Week 2 der NFL-Saison 2022 steht an. Und für die Seattle Seahawks bedeutet das nach einem emotionalen Heimsieg gegen die Denver Broncos wieder: Zeit für den Alltag. Denn unter den gegebenen Umständen war das Duell mit Ex-Franchise Quarterback Russell Wilson fast schon eine Art „Super Bowl“ für die Truppe von Head Coach Pete Carroll. Nach nur fünf Tagen Ruhepause ist er es vor allem, der sein junges Team wieder auf das Tagesgeschäft fokussieren muss und das heißt am Sonntag in Kalifornien wie immer in der jährlichen Regular Season-Rotation der Seahawks: San Francisco 49ers.
Neben dem Fokus auf Spielmacher Geno Smith, der gegen Denver die Halbzeit seines Lebens spielte und sich damit auch direkt einen Platz tief in den Herzen der 12s sicherte, wird der Fokus des Seahawks-Coaching Staffs auch auf der Defense liegen. Speziell auf dem Backfield. Denn nach der tragischen Verletzung von Jamal Adams, die die Spielzeit des Strong Safety bereits nach dem ersten Saisonspiel zu Ende brachte, muss auf der nominell in der Spitze am stärksten besetzten Position des Rosters jetzt Ersatz her. Und den fand das Front Office am Puget Sound quasi „in House“, in Person von Josh Jones. Der ehemalige Zweitrunden-Pick der Green Bay Packers überzeugte als Safety in der Preseason und erspielte sich dort mit guten Leistungen einen Platz im Kader. Ob er den auch als Starter ausfüllen kann und ob Carroll und Co. in der Lage sind, das Leistungs- und Führungsvakuum von Adams auf dem Spielfeld so gut es geht zu übertünchen, wird sich direkt im Levi’s Stadium zeigen.
Schließlich ist das Rivalry-Game gegen Seattle auch für die 49ers so etwas wie der „Start“ in die Regular Season. In Week 1 musste das Team von Kyle Shanahan in Chicago eine wahre Regenschlacht auskämpfen. Und hier zogen sich die Niners alles andere als gut aus der Affäre. Angeführt von Quarterback Trey Lance, der in 2022 die Erwartungen einer ganzen Franchise schultern muss, erlitt San Francisco gegen die Bears mit 19:10 wortwörtlich Schiffbruch. Bevor die Titanic in der Bay Area also nun vollkommen auseinander zu brechen droht, falls die Saisonbilanz nach dem Duell mit den Seahawks tatsächlich auf 0-2 gestellt werden sollte, ist vom Team eine Reaktion gefragt. Dass Kittle, Bosa, Samuel und Kollegen das von ihrem Football-Talent her drauf haben, steht außer Frage. Ob sie es im Zweikampf mit dem Rivalen aus dem Pacific Northwest auch auf den Rasen bringen, steht dagegen erneut auf einem anderen Blatt.
Das Spiel:
- Kickoff: Sonntag, 22.05 Uhr
- Austragungsort: Levi’s Stadium (Freiluft, Naturrasen)
- Wettervorhersage: 21 Grad Celsius, Regen
- Schiedsrichter: Brad Rogers
- Empfang: NFL GamePass
- Wettprognose: Seahawks +8,5
- Hashtag: #SEAvsSF
Der Injury Report:
Nachdem die Seahawks S Jamal Adams (Quadrizeps) unter der Woche für den Rest der Saison verloren haben, dürften die 12s bei Blick auf Seattles Injury Report am Freitag ein Stück weit aufgeatmet haben. Die größten Zweifel an einem Einsatz am Sonntag in Santa Clara stehen nur hinter S Joey Blunt (Oberschenkel). Fraglich ist zudem der Einsatz der CBs Artie Burns (Leiste) und Justin Coleman (Wade). Spielen werden dagegen Rookie-RB Ken Walker und G Damien Lewis. Beide tauchten nicht mehr in der Liste auf.
Beim Gegner aus San Francisco ist der abschließende Game Status der angeschlagenen Spieler noch nicht aktualisiert worden. Am Donnerstag konnten bei den 49ers auf jeden Fall OT Daniel Brunskill (Oberschenkel) und TE George Kittle (Leiste) nicht mittrainieren, während LB Dre Greenlaw (Ellenbogen) wieder an einigen Drills teilnehmen konnte. Ebenfalls auf dem Fald stand Star-OT Trent Williams, der am Mittwoch noch geschont wurde.
#Seahawks injury report for Friday. Kenneth Walker and Damien Lewis not listed with game status, so they're good to go after missing the opener. pic.twitter.com/BIWcctS1hZ
— John Boyle (@johnpboyle) September 16, 2022
Die Matchups:
Seahawks-Offensive Line vs. 49ers-Pass Rush: Drei Quarter war Charles Cross unter den Flutlichtern des Lumen Field beinahe tadellos. Doch im vierten Viertel hatte der Rookie Denvers Nr. 1-Pass Rusher Bradley Chubb nur noch wenig entgegenzusetzen. Zweimal musste sich Seattles 2022er First Round-Pick geschlagen geben und zwei Sacks zulassen. Schmälern soll das seine Leistung und damit auch die von Seattles gesamter O-Line aber keineswegs. So hielten C Austin Blythe, RG Gabe Jackson und RT Abe Lucas, dem Pro Football Focus (PFF) bei seinem NFL-Debüt eine 75,5 (aus 100 möglichen Punkten) gab und er damit die viertbeste Note aller Rookies am ersten Spieltag bekam, einen Standard, den die 12s schon lange nicht mehr von einer O-Line der Seahawks gesehen haben. Einzig LG Phil Haynes, der für den bis dato angeschlagenen Damien Lewis in die Startformation gerückt war, fiel mit zwei Penaltys leistungstechnisch etwas ab.
Ob die Line dieses Level gegen die 49ers halten kann, ist eine der großen Fragen, die in Week 2 beantwortet werden wird. Denn mit San Franciscos Front Seven kommt vom Talent des Personals eine der stärksten Positionsgruppen der gesamten NFL auf das Quintett aus Seattle zu. Nick Bosa, Arik Armstead, Javon Kinlaw und Samson Ebukam brachten es 2021 zusammen auf 26 Sacks und 55 QB-Hits. Leistungen, die zumindest Bosa und Ebukam in Chicago vor wenigen Tagen bestätigten, als das Duo für die beiden einzigen Sacks und drei von drei QB-Hits gegen Justin Fields verantwortlich waren. Dass an dieser Stelle gerade die beiden Edge-Positionen für die zwei Rookie-Tackles der Seahawks die größte Herausforderung darstellen, muss dabei nichts Negatives sein. Selbst wenn Cross und Lucas ein ums andere Mal das Nachsehen haben werden, solange Geno Smith und sie selbst unverletzt bleiben, wird das eine wertvolle Lehre in ihrer Entwicklung zu vollwertigen NFL-Startern darstellen.
Seahawks-Receiving Corps vs. 49ers-Secondary: Die Tight End-University ist geöffnet. Zumindest war sie das am ersten Spieltag, als Geno Smith zwei Touchdowns warf. Seine Anspielstationen waren dabei Will Dissly und Colby Parkinson. Beide waren dazu mit jeweils 43 Yards Seattles Receiving-Leader gegen die Broncos. Die Strategie, vermehrt über die Tight Ends zu spielen, war nach Aussage der Coaches von Anfang an Teil des Gameplans gegen Denver. Und gleiches könnte nach der Filmstudy unter der Woche auch im Duell mit den 49ers der Fall sein. Hier könnte Offensive Coordinator Shane Waldron in Week 2 die Schwächen in San Franciscos Coverage-Scheme an- und ausspielen. Über die Mitte auf den kurzen Routen sahen die Linebacker aus Südkalifornien nämlich alles andere als gut aus. So wurden etwa die Gegenspieler von Dre Greenlaw viermal angespielt und viermal ließ er den Catch zu. Das Resultat: 70 Yards für Chicagos Receiver und eine PFF-Coverage Note von 50,0.
Verbunden mit der Tatsache, dass auch die Starter der Niners auf Cornerback, Emmanuel Moseley und Charvarius Ward, in der Deckungsarbeit nicht wirklich einen Blumentopf gegen EQ St. Brown und Co. gewinnen konnten, dürfte das für die Seahawks weitere Optionen im Passspiel eröffnen. Schließlich warten dort als Receiver nicht nur DK Metcalf und Tyler Lockett, sondern auch Marquise Goodwin. Und der dürfte die Coverage von Defensive Coordinator DeMeco Ryans als ehemaliger Niner nur zu gut kennen. Sollte Geno Smith also genug Zeit in der Pocket zum Passen bekommen, ist hier der Ansatz, um San Franciscos Defense ein ums andere Mal auszuhebeln.
Seahawks-Run Defense vs. 49ers-Running Game: Trotz zwei klassischer Seahawks-Goalline Stands, bei denen zwei Fumbles forciert und jeweils der Ball von Seattles Defense aufgenommen wurde, war Defensive Coordinator Clint Hurtt nicht zufrieden mit der Verteidigungsleistung in Week 1. Vor der Kickoff zu Week 2 gab er unter der Woche zu, dass seine Spieler dort einiges auszubessern hätten. Ein Stachel in Hurtts Seite war vor allem, dass die Broncos in Form von RB Javonte Williams zwar kein überragendes, dafür aber ein konstantes Laufspiel aufziehen konnten. Da die Run Defense in den letzten Jahren eine der großen Stärken der Seahawks in der Defense war, schmerzte diese Entwicklung nicht nur dem Coaching Staff. Auch die Mitte der D-Line um Poona Ford, Al Woods, Bryan Mone und Shelby Harris sowie die Linebacker Jordyn Brooks und Cody Barton dürften sich hier an der eigenen Ehre gepackt fühlen.
Und das ist auch gut so. Denn mit dem variablen Running Game, das die 49ers an den Start bringen, wartet nun eine echte Herausforderung auf besagte Spieler. Mit der Verletzung und dem damit verbundenen Ausfall von RB Elijah Mitchell hat San Francisco jetzt keinen nominellen Nr. 1 Running Back zur Verfügung. Den braucht Kyle Shanahan als offensiver Playcaller aber auch nicht, wie er in den letzten Jahren immer wieder bewiesen hat. Stattdessen wird er die Last des Laufspiels auf mehrere Schultern verteilen. Dazu gehören neben RB Jeff Wilson vor allem „Running Receiver“ Deebo Samuel und QB Trey Lance. Gerade letzterer setzte in Chicago immer wieder aus Play Action- und Bootleg-Situationen zum Lauf an und war damit erfolgreich. Doch gerade die Seahawks könnten in Brooks und seinem Skillset an dieser Stelle das passende Gegengift für Lance gefunden haben. Am College bei Texas Tech machte Seattles Nr. 56 sich nämlich mit seiner Mobilität vor allem als Quarterback-Spy einen Namen.
Der X-Faktor: Auswärtsvorteil
Der traditionelle Heimvorteil in der NFL ist vollkommen überbewertet, zumindest wenn die San Francisco 49ers im heimischen Levi’s Stadium gegen die Seattle Seahawks antreten. Hier herrscht dann nämlich der berühmte Auswärtsvorteil. Warum? Von den letzten acht Heimspielen gegen die Carroll-Truppe haben die Südkalifornier nämlich nur zwei gewonnen. Hoffen wir als 12s, dass das in Week 2 so weitergeht!
- Spieler des Spiels: Quandre Diggs. Nachdem er es seinem Safety-Kumpel Jamal Adams gegen Denver gleich tat und eine sichere Interception fallen ließ, schwor der neue Captain der Seahawks-Defense in der folgenden Trainingswoche, die Ballwurfmaschine richtig hart zu attackieren. Gegen San Francisco zahlt sich das mit einem Pick und drei abgewehrten Pässen voll aus.
- Statistik des Spiels: 71 Jahr, graues Haar. Am Donnerstag feierte der älteste Head Coach der NFL Geburtstag. Sein Name: Pete Carroll. Und während er in Deutschland eigentlich schon sechs Jahre in Rente sein müsste, gibt er in Seattle auf dem Trainingsplatz zwischendurch immer noch den Ersatz-Quarterback. Wobei er dafür ja auch fürstlich bezahlt wird …
- Anekdote des Spiels: 120 Regular Season-Spiele hat Pete Carroll als Head Coach mit den Seattle Seahawks gewonnen. Den ersten Erfolg seiner Amtszeit gab es am 12. September 2010. Vor heimischer Kulisse. Im damaligen Qwest Field (heute Lumen Field) gewann Carrolls Team 31:6 – gegen die San Francisco 49ers.
Der Hype-Faktor: Geno, Geno, Geno!!!
Lieber Geno, Week 1 war so toll! Mach es in Week 2 einfach nochmal …
We’re in such a special QB era right now pic.twitter.com/WmSSr9igUQ
— Josh Cashman (@JoshCashman_) September 13, 2022
Das Fazit:
Der Heimsieg über die Denver Broncos war ein Erfolg für die Teamseele der Seattle Seahawks, in einer Saison, in der das Carroll-Team von allen Experten durch die Bank weg schon vor dem ersten Kickoff abgeschrieben wurde. In der realen NFL-Welt, ohne den Wilson-Comeback-Hype, wurde in Week 1 aber auch klar, dass das Spiel der Seahawks auf der anderen Seite auch von vielen Defiziten geprägt war. So bleib die Offense in der zweiten Halbzeit punktlos, während die Defense zweimal an der Goalline hielt und so 14 mögliche Punkte verhinderte. Alleine diese beiden Umstände zeigen, wie Denver den Sieg aus der Hand gab, den sich Seattle mit dem Glück des Tüchtigen erkämpfte.
Und genau das wird dem Team vom Puget Sound in der Bay Area ausgehen. Dort stehen die 49ers vor heimischer Kulisse zu sehr unter Druck, um auch das zweite Saisonspiel zu verlieren. Gepaart mit dem Ansporn nach der verlorenen Regenschlacht in Chicago zu zeigen, was wirklich in der eigenen Truppe steckt, münzen Trey Lance und Co. ihre spielerische Klasse gegen ein noch wachsendes und lernendes Seahawks-Team in Week 2 in einen Heimsieg um.
Prognose: Die Seattle Seahawks verlieren 20:27.