Seattle Seahawks gegen Minnesota Vikings. Würden es die 12s nicht besser wissen, könnte man als normaler NFL-Fan meinen, dass die beiden Teams in der gleichen Division spielen. So ist das Duell in Woche 3 der NFL-Saison 2021 das vierte Duell des Teams aus dem Pacific Northwest mit den Nordmännern aus Minneapolis in genauso vielen Jahren. Fremd sind sich die beiden NFC-Teams also nicht und haben in der aktuellen Spielzeit bereits beide die gleiche, bittere Erfahrung gemacht: Eine Niederlage in der Verlängerung…
Die Seahawks erwischte es letzten Sonntag zum Heimspielauftakt gegen die Tennesse Titans. Eine Niederlage, über die eigentlich keiner mehr so richtig sprechen will. Vor allem, weil sie so vermeidbar und damit eben auch so bitter war. So machte sich das Team von Head Coach Pete Carroll eine gute Halbzeit, inklusive eigentlich komfortabler 24:9-Führung, damit kaputt, indem es sich selbst mehrfach in den Fuß schoss. Haufenweise Strafen, Unkonzentriertheiten in der Laufverteidigung und QB Russell Wilson der irgendwann in Spielabschnitt zwei den Faden verlor, führten letztendlich zu dem „L“ nach Overtime. Dass Seattle es aber besser kann, haben sie in Woche 1 bei den Indianapolis Colts beweisen. Hier sorgten eine hungrige Defense und eine glänzend aufgelegte, neue Offense für einen ungefährdeten Sieg.
Ein Gefühl, dass sich bei den Vikings in der Saison 2021 noch gar nicht eingestellt hat. Nach zwei Spieltagen ist die Truppe von Head Coach Mike Zimmer noch sieglos. Woche 1 endete wie bereits angedeutet mit einer fast schon tragikomischen Niederlage nach Verlängerung bei den Cincinnati Bengals. Und auch am letzten Sonntag wurde es nicht besser. Als Minnesota in einem High Scoring-Game gegen Seattles Divisionsrivalen aus Arizona den Sieg wortwörtlich auf dem Fuß hatte. Schließlich verschoss K Greg Joseph ein 37 Yard-Field Goal, das mit auslaufender Uhr statt einer 33:34-Niederlage den 36:34-Sieg gebracht hätte.
Nach so viel Herzschmerz am vergangenen Spieltag dürften also sowohl die Vikings, die erstmals in 2021 vor heimischer Kulisse spielen, wie auch die Seahawks nun auf Wiedergutmachung aus sein.
Das Spiel:
- Kickoff: Sonntag, 22.25 Uhr
- Austragungsort: US Bank Stadium (Dome)
- Wettervorhersage: 26 Grad Celsius, Bewölkt
- Schiedsrichter: Clay Martin
- Empfang: NFL GamePass
- Wettprognose: Seahawks -2
- Hashtag: #SEAvsMIN
Der Injury Report:
Nach zwei Wochen voller harter Hits an den ersten beiden Spieltagen, zeigen sich nun auch bei den Seattle Seahawks die ersten verletzungsbedingten Ermüdungserscheinungen. So fehlen im Spiel am Sonntag definitiv WR Dee Eskridge (Gehirnerschütterung), RB Rashaad Penny (Wade) und OT Brandon Shell (Knöchel). Fraglich ist zudem der Einsatz von LB Benson Mayowa (Nacken). An der Seitenline muss Seattle dazu auch noch auf den Passing Game Coordinator der Defense, Andre Curtis, aus persönlichen Gründen verzichten. Seinen Job wird vorerst Ex-Legion of Boom-Mitglied De Shawn Shead übernehmen.
Beim Gegner aus Minneapolis müssen zum Kickoff LB Anthony Barr (Knie), OT Christian Darrisaw (Leiste) und CB Harrison Hand (Oberschenkel) passen. Besonders schwer könnte für die Vikings zudem der Ausfall von RB Dalvin Cook (Knöchel) wiegen. Sein Status wurde am Freitag als „questionable“ angegeben.
Three #Seahawks ruled out for this week's game against Minnesota. The Seahawks will also be without passing game coordinator Andre Curtis for personal reasons. DeShawn Shead will assume his responsibilities. pic.twitter.com/O5AMjWyQuY
— John Boyle (@johnpboyle) September 24, 2021
Die Matchups:
Seahawks-Run Defense vs. Vikings-Running Back Dalvin Cook: Laufen, laufen und immer wieder laufen. In den ersten drei Wochen der neuen NFL-Saison dürfte das eines der Hauptthemen in den Besprechungen der Seahawks-Defense sein. Denn mit den Colts, den Titans und den Vikings bekam oder bekommt es Seattle mit drei laufstarken Mannschaften zu tun. Oder besser gesagt: mit deren Kraftwerken. Denn mit Jonathan Taylor, Derrick Herny und Dalvin Cook stehen dort jeweils drei Running Backs im Roster der Gegner, die im Jahr 2020 alle über 1.100 Yards und mindestens zehn Touchdowns erlaufen haben.
In Woche 1 entschärfte die Run Defense der Seahawks den Faktor „Taylor“ (56 Rushing Yards, 0 Touchdowns, 3,3 Yards pro Lauf) souverän. Anders in Woche 2. Hier war Henry (182 Rushing Yards, 3 Touchdowns, 5,2 Yards pro Lauf) gerade in der zweiten Halbzeit nicht mehr zu stoppen. Und jetzt also Woche 3 mit Cook, der den Arizona Cardinals am vergangenen Sonntag 131 Rushing Yards einschenkte. Damit dürfte die Defense der Seahawks dann mehr als vorgewarnt sein.
Seahawks-Pass Defense vs. Vikings-Quarterback Kirk Cousins: In Minnesota mag er mit den WR Adam Thielen und Justin Jefferson zwar die Werkzeuge für ein erfolgreiches Passpiel haben, doch so richtig umsetzen kann QB Kirk Cousins das nicht. Seitdem er, wie Russell Wilson auch, im Jahr 2012 gedraftet wurde, steht er mit Spielen gegen Teams mit einem „Winning Record“ auf Kriegsfuß. Cousins‘ Bilanz: Von 42 Duellen gegen NFL-Spitzenteams verlor er 35! Immerhin: Einen seiner sieben Siege in der Kategorie holte er in Seattle. In fünf Spielen gegen die Seahawks hagelte es aber sonst nur Niederlagen.
Trotzdem: Auf der Hut sollte die Secondary aus dem Pacific Northwest schon sein. Mit einer Coverage-Note von 58,7 (aus 100 Punkten) bei Pro Football Focus (PFF) liegt die Passverteidigung der Seahawks nach nur zwei Spieltagen mal wieder an der Schwelle zum unteren Drittel der NFL. Gerade CB Tre Flowers sah gegen Titans-WR Julio Jones jetzt im Lumen Field nicht gut aus. Und während CB D.J. Reed seine Seitenline bisher größtenteils sauber hielt, muss auch SS Jamal Adams weiter an seiner Coverage feilen. Und genau die könnte Kirk Cousins (595 Passing Yards, 71,6 Prozent Completion Percentage, fünf Passing Touchdowns) am Sonntag im US Bank Stadium attackieren.
Seahawks-Wide Receiving Corps vs. Vikings-Pass Defense: Wenn es nach PFF geht, dann sind die Seahawks und die Vikings in Sachen Coverage bisher in 2021 Nachbarn. So bringt es die Minnesotas Secondary hier aktuell auf eine Note von 59,0. Damit ist man nur um 0,3 Punkte „besser“ als Seattle. Und da mit den Tyler Lockett und DK Metcalf eines der besten Receiving-Duos der Liga in Minneapolis aufschlägt, dürfte sich das nicht unbedingt bessern. Denn gerade Lockett ist nach zwei Spieltagen richtig heiß. Sollte er am Sonntag gegen die Vikings wieder über 100 Receiving Yards und einen Touchdown holen, wäre er erst der fünfte Spieler in der Geschichte der NFL, dem das jeweils an den ersten drei Spieltagen der Saison gelingt.
Bei Metcalf auf der anderen Seite ist es dagegen anders. Er fällt in der Regular Season bislang mehr mit schlecht gewählten Wortgefechten und kindischen Prahlereien, als mit spektakulären Catches auf. Dass DK das aber auch anders kann, mussten ausgerechnet die Vikings im letzten Jahr erfahren. Beim Auswärtsspiel in Seattle war nämlich der Mann mit dem Schnuller-Mundschutz Hauptdarsteller. Er war es, der im entscheidenden offensiven Drive der Seahawks bei einem vierten Versuch einen langen Pass von Russell Wilson fing. Und wenige Plays später war Metcalf dann wieder zur Stelle. Bei einem vierten Versuch an der Endzone nahm er den spielentscheidenden Touchdown-Pass über sechs Yards entgegen. Entsprechend vorbelastet und von daher aufmerksam dürfte die Passverteidigung der Vikings jetzt sein.
Der X-Faktor: Reißt Euch am Riemen, liebe Seahawks!
Klar, man kann von der neuen Taunting-Regel der NFL halten, was man will. Ist sie überzogen? Gut möglich. Ist sie überflüssig? Vielleicht. Ist sie klar formuliert? Ja! Denn wer sich nach einem Spielzug direkt an seinen geschlagenen Gegenspieler wendet und ihm gesalzene Wortsalven ins Gesicht schießt, der kassiert von den Schiedsrichtern eine Penalty-Flagge. Über diese neue Regelauslegung wurden alle 32 NFL-Teams von der Liga schon vor Monaten informiert. Man sollte also meinen, dass die Trainer ihren Spielern in der Zeit vermittelt haben dürften, dass sie sich als Profisportler bitte am Riemen reißen sollen – egal wie emotional die jeweilige Spielsituation auch sein mag. Richtig? Nein, falsch!
Denn an den ersten zwei Spieltagen der Regular Season 2021 flogen bislang zehn Taunting-Flaggen. So viele wie in der gesamten NFL-Saison 2020 zusammen! Und ganz vorne mit dabei in dieser knallgelben Welle: die Seattle Seahawks. Zwei Strafen dieser Art, gegen DK Metcalf und D.J. Reed, und damit insgesamt 20 Prozent kassierte die Truppe von Pete Carroll. Eine Tatsache, die schnellstens abgestellt gehört!
- Spieler des Spiels: RB Chris Carson. Pass, Pass, Pass, Pass, Lauf. Indem die Seahawks gegen die Vikings (hoffentlich) wieder stärker und intelligenter auf die Wurf- und Fangkünste der Offense setzen, ergeben sich (hoffentlich) die Lücken für das Laufspiel. Nutznießer wird (hoffentlich) Seattles Nr. 32 sein, der über 100 Rushing Yards und zwei Rushing Touchdowns in Minnesota erläuft.
- Statistik des Spiels: Wenn es gegen Minnesota geht, dann treffen die Seahawks auf einen ihrer Lieblingsgegner. Denn bis auf die Teams aus der NFC-West (49ers, Rams und Cardinals) und damit die aus ihrer aktuellen oder ehemaligen Division, der AFC-West (Chiefs, Broncos, Raiders und Chargers), hat Seattle in der eigenen Franchise-Historie in der NFL nur gegen zwei Mannschaften häufiger gewonnen. So stehen hier in Duellen mit den Cleveland Browns und eben mit den Vikings jeweils 13 Siege zu Buche. Die letzte Niederlage der Seahawks in Minneapolis, eine 9:35-Klatsche, gab es übrigens am 22. November 2009.
- Anekdote des Spiels: Kalt, kälter, Minneapolis. Am 10. Januar 2016 trat Seattle zum NFC-Wild Card Game bei den Vikings an. Und weil das mittlerweile muckelig warme, weil komplett überdachte, US Bank Stadium damals noch im Bau war, musste Minnesota im tiefsten Winter ausweichen. Ins Freiluftstadion des ortsansässigen College-Teams. Das Resultat am Ende: Mit einer Temperatur beim Kickoff von -21,1 Grad war es das drittkälteste Spiel in der über 100-jährigen Geschichte der NFL.
Der Hype-Faktor: You’re a wizard … Russell!
Offensive Schwierigkeiten in Minnesota? Kann auch mal den Seahawks passieren. Da ist es gut zu wissen, dass Russell Wilson doch ab und zu den berühmten Zauberhut unter dem Helm trägt.
Russell Wilson turns a high snap into 1st and Goal against the Vikings in the 2015-16 Wildcard game pic.twitter.com/tTIpQSPY1E
— Heart of NFL (@HeartofNFL) June 23, 2019
Das Fazit:
Ein reinigendes Gewitter zur rechten Zeit. So wird den Seahawks in der Saison 2021 hoffentlich die Overtime-Niederlage am 2. Spieltag gegen die Titans in Erinnerung bleiben. Hier wurde Seattle nämlich brutal vor Augen geführt, wie man gegen Mannschaften mit einem qualitativ hochwertigen Angriffsspiel nicht agiert. Sowohl aufseiten der Defense, die Punkte von Stars wie Dalvin Cook, Adam Thielen und Justin Jefferson verhindern soll, als auch bei der Offense, der eine Vikings-Verteidigung gegenüber steht, die in drei der vier wichtigen defensiven Kategorien von PFF im unteren Drittel der NFL liegt, besteht also Nachholbedarf.
Tatsachen, die den Seahawks, anders als 2020, sehr früh in der Saison vor Augen geführt wurden. Dass es auch anders geht, hat der 1. Spieltag bei den Colts gezeigt. Hier wurde klar, dass Seattle unter Shane Waldron in der Lage ist, über vier Viertel eine dynamische, innovative Offense auf das Feld zu bringen. Während die vielleicht nicht in der Spitze, dafür aber in der Breite tief besetzte Seattle-Defense immer wieder in der Lage war, den gegnerischen Spielmacher und seine fünf Bodyguards in der Offensive Line unter Druck zu setzen. Ruft das Team von Pete Carroll all das mit einem strukturierten und gut durchdachten Gameplan ab, dann dürfte der Auswärtstrip nach Minnesota wohl ein erfolgreicher werden.
Prognose: Die Seattle Seahawks gewinnen 38:23.