Willkommen im Winter Wunderland am Puget Sound! Zum vorletzten Heimspiel der Saison wurden die Seattle Seahawks und die 12s im Lumen Field von einem Schneesturm begrüßt. Das Wetter hatten die Gäste eindeutig direkt aus Chicago mitgebracht. Entsprechend klar war deshalb von Anfang an, welche Art Spiel zu erwarten war. Auf dem rutschigen, eingeschneiten Kunstrasen war das Laufspiel die Medizin, die an diesem Nachmittag im Pacific Northwest verabreicht wurde. Doch das Weihnachtsmenü von Chefkoch Russell Wilson (ja, dieses Wortspiel geht auch in einer absolut gebrauchten Saison) sollte auch von einem guten Schuss Passspiel gewürzt werden.
Dass das möglich wurde, lag auch an der Tatsache, dass die Corona-Liste der Seahawks kürzer geworden war und WR Tyler Lockett als dringend benötigte Anspielstation wieder zur Verfügung stand (die aber kaum genutzt wurde). Nach dem Covid-bedingten Ausfall von RB Alex Collins durfte sich dazu Rashaad Penny auf die Dienste als Running Back-Nr. 1 gegen eine Laufverteidigung der Bears einstellen, die bei zugelassenen Yards tief im untersten Drittel der NFL rangiert. Dazu musste Chicagos Head Coach Matt Nagy auch auf den wahrscheinlich besten Quarterback-Nr. 3 der Liga setzen: Ex-Super Bowl-MVP Nick Foles. Denn nach Andy Dalton verpasste auch Rookie-QB Justin Fields das Auswärtsspiel in Seattle.
Der Spielverlauf:
- 1. Quarter: Seattle bekam den Ball und gab ihn nach nur drei Spielzügen und einem Sack direkt zurück an die Bears. Die wiederum revanchierten sich im Anschluss ihrerseits mit einem 3&out. Deutlich besser wurde es dann im nächsten Drive: Auf dem Weg Richtung Endzone bekam RB Rashaad Penny mehrfach den Ball und folgte bei einem Run OT Duane Brown für 25 Yards Raumgewinn, bevor QB Russell Wilson bei einem dritten Versuch den Moon Ball auspackte und WR DK Metcalf für 41 Yards zum Touchdown fand – 7:0 Seahawks. Frei nach dem Motto „Bend but don’t break“ ließ Seattles Defense dann einen fast neun minütigen Drive zu, in dem Chicago drei dritte Versuche verwandelte, bevor LB Jordyn Brooks bei 4th&Goal RB David Montgomery drei Yards vor der Endzone stoppte und den Turnover-on-Downs forciert. Was folgte? Wer hätte das in dieser Position auf dem Feld gedacht: Ein 3&out von Seattle und ein exzellenter Return, der den Gästen einen First Down an der 15 Yard-Linie der Seahawks brachte.
- 2. Quarter: Trotz eines Holding Penaltys und einem 1st&20 fand Montgomery schließlich doch die Endzone – 7:7. Wetterbedingt setzen die Seahawks auf den feuchtesten aller Träume von Head Coach Pete Carroll: das Laufspiel. In Kombination mit kurzen Pässen auf TE Gerald Everett ging es in einem guten Rhythmus das Feld runter. Gekrönt wurde das ganze schließlich von einem schönen Jet Sweep von WR Dee Eskridge, bevor Rashaad Penny den Ball innerhalb der 5 Yard-Linie zum Touchdown trug – 14:7 Seahawks. Nach einer wilden Sequenz, in der Seattle erst den Ball nach einem vermeintlichen Fumble zurückbekam und die Bears ihn dann doch behalten durften, endete Chicagos Drive nach dem Two Minute-Warning mit einem Punt. Die Gastgeber antworteten mit einem Two Minute-Drill. Nachdem ein Bears-Verteidiger dabei eine eigentlich sichere Interception von Wilson in der Endzone fallen ließ, lieferte K Jason Myers ein sicheres, kurzes Field Goal ab – 17:7 Seahawks.
- 3. Quarter: Zum Auftakt der zweiten Hälfte zeigte Seattles Defense wozu sie auch in der Lage ist. Zunächst lieferte OLB Darrell Taylor ungeblockt einen satten Tackle for Loss, bevor DE Rasheem Green ein Sack gelang, auch weil die LB Bobby Wagner sowie Jordyn Brooks in Coverage absicherten und so gemeinsam einen Punt forcierten. Was das der Offense nutzte? Nichts, schließlich folgte ein weiterer 3&out. Die Bears ihrerseits zeigten im Anschluss, wie effektiv sie das Laufspiel mit David Montgomery umsetzen konnten. Schnell ging es das Feld runter, bevor Rookie-RB Kahlil Herbert mit einem 20 Yard-Lauf unberührt die Endzone fand – 17:14 Seahawks. Bieten lassen wollte sich Seattle das aufseiten der Offense aber nicht. Erst ein schöner Kickoff-Return von RB DeeJay Dallas, ergänzt durch einen 32 Yard-Lauf von Penny und schließlich ein 24 Yard-Touchdown-Pass von Wilson auf Everett stellten den alten Abstand wieder her – 24:14 Seahawks.
- 4. Quarter: Aufgeben wollten sich die Bears im letzten Spielabschnitt aber nicht, im Gegenteil. Mit starken Runs manövrierten sie sich erneut gen Endzone der Seahawks, doch nach einer engen, aber nicht erfolgreichen Challenge bei einem 4th Down für die Seahawks, war es wieder die Defense, die die Bears für ein Field Goal stoppte – 24:17 Seahawks. Im nächsten Drive kam dann wieder Seattles nervigster Charakterzug zum Vorschein, als Wilson nach einem guten Drive bei einem dritten Versuch in einen Sack lief und Jason Myers das Field Goal knapp nicht traf. So kam wieder Spannung auf. Darauf hatte die Defense von Ken Norton Jr. aber gar keine Lust, als sie die Bears im folgenden Drive in einen vierten Versuch zwangen. Hier lieferte Foles dann einen „interessanten“ Spielzug ab, als er statt frei zum First Down zu laufen, einen Fehlpass anbrachte. Turnover-on-Downs. Viel lieferte die Seahawks-Offense dann ihrerseits aber nicht ab. Per Punt wechselte der Ballbesitz knapp drei Minuten vor Spielende wieder zu den Gästen. Eine Vorlage, die Chicagos-Offense mit Kusshand annahm und dank Foles das Feld runter marschierte. Aus der Redzone fand er dann ausgerechnet TE Jimmy Graham zum Touchdown, bevor WR Damiere Byrd die Two Point-Conversion zur Führung fing – 24:25 Bears. Der Vollständigkeit halber ergänzen wir hier nur, dass die Seahawks im letzten Drive bis zum vierten Versuch kaum 20 Yards weit kamen, den Russell Wilson mit einem QB-Keeper nicht verwerten konnte und so den Comeback-Sieg der Bears besiegelte.
Die Hauptdarsteller:
Seahawks-K Jason Myers: Eine Niederlage nur auf einen Spieler abzuwälzen ist niemals fair. Trotzdem haben wir hier Kicker Jason Myers stellvertretend ausgewählt, da seine entscheidende Aktion einfach am offensichtlichsten war. Mit einer 24:17-Führung im Rücken tritt er knapp sieben Minuten vor Ende des Spiels zum Field Goal an. Sein Kick aus 39 Yards geht ganz knapp links an der Torstange vorbei und lässt das Spiel durch einen 7- statt einem 10-Punkte-Vorsprung so offen, dass die Bears am Ende mit viel Mumm durch die Two Point-Conversion die Partie drehen. Zur Ehrenrettung des Kickers, dessen Spiel wie auch das des gesamten Teams in dieser Saison extremen Schwankungen unterliegt, muss man allerdings sagen, dass er bis zu diesem Kick fehlerfrei war. Und dazu war es ausgerechnet Russell Wilson, der Jason Myers das Leben im Schnee von Seattle nicht einfacher machte. Im Play vor dem Kick war er es nämlich, der einen vollkommen unnötigen Sack für 13 Yards Raumverlust kassierte und aus einem 26 Yard- ein 39 Yard-Field Goal machte.
Seahawks-RB Rashaad Penny: Die verschneiten Bedigungen waren wie gemacht für Laufspiel-Enthusiasten und das nutzte Penny. Mit der schweren Verletzung von Chris Carson und der Corona-bedingten Abwesenheit von Alex Collins war der ehemalige First Round-Pick wieder einmal Seattles Running Back-Nr. 1 und zeigte, wie gegen die Houston Texans vor zwei Wochen, warum er nach dem College so gelobt wurde. Gegen die löchrige Laufverteidigung der Bears fand er wie eine muskolöse Flipperkugel immer wieder Lücken in der Defense, um dann im offenen Feld seinen Speed für deutliche Raumgewinne einzusetzen. Und wenn es einmal eng wurde, dann konnte er sich auf das Blocking von Duane Brown, Damien Lewis und Co. verlassen. So erlief er am Ende gegen Chicago 135 Yards und einen Touchdown.
Seahawks-DE Carlos Dunlap: Es spricht (erneut) nicht für das Coaching der Seahawks, dass sie einen erfahrenen Spieler wie Dunlap, der kurz davor steht seine persönliche 100 Sack-Marke zu durchbrechen, nach dessen eigener Aussage in dieser Saison lange Zeit für andere „Sachen“ eingeplant hatte. Etwa sollte er im defensiven Scheme vermehrt in der Deckung spielen. Was aber passiert, wenn man einen talentierten Pass Rusher genau das machen lässt, was ihn über Jahre zu einem Top-Verteidiger in der NFL gemacht hat, dann zeigt sich das. Nachdem er in den ersten elf Saisonspielen nur einen halben Sack, keine Tacklings für Raumverlust sowie vier Quarterback-Hits vorzuweisen hatte, sammelte der Defensive End in den letzten drei Spielen vier Sacks, vier Tacklings für Raumverlust und vier Quarterback-Hits. Gegen Chicago kamen hier zwei Sacks, ein Tackling für Raumverlust und ein forcierter Fumble dazu.
Die Nebendarsteller:
Ehrenvolle Erwähnung: An diesem Sonntag war DE Rasheem Green der junge Pass Rusher, der für die Seahawks ablieferte. Er durfte sich für zwei Sacks feiern lassen. LB Jordyn Brooks zeigt immer mehr, welchen Instinkt er einfach auf dem Footballfeld hat. Zweimal glänzte er alleine in Coverage, einmal gemeinsam mit Bobby Wagner und dazu lieferte er wieder zehn Tacklings ab. Ständige Top-Leistungen von Spitzensportlern nehmen mit zunehmendem Alter ab, doch ab und zu lassen sie ihre Klasse trotzdem immer wieder aufblitzen, so wie Ex-Seahawk TE Jimmy Graham, der das ganze Spiel beinahe vollkommen unsichtbar war, nur um kurz vor Schluss den entscheidenen Touchdown für die Bears zu fangen.
Stets bemüht: QB Russell Wilson agierte im Passspiel eigentlich fehlerfrei (181 Yards, zwei Touchdown-Pässe, keine Interception) und dazu lief er auch wieder etwas öfters mit dem Ball in der Hand. Doch sein Sack vor dem verschossenen Field Goal und seine erfolglosen Aktionen im letzte Drive zeigten einmal mehr, dass die alte Russell-Magie irgendwie verflogen scheint. WR DK Metcalf fing im ersten Quarter auf einer typischen Go-Route einen 41 Yard-Touchdown. Sein zweiter Catch brachte keinen Raumgewinn und das war es dann auch. TE Gerald Everett entwickelt sich in den letzten Wochen weiter zur neuen Lieblingsanspielstation von Wilson. An diesem Sonntag fing er Pässe für 68 Yards und einen Touchdown, kassierte aber im letzten Drive auch eine selten dämliche Fehlstart-Strafe.
Meh: P Michael Dickson ist sonst eigentlich die Konstanz in Person, doch im Schnee ließ er die jetzt komplett vermissen. Ein Punt geriet viel zu kurz, während sein letzter Kick deutlich zum Touchback über die Goalline segelte und den siegbringenden Drive der Bears an der 25 Yard-Linie beginnen ließ, statt idealerweise innerhalb der 5 Yard-Linie. S Teez Tabor: Der Bears-Verteidiger traf Dee Eskridge, der zu Beginn der Saison mehrere Spiele wegen einer schweren Gehirnerschütterung verpasste, nach seinem schönen Jet Sweep im Seitenaus mit einem Helmet-to-Helmet-Hit!
Die Highlights:
Lange haben die 12s auf einen Touchdown von DK Metcalf gewartet und in dieser Situation liefert der Schneeengel der Seahawks voll ab.
It started with a moon ball and ended with a moonwalk into the end zone. @DangeRussWilson to @dkm14 for the 41-yard touchdown. 🙌
📺 #CHIvsSEA on FOX pic.twitter.com/kFC5bzdr7w
— Seattle Seahawks (@Seahawks) December 26, 2021
Am zweiten Weihnachtsfeiertag lässt es Russel Wilson Touchdown-Pässe regnen, hier auf Gerald Everett.
A little pitch and catch from 24 yards out for @DangeRussWilson and @lightningstrk12.
📺 #CHIvsSEA on FOX pic.twitter.com/zr1cfqojFb
— Seattle Seahawks (@Seahawks) December 26, 2021
Nach einer so langen Leidenszeit hatte auch Rashaad Penny deutlich sichtbar Spaß im Schnee. Gönnen wir ihm von Herzen!
Rashaad Penny running wild in the snow. #Seahawks @pennyhendrixx
📺: #CHIvsSEA on FOX
📱: NFL app pic.twitter.com/F6fJXtnUMO— NFL (@NFL) December 26, 2021
Die Randnotizen:
- Egal ob Weihnachten oder nicht. Egal ob Wetter oder nicht. Nach der ernüchternden Saison war das Interesse der Seahawks-Fans an einem Kellerduell mit den Bears überschaubar. Denn nach einer gefühlten halben Ewigkeit blieben tausende Plätze im Lumen Field am Sonntag leer.
- Neben seiner Nominierung für den Walter Payton NFL Man of the Year-Award, wurde Tyler Lockett vor dem Kickoff auch mit dem Steve Largent-Award vom Verein selbst ausgezeichnet. Ein Preis, der an den Spieler verliehen wird, der im abgelaufenen Jahr das beste Beispiel für „den Geist, die Hingabe und die Integrität der Seahawks“ war.
- Ohne geht es einfach nicht: Jahrelang trieb G Germain Ifedi die 12s mit Fehlstarts in den Wahnsinn. Bei seiner Rückkehr nach Seattle kassierte er im vierten Viertel auch als Chicago Bear „seine“ gelbe Flagge.
- Auch für Bruce Irvin war es ein Homecoming-Spiel. Während der Saison wurde er in Chicagos Practice Squad geholt. In seiner alten Heimat blieb er bis auf eine Strafe für unsportliches Verhalten in den letzten Sekunden des Spiels aber vollkommen unauffällig.
- Bobby Wagner ist und bleibt einfach Bobby Wagner. Seine Schritte werden zwar nach und nach langsamer und auch im Tackling baut er ab, allerdings auf höchstem Niveau. Mit jetzt 168 Tacklings in dieser Sasion setzte er gegen die Bears nicht nur einen neuen Saison Franchise-Rekord in dieser Kategorie, sondern auch einen persönlichen.
Die Verletzten:
Die Seahawks kamen ohne signifikanten Blessuren aus dem Spiel gegen die Bears. Einer der wenigen positiven Aspekte.
Das Zitat:
„I have to do more.“ – Head Coach Pete Carroll auf der Pressekonferenz nach dem Spiel in seinem Eröffnungs-Statement. Soso…
Der Tweet:
Mit einer Schneeballschlacht kann man sich auch einmal für ein Spiel am zweiten Weihnachtsfeiertag „warmmachen“.
In totally normal #Seahawks pregame behavior, Travis Homer and DeeJay Dallas are packing snowballs in the south end zone and throwing them at running backs coach Chad Morton.
— John Boyle (@johnpboyle) December 26, 2021
Das Fazit:
Ja, was sollen wir dazu sagen, außer, dass die Seahawks jetzt endgültig im Keller der NFL angekommen sind. Die peinliche Niederlage gegen die Chicago Bears hat einmal mehr gezeigt, wie weit Anspruch und Wirklichkeit in Seattle mittlerweile auseinander klaffen. Immer wieder Ansätze von dem zu zeigen – in der Offense, wie auch in der Defense – was das Team in den letzten Jahren zurecht zu einer der Spitzenteams der Liga gemacht hat, ist einfach nicht mehr genug. Dass genau dieser Trend in den letzten Jahren verschlafen wurde, ob bewusst oder unbewusst, sei hier einmal dahin gestellt. Fakt ist allerdings, dass die Seahawks immer wieder über die gleichen, selbst geschaffenen Hürden stolpern.
Auch gegen die Bears hatte man deutlich weniger Ballbesitz als der Gegner. Auch gegen die Bears verwandelte man nur drei von zehn dritten Versuchen. Auch gegen die Bears machte man sich solide Drives durch vollkommen unnötige Strafen kaputt. Auch gegen die Bears ließ das Clock Management (etwas weniger als sonst) zu wünschen übrig. Auch gegen die Bears wurden offensive Plays unsauber ausgeführt. Auch gegen die Bears wirkte Russell Wilson verunsichert (gerade in den Momenten wie im vierten Viertel, in denen ihn in der Vergangenheit eigentlich nichts aus der Ruhe bringen konnte). Auch gegen die Bears spielte die Defense voll auf „Bend but don’t Break“, nur im endscheidenden Moment (bei der Two Point-Conversion) doch zu „brechen“. Auch gegen die Bears flüchteten sich Pete Carroll und Russell Wilson in der anschließende Pressekonferenz in bekannte Floskeln. Und auch gegen die Bears schloss der Franchise-Quarterback sein Statement mit seinen zwei berühmten Worten: Go Hawks! Die Frage ist nur: Wohin. Und die sehr bittere Antwort gibt es im Angesicht der aktuellen Leistungen von mir gleich mit dazu: Ins Niemandsland der Liga.
Ausblick: In Week 17 empfangen die Seahawks am 2. Januar 2022 um 22.25 Uhr die Detroit Lions.