Week 1, Regular Season 2022, Broncos gegen Seahawks, in Prime Time. Und wer jetzt noch denkt, dass die Planung des Spielplans bei der NFL nach dem Zufallsprinzip abläuft, der hat auch jede Woche sechs Richtige im Lotto. Als ESPN-Experte Adam Schefter 8. März 2022 als erster berichtetet, dass die Würfel in Seattle gefallen waren und die Seahawks ihren Franchise-Quarterback Russell Wilson zu den Denver Broncos tradeten, rieben sich die Planer in der Ligazentrale in New York die Hände. Wussten sie doch, dass das Team von Head Coach Pete Carroll in der am 8. September 2022 beginnenden Spielzeit doch turnusmäßig einmal gegen die komplette AFC West spielen muss. Die Division, in der ganz zufällig auch die Broncos zu Hause sind.
Und so kommt es jetzt in wenigen Tagen also dazu, dass Russell Wilson zum ersten Regular Season-Spiel seiner Karriere, in dem er nicht den Dress der Seahawks trägt, in Seattle antreten muss. Was ihn unter den Flutlichtern des Lumen Field erwartet, weiß niemand so genau. Mit den 12s vor der Brust und seinem fast schon unheimlichen Prime Time-Rekord im Rücken, könnte Wilson extra motiviert sein, seinem alten Team vor heimischer Kulisse den Stecker zu ziehen und Seattle den Start in eine wahrscheinlich extrem schwierige Saison direkt so richtig zu versalzen.
Auf der anderen Seite wartet auf jeden Fall eine Seahawks-Mannschaft, bei der wahrscheinlich nur wenige überhaupt wissen, welches Potenzial im 53 Mann-Kader für 2022 steckt. Während die Mehrheit der Fans und Experten die Franchise auch wegen des Abgangs von Bobby Wagner klar im Rebuild-Modus sieht, lamentiert Carroll immer noch darüber, wie er mit Geno Smith Titel gewinnen will. Ein Gedankengang, den der Cheftrainer außerhalb des heimischen VMAC-Trainingkomplexes wohl ziemlich alleine denkt. Nichtsdestotrotz wartet in den kommenden Monaten mit Sicherheit das ein oder andere Highlight auf die Seattle Seahawks, darunter natürlich das „Heimspiel“ in München. Und was das Lieblingsteam der 12s in der Regular Season nach Week 1 noch so auf und neben den NFL-Spielfeldern erwarten könnte, das haben die German Sea Hawkers im erstmals gedruckten Saison-Magazin 2022 niedergeschrieben.
Das Spiel:
- Kickoff: Dienstag, 2.15 Uhr
- Austragungsort: Lumen Field (Freiluft, Kunstrasen)
- Wettervorhersage: 27 Grad Celsius, sonnig
- Schiedsrichter: Clete Blakeman
- Empfang: NFL GamePass, DAZN
- Wettprognose: Seahawks +6,5
- Hashtag: #DENvsSEA
Der Injury Report:
Week 1 steht an und damit auch der erste Injury Report der Saison, den die Seahawks wegen des Monday Night Games erst am Donnerstag vorlegen mussten. Mit Rookie-RB Kenneth Walker III (Hernie), LS Tyler Ott (Schulter), CB Artie Burns (Leiste) und DE Alton Robinson (Knie) konnten vier Spieler gar nicht trainieren. Dagegen standen OT Jake Curhan (Ellbogen), G Damien Lewis (Knie/Knöchel), CB Sidney Jones (Gehrinerschütterung), Rookie-LB Boye Mafe (Schulter) und S Ryan Neal (Knöchel) zwar im VMAC auf dem Platz, absolvierten aber nicht alle Übungen. Komplett am Training nahm dafür G Gabe Jackson (Knie) teil.
Aufseiten der Broncos war unter der Woche wiederum der Einsatz der WR Brandon Johnson (Knöchel) und KJ Hamler (Knie) sowie der von LB Josey Jewell (Wade) fraglich.
Seahawks first injury report of season is out, and snapper Tyler Ott did not practice due to a shoulder injury, which explains the signing of Carson Tinker. pic.twitter.com/rNzfeUg2lz
— Bob Condotta (@bcondotta) September 8, 2022
Die Matchups:
Broncos-QB Russell Wilson vs. die 12s: Die Stimmung, die die Heimfans im Lumen Field erzeugen können und wie diese die Arbeitsweise gegnerischer Quarterbacks beeinflusst, hat Russell Wilson fast zehn Spielzeiten lang von der Seahawks-Sideline aus beobachten können. Und jetzt, in Week 1 der NFL-Saison 2022 ist er erstmals selbst in der Rolle des Antagonisten, den die 12s lautstark aus der Ruhe bringen wollen. Ob ihnen das gelingt, hängt dabei von zwei Faktoren ab: Zum einen wird es darauf ankommen, ob der Broncos-Quarterback seine Seattle-Vergangenheit im Angesicht der unweigerlich aufkommenden Emotionen ausblenden und sich aufs Spiel konzentrieren kann. Sollte das der Fall sein, dann wissen die 12s am besten, wie gefährlich RW3 der Seahawks-Defense werden kann.
Dass das wiederum gelingt, hängt auch davon ab, ob Wilsons Receiver-Corps und seine anderen Mitspieler auf der offensiven Seite des Balles die Präsenz des 12. Mannes mental hinter sich lassen können. Für den Fall, dass die Lautstärke der Fans so ohrenbetäubend sein wird und die anderen zehn Spieler der Broncos-Offense zu Fehlern zwingt, kann es auch Russell Wilson trotz seiner Houdini-Fähigkeiten nicht alleine reißen. Da braucht er nur einmal bei Eli Manning und den New York Giants nachfragen.
Broncos-QB Russell Wilson vs. Seahawks-Secondary: Wie entzaubert die Defense eines NFL-Teams Houdini? Indem der Defensive Coordinator seine beiden Safeties tief schickt und Russell Wilson seine geliebten, tiefen Routen wegnimmt. So funktionierte es zumindest im Jahr 2020, als Wilson in der ersten Saisonhälfte so gut kochte wie Paul Bocuse, und auch in Teilen in 2021. Mit dem erwähnten „Trick“ ließ sich Russells Suppe schnell versalzen und kein Team demonstrierte das so gut wie die New York Giants. Am Nikolaustag 2020 gastierte Big Blue im Lumen Field. Vor dem Kickoff waren die Seahawks der haushohe Favorit, der nach vier gespielten Quartern aber eine bitterböse Überraschung in Form einer schockierenden 12:17-Heimniederlage erlebte. Obwohl Wilson gegen das tiefstehende, defensive Backfield 43 Mal werfen durfte, reichte das am Ende zwar noch für 263 Yards und einen Touchdown. Demgegenüber standen aber auch 5 Sacks, eine Interception und ein verlorener Fumble.
Ob dieses Rezept in Week 1 auch für die 2022er-Seahawks gegen ihren ehemaligen Franchise-Quarterback aufgeht, ist noch unklar. Einfach Quandre Diggs und Jamal Adams tief stellen, damit ist es nach Aussage von DC Clint Hurtt nicht getan. Zwar kennen Seattles Coaches die Vorlieben von Wilson aus Tausenden Traingseinheiten aus dem Effeff. Auf der anderen Seite weiß RW3 auch nur zu gut, welches defensive Grundkonzept Pete Carroll an den Start bringt. Nach dem vorläufigen Depth Chart kommt die Aufgabe Denvers Wide Receiver Nr.1 und Nr. 2, Jerry Jeudy und Courtland Sutton zu covern, den beiden Startern auf Cornerback zu: Mike Jackson und Rookie Tariq Woolen. Bis zum Kickoff in der Nacht zu Dienstag kann sich diese Aufsettlung selbstverständlich noch ändern. Allerdings ist davon auszugehen, dass Wilson es sich nicht nehmen lassen will, genau diese Matchups auszutesten und dabei einiges an Raumgewinn durch die Luft erzielen dürfte.
Broncos-QB Russell Wilson vs. Seahawks-Pass Rush: Einer der großen Streitpunkte vor dem Trade nach Denver zwischen Wilson und dem Front Office der Seahawks war der, dass sich der Quarterback von seiner Offensive Line nicht ausreichend geschützt fühlte. Insgesamt 427 Mal wurde der Spielmacher in seiner Zeit in Seattle gesacked. So viel wie kein anderer Quarterback in der NFL seit 2012. Die Tatsache, dass Russell Wilson dabei unfassbare 2.838 Yards verlor, ist dabei aber nur teilweise seinen O-Linern anzukreiden. Denn durch seinen einzigartigen Spielstil bewegt sich Wilson seit jeher überdurchschnittlich oft außerhalb der Pocket und damit auch rückwärts. Eben dort, wo ihn seine Linemen nur noch schwer vor gegnerischen Pass Rushern schützen können, während RW3 bis zur letzten Millisekunde versucht einen freien Receiver 50 Yards down Field zu finden. Geht das gut, landet der patentierte Moonball im Highlight-Reel. Geht das Manöver dagegen schief, heißt es Minimum 10 Yards Raumverlust.
Und genau darauf wird auch der Pass Rush der Seahawks in Week 1 spekulieren. Mit dem Wechsel weg von einer 4-3- zu einer 3-4-Defense setzten die Verantwortlichen im VMAC rund um den neuen Defensive Coordinator Clint Hurtt nicht mehr auf großgewachsene Defensive Ends à la Carlos Dunlap. Stattdessen sollen die schnellen Outside Linebacker jetzt für die Carroll-Truppe auf Quarterback-Jagd gehen. Die Hauptrolle fällt dabei Darrell Taylor (6,5 Sacks in 2021) zu, der nach eigenen Angaben in der Form seines Lebens ist und im Laufe des Training Camps fast schon mit Lob von allen Seiten überschüttet wurde. Unterstützt wird DT dabei von Neuzugang Uchenna Nwosu (5 Sacks in 2021) und Rookie Boye Mafe. Innen sollen dazu noch Poona Ford (2 Sacks in 2021) und Shelby Harris (6 Sacks in 2021), der als Teil des Wilson-Trades zu den Seahawks kam, Druck auf die O-Line der Broncos und dahinter auf Russell Wilson machen.
Der X-Faktor: Russell Wilson
Russell Wilson ist Mr. Cool. Immer neutral gepolt. Jede Woche geht bei einer Bilanz von 0:0 los. Nichts kann ihn aus der Ruhe bringen. Oder doch? Wenn Wilson beim Gedanken an seine Rückkehr als Quarterback der gegnerischen Mannschaft in ein ausverkauftes Lumen Field nicht wenigstens ein Fünkchen Nervosität aufkommen lässt, dann lügt er sich wahrscheinlich selbst in die Tasche. Und dass einzelne, kleine Funken einen Großbrand starten können, wissen auch alle die, die nicht in der Jugendfeuerwehr aktiv waren. Deshalb bleibt die große Frage um den X-Faktor Russell Wilson: Was wird dieses Feuer mit ihm machen? Sind es die Flammen, die seine Motivation anheizen, sein Ex-Team direkt in Week 1 mit seinen Houdini-Fähigkeiten offensiv mit der neuen Receiver-Crew zu zerlegen und damit zu zeigen, dass es ein Riesenfehler der Seahawks war, den Magier namens Wilson gehen zu lassen. Oder wird das Feuer den Russell-Kessel zum Überkochen bringen, sodass seine emotionale Ehrfurcht die Gelassenheit überstrahlt und seine sportliche Leistung zumindest für einen Abend kollabieren lässt?
- Spieler des Spiels: Russell Wilson, wer auch sonst. Trotz der emotionalen Bürde, die er auf dem Kunstrasen in Seattle zu tragen hat, wird der neue Franchise-Quarterback der Broncos in Week 1 für beide Touchdowns der Broncos verantwortlich sein. Einen durch die Luft und den anderen erläuft Wilson selbst. Im Gegenzug wirft er aber auch zwei Interceptions. Ob beides am Ende für einen Sieg oder eine Niederlage „reicht“, die 12s weltweit werden es spätestens am kommenden Dienstag wissen.
- Statistik des Spiels: Wie hätte es anders sein sollen … Wenn am Montag, dem 12. September 2022, um 20.15 Uhr im Lumen Field der Kickoff zum Abschluss von Week 1 erfolgt, dann ist es genau 3790 Tage her, dass die Seattle Seahawks im NFL-Draft 2012 in der dritten Runde an 75. Stelle einen Quarterback namens Russell Wilson pickten.
- Anekdote des Spiels: Und auch dieser Punkt ist zumindest beim zweiten Hinsehen offensichtlich. Denn das erste Spiel, das Russell Wilson in seiner NFL-Karriere gegen die Denver Broncos absolvierte, fand nicht im Staate Washington und auch nicht in Colorado statt. Am 2. Februar 2014 erfolgte der Kickoff im MetLife Stadium in East Rutherford, New Jersey. Es war Super Bowl XLVIII und zusammen mit der Legion of Boom und Beast Mode führte der Quarterback die Seattle Seahawks zu einem ungefährdetem 43:8-Kantersieg. Damit holte die Franchise zum ersten Mal die Vince Lombardi-Trophy in den Pacific Northwest.
Der Hype-Faktor: Kickoff 2022
Guck mal, Mama! DK spielt jetzt sogar auf dem Flügel …
It feels good to football. See you Sept. 8 at 7pm ET. #Kickoff2022 pic.twitter.com/DtsBn5PE3p
— NFL (@NFL) September 6, 2022
Das Fazit:
Der Umbruch bei den Seahawks ist da, ob Pete Carroll nun will oder nicht. Und genau deshalb steht der NFL-Franchise aus Seattle auch die viel zitierte, schwere Saison ins Haus. Dass die ausgerechnet gegen den verlorenen Sohn mit der Trikotnummer 3 beginnt, macht den Auftakt in die neue Spielzeit zu einer ganz besonderen Affäre. Der Mix aus Emotionen, Erwartungshaltung und Nostalgie macht diese Partie zu keinem normalen Week 1-Matchup.
Und das wird sich auch im Resultat des ersten Monday Night-Games 2022 widerspiegeln. So gehen die Seahawks als klarer Underdog in den Schlagabtausch mit den Broncos und genau das macht Seattle zumindest in diesem Spiel gefährlich. In Kombination mit einem nervösen Russell Wilson und gegen einen Coaching-Staff, der alle Vorlieben des Spielmachers kennt, gelingt der jungen Truppe aus dem Pacific Nothwest der Upset gegen den Favoriten. Dass dies aber eines von höchstens einer handvoll Erfolgserlebnissen anno 2022 bleiben wird, dürfte auch glasklar sein.
Prognose: Die Seattle Seahawks gewinnen 20:17.