Recap: Postseason 2016 (Divisional Round) – Seahawks @ Falcons

Manch ein Beobachter mag nach der Divisional Round-Niederlage der Seattle Seahawks bei den Atlanta Falcons behaupten, kritische Situationen nahe der Goal Line ziehen sich wie eine tragische Konstante durch die jüngere Playoff-Geschichte des Teams aus dem Pacific Northwest. Diesmal war es die eigene Goal Line – und nicht die des Gegners – die Seattle zum Verhängnis wurde. Der Safety im 2. Quarter und die vorangegangene Strafe waren zwar nicht spielentscheidend, doch sie sorgten für den krassen Bruch im Spiel. Und dennoch darf das nicht die Szene sein, die Fans nach dem Ausscheiden im Kopf bleibt, sondern die Tatsache, dass die Seahawks im fünften Jahr in Serie zu den besten acht Teams der NFL gehören.

Die Aufarbeitung der 20:36-Pleite muss dennoch erfolgen. Sie zeigt, dass die Schwachstellen, die Seattle über weite Strecken der Saison zeigte, auch in den Playoffs nach einer überzeugenden Performance in der Wild-Card Round nicht plötzlich verschwunden waren.

Scoring:

Scoring Divisional Round/2016

Positiv:

  • Erster Drive: Vielversprechend. 14 Plays für 89 Yards, davon neun Läufe für 48 Yards, abgeschlossen mit einem Touchdown-Pass auf Tight End Jimmy Graham (sein erster und einziger Auswärts-TD der Saison). Die Seahawks begannen wie gegen Detroit lauflastig und erzielten den so wichtigen ersten Touchdown direkt im Opening Drive. Das klappte in der Regular Season zuvor nur ein einziges Mal. Übrigens waren das die ersten Punkte überhaupt, die Seattle unter Pete Carroll auswärts in den Playoffs im 1. Quarter holte.
  • WR Paul Richardson: Seit Tyler Locketts Ausfall ist Richardson zu einer verlässliche Größe im Passspiel der Seahawks gewachsen. Vier Receptions für 83 Yards, darunter erneut spektakuläre Fänge unter Bedrängnis, sind die Bestätigung des Aufwärtstrends und machen Hoffnung für die kommenden Jahre.
  • KR/PR Devin Hester: Man merkte, der Returner wollte allen beweisen, dass er es noch kann – besonders seinem Ex-Team. Das schaffte er auch. Ohne die zahlreichen Strafen für die Special Teams hätte das sich auch in den Stats bemerkbar gemacht und dem stotternden Motor der Offense öfter Starthilfe gegeben.
  • QB Russell Wilson: Der Quarterback machte bis auf die schlechte Entscheidung, die zur ersten Interception für die Falcons führte, und zwei schlecht platzierte Bälle auf Doug Baldwin eine solide Partie (17/30, 225 Yards, 2 TD, 2 INT). Die Tatsache, dass er Seattles bester Runner war (6 Läufe, 49 Yards) zeigt, dass er zumindest beim Scrambling wieder der Alte ist, aber auch, dass er keinen ausreichenden Schutz seiner O-Line genießt und keine andere Wahl hat.
  • WR Doug Baldwin: Auf den besten Wide Receiver der Seahawks ist Verlass. An fünf Receptions für 80 Yards und einen Touchdown von Baldwin hat man sich inzwischen gewöhnt. Sein längstes Play – ein Touchdown über 31 Yards – kam, als die Chance auf den Sieg nur noch minimal war.

Neutral:

  • RG Rees Odhiambo: Im 1. Quarter wurde der Rookie für den verletzten Germain Ifedi eingewechselt und bezahlte das Vertrauen direkt mit zwei tollen Blocks für Thomas Rawls, der hinter ihm Raumgewinn erlief, zurück. Danach allerdings bezahlte er nur noch Lehrgeld, als er bei einem Blitz der Falcons im zweiten Drive einen Sack zuließ und Wilson wenig später folgenschwer (Safety) auf den Fuß trat.
  • RB Thomas Rawls: Aus elf Läufen machte der Running Back 34 Yards. Das ist wohl das Maximum, was am Samstag mit der O-Line der Seahawks möglich war. Auffällig ist, dass ein Großteil von Rawls‘ Raumgewinns im ersten Drive zustande kam. Anschließend war das Running Game kaum mehr existent. Das lag in der 2. Halbzeit auch am großen Rückstand, den es aufzuholen galt.
  • K Stephen Hauschka: In den vergangenen Wochen schwang immer wieder ein ungutes Gefühl mit, wenn der Kicker aufs Feld kam. Doch das war diesmal unbegründet. Hauschka verwandelte zwei Field Goals und zwei PATs souverän.
  • CB Richard Sherman: Das Duell mit Julio Jones ging in der 1. Halbzeit klar verloren. Direkt im ersten Drive attackierte Matt Ryan den Cornerback gemeinsam mit Julio Jones ohne Angst – und wurde mehrfach mit Raumgewinn belohnt. Zwar war das Pick Play beim ersten Touchdown regelwidrig, es ist aber auch ohne Foul fraglich, ob Sherman aus der eher passiven Manndeckung (Off Coverage) rechtzeitig bei Jones gewesen wäre. In der 2. Halbzeit flachte das spannende Duell der beiden Stars merklich ab, weil der Falcons-Wide Receiver aufgrund seiner Zehenverletzung mehrere Pausen bekam.

Negativ:

  • Defense: Dieser variablen Atlanta-Offense um den bärenstarken Matt Ryan war Seattle nicht gewachsen. Symbolisch dafür steht ein gnadenloser 99-Yard Drive, den die Falcons kurz vor der Halbzeitpause mit einem Touchdown durch Tevin Coleman abschlossen. Dabei wurden die Seahawks wie öfter an diesem Abend in der Deckung kalt erwischt. Stark ins Passspiel eingebundene Tight Ends und Running Backs sowie Crossing-Routen und das Überladen der Zonenverteidigung stellten das Team aus dem Pacific Northwest vor unlösbare Probleme.
  • Tackling: Ein Bereich (neben der Coverage), in dem die Seahawks ohne Earl Thomas kaum mehr wiederzukennen sind. Das Tackling der Secondary war schwach. Besonders Thomas-Backup Steven Terrell fiel immer wieder negativ auf. Nicht, weil er – wie von vielen Experten befürchtet – viele tiefe Pässe zuließ, sondern vielmehr, weil er nicht in der Lage war, den gegnerischen Runner/Receiver nach dessen Catch im offenen Feld per Tackle zu stoppen. Damit war er jedoch in der Secondary an diesem Tag nicht alleine.
  • Strafen: 80 Yards lang war der Punt Return von Devin Hester. Und dennoch fanden sich die Seahawks danach nicht in der Red Zone des Gegners, sondern an der eigenen 7-Yard Line wieder. Special Teamer Kevin Pierre-Louis machte den Return mit einem dämlichen Foul an der Line of Scrimmage zunichte. Es ist sehr mutig zu behaupten, Seattle hätte das Spiel ohne diese Strafe gewonnen, denn die Partie war noch jung. Dennoch hat das Play – und besonders seine Folgen – den Seahawks enorm geschadet. Ganz plötzlich wurde die Field Position mal eben um 80 Yards verändert. Es kamen weiteren Strafen (insgesamt 7 für 40 Yards) – vor allem von den Special Teams verursacht – hinzu, die die Mission Weiterkommen erschwerten.
  • Bruch im Spiel: Die erwähnte Strafe gegen Kevin Pierre-Louis war Teil einer Verkettung von Umständen, die den Wendepunkt in der Partie markierten. Nach dem annullierten Punt Return begann Seattle seinen Drive an der eigene 7-Yard Line. Ein Run von Thomas Rawls für negative drei Yards verringerte den Abstand zur eigenen Endzone. Und so trat schließlich O-Liner Rees Odhiambo Russell Wilson beim Snap auf den Fuß, dieser stolperte rückwärts und landete in der Endzone auf dem Hosenboden, wo er zum Safety getackled wurde. Zwei Punkte und Ballbesitz Atlanta. Aus dem möglichen 17:7 wurde in kürzester Zeit ein 10:9, auf das die Falcons 17 weitere Zähler folgen ließen, ehe Seattle wieder punktete. Die Seahawks verloren in der Offensive völlig ihren Rhythmus und fanden ihn erst wieder, als die Partie so gut wie entschieden war.
  • O-Line: Die Leistung der Offensive Line am Samstagabend spiegelte die Leistung der gesamten Saison wieder. Mal blitzte das Potenzial auf, als sie Löcher fürs Laufspiel frei blockte, dann aber war sie wieder katastrophal. Die Verletzung von Guard Germain Ifedi war nicht der Knackpunkt. Vielmehr wurden die Tackles Gary Gilliam und George Fant – wohlgemerkt Spieler, die noch nicht lange auf dieser Position spielen, sondern umfunktioniert worden waren – von der Falcons-D-Line um Vic Beasley vorgeführt. Es besteht dringender Handlungsbedarf in der Offseason!
  • Pass Rush: Zwar wurde Falcons-Quarterback und MVP-Kandidat Matt Ryan dreimal gesacked, doch insgesamt war der Druck der Seattle-D-Line nicht groß genug, um Atlantas Passspiel gravierend einzuschränken. Den Blitz bestrafte Ryan mehrfach eiskalt und brach damit den Widerstand von Michael Bennett und Co. Dass sein einziger Fehler – ein Fumble im 4. Quarter – vom eigenen Team gesichert wurde, ist symptomatisch für das vergebliche Anrennen der Seahawks.
  • Umgang mit Kritik: Niederlagen sind frustrierend, das ist bekannt. Michael Bennett bezeichnete Carolina Panthers-Quarterback Cam Newton einst als „sore loser“ (zu deutsch: schlechter Verlierer). Das kann man machen, muss man aber nicht. Vor allem nicht, wenn man anschließend selbst als schlechter Verlierer auffällt – so geschehen am Samstagabend. Auf die berechtigte Frage eines Reporters, warum die D-Line Matt Ryan nicht ausreichend unter Druck habe setzen können, folgte eine Schimpftirade des Defensive Ends, der Reporter solle gefälligst verschwinden. Es fiel in den vergangenen Wochen öfter auf, dass Spieler wie Richard Sherman oder eben Bennett auf Kritik an der eigenen Person empfindlich reagieren. Sie sind ehrgeizig, das macht sie zu den guten Spielern, die sie tatsächlich sind. Sie hassen es, zu verlieren. Ob es jedoch so ratsam ist, Kritik auszuteilen und selbst keine einstecken zu können, ist fraglich.
  • Verletzungen: RG Germain Ifedi (1. Quarter) und CB DeShawn Shead (3. Quarter) mussten das Spielfeld verlassen. Bei Shead deutet vieles auf eine schwere Knieverletzung (vorderes Kreuzband) hin, die sogar den Start der kommenden Saison in Gefahr bringt. Ifedis Knöchelverletzung war so schwerwiegend, dass der Versuch, ihn nochmals ins Spiel einzubinden, misslang. Auch er blieb draußen. Earl Thomas fehlt zwar schon seit Wochen, doch sein Ausfall war gegen die Falcons so schwerwiegend wie noch nie zuvor in dieser Saison.
  • Passives Play Calling: Wer als Underdog auswärts antritt, muss in der Regel ein bisschen mehr riskieren als das Heimteam, um als Sieger vom Feld zu gehen. Diesen Mut aber ließen die Seahawks vermissen. 4th Downs in der gegnerischen Hälfte hätten gerade mit Blick auf den bereits großen Rückstand ausgespielt werden sollen. Auch hätte Seattle aus der letzten Minute der 1. Halbzeit mehr als ein Abknien machen müssen, gerade weil nach der Pause direkt wieder die Falcons in Ballbesitz waren.
  • Turnovers: Und nochmal Defense. Das Spiel hätte Seattle  nur gewinnen können, wenn die Defense den ein oder anderen Turnover produziert hätte. Das war bereits über die gesamte Saison ein großes Problem und eine Stärke, die die Seahawks in der Super Bowl-Saison auszeichnete. Selbst die Chancen, die die Falcons boten (Matt Ryans Pass zu einem nicht aufmerksamen Receiver/Matt Ryans fahrlässige Ballkontrolle beim Forced Fumble), konnte Seattle nicht nutzen.

Fazit:

Die Atlanta Falcons waren stark. Zu stark für Seattle. Selbst mit Earl Thomas und selbst an einem perfekten Tag wäre der Sieg der Seahawks nicht garantiert gewesen. Die vielen kleinen (und wenigen großen) Fehler sorgten dafür, dass das Weiterkommen erst recht in weite Ferne rückte. Schwarz auf weiß: Seattles einstige Vorzeige-Defense ließ 36 Punkte des Gegners zu. Seattles einst laufstarke Offense brachte in den ersten 57 Minuten nur 13 Punkte auf die Anzeigetafel. Das Team von Head Coach Dan Quinn, dem ehemaligen Defensive Coordinator der Seahawks, und dem (wahrscheinlichen) Regular Season-MVP Matt Ryan war das klar bessere am Samstagabend und zieht verdient ins NFC Championship Game ein.

Für Seattle sind die Baustellen in der Offseason derweil schon klar definiert. O-Line und Secondary (in der Tiefe) müssen dringend verstärkt werden. Positiv ist, dass es kaum nennenswerte Free Agents gibt, denn alle Leistungsträger sind langfristig ans Team gebunden.

Dieser Recap begann mit einem Lichtblick und so soll er auch enden. Anfang 2013, als die Seattle Seahawks an gleicher Stelle ebenfalls in der Divisional Round der Playoffs gegen die Atlanta Falcons verloren hatten, begann die Erfolgsgeschichte, die mit dem Titel in Super Bowl XLVIII endete. Damals sagte Russell Wilson bei der Pressekonferenz nach dem Spiel, dass er sich schon beim Verlassen des Spielfelds auf die nahe Zukunft freue. Auch Anfang 2017 – fünf Jahre später – kann er sich noch freuen auf das was kommt. Solange Wilson der Quarterback der Seahawks ist und solange die Defense auf Stützen wie Michael Bennett, Bobby Wagner, Richard Sherman, Kam Chancellor und Earl Thomas bauen kann, ist das Championship Window für dieses Team geöffnet.