimmage zu stoppen. Das Resultat diesmal: mindestens zehn Tackles und ein Pick Six, wenn ihm Poona Ford nicht in die Quere kommt.
- Statistik des Spiels: 65 Yards braucht Wide Receiver DK Metcalf noch, um den Franchise-Rekord für gefangenen Yards in einer Saison zu brechen. Aufgestellt wurde der vor 35 Jahren. Damals, 1985, fing Hall of Famer Steve Largent im Seahawks-Trikot in einer Spielzeit genau 1.287 Yards.
- Anekdote des Spiels: Sechsmal wurde Russell Wilson von der Defense der Rams bei seinem ersten Auftritt im Milliarden-Tempel SoFi Stadium gesackt. Aaron Donald durfte da erstaunlicherweise nicht „Hand anlegen“. Dabei bringt der Defensive Tackle in seiner Karriere keinen gegnerischen Quarterback so gerne zu Boden wie den Mann mit der Seahawks-Trikotnummer 3. In 13 Spielen gegen Wilson sackte Donald ihn nämlich zwölfmal.
Der Hype-Faktor: Weihnachten bei den Seahawks
Michael Bennett glänzte im Dezember immer als Black Santa, aber auch Russell Wilson beherrscht das Geschenke-Game. Wer’s nicht glaubt, fragt aktuell am besten Left Tackle Duane Brown und seine ultra-mobilen Offensive-Line-Kollegen.
Duane Brown scooting by Russell Wilson's availability on the electric souped up scooters the #Seahawks quarterback gifted his linemen for Christmas this year. @DuaneBrown76 | @DangeRussWilson pic.twitter.com/hQMKA0ZPyA
— AJ McCord (@AJ_McCord) December 24, 2020
Das Fazit:
Wie weit können es die Seattle Seahawks 2020 bringen? Kein Spiel dürfte diese Frage so gut beantworten wie das Heimspiel gegen die Rams. In der Tabelle sind die Vorraussetzungen dabei so gut wie lange nicht mehr. Ein Sieg gegen LA und Seattle ist König der NFC West. Doch ob das Team von Pete Carroll das auf dem Platz umsetzen kann, ist fraglich. So haben die Seahawks vor einer Woche wieder bewiesen, dass sie einen Gegner nicht jeden Spieltag dominieren können. Frei nach dem Motto: Irgendetwas ist immer, stand man sich in der US-Hauptstadt erneut einfach zu häufig selbst im Weg.
Frustrierend dabei ist, dass das Team genau weiß, zu was es zuleisten imstande ist. Denn kombiniert man die zu Anfang der Saison überragende Offense mit der aktuellen Defense, dann Halleluja! Und diese Träumerei ist gegen die Rams noch nicht einmal nötig. Sicher: Dass Team von Sean McVay ist in der Verteidigung aktuell mit Ligaspitze. Aber Offensiv betreibt LA kein Hexenwerk, fragt mal die New York Jets. So scheint die Rechnung gerade an diesem Punkt für Bobby Wagner, Jamal Adams, Carlos Dunlap und Co. relativ einfach. Wenn sie Jared Goff konstant unter Druck setzten können, dann bekommt er Zitterfinger und macht Fehler. Wenn er sich es dagegen in der Pocket gemütlich machen darf, dann wird es für Seattles Defense ein langer Nachmittag.
Auf der anderen Seite gilt es für Seattle, offensiv wieder in die Spur zu finden. Dass die Offensive Line Russell Wilson gegen einen Top-Pass-Rush beschützen kann, hat sie gerade gegen das WFT beweisen. Und das RW3 nicht vor dem Duell mit Verteidigern der Spitzenklasse zurücksteckt, hat er im Laufe seiner Karriere ebenfalls oft genug gezeigt. Dazu hat er, anders als vor sechs Wochen in Kalifornien, wieder seine beiden besten Running Backs als Unterstützung in petto.
Prognose: Die Seahawks gewinnen knapp mit 24:21. Während die Uhr ausläuft, liefert Kicker Jason Myers mit seinem 32. verwandelten Field Goal in Folge die entscheidenden Punkte.