Der Rückenwind für die Seattle Seahawks war nach dem Sieg gegen die Denver Broncos in Week 1 groß. Schließlich stand mit den San Francisco 49ers sechs Tage später ein Gegner auf dem Spielplan, der in der Russell Wilson-Ära mit 17 Siegen und vier Niederlagen dominiert wurde. Gerade in Südkalifornien hatte das Team von Pete Carroll immer viel Erfolg und konnte sechs der letzten acht Auswärtsspiele (eines davon in Arizona) gewinnen.
Auf der anderen Seite mussten die Gastgeber am Sonntagnachmittag Ortszeit in Santa Clara nach einem enttäuschenden Auftritt in Week 1 in Chicago gewinnen. Und genau diese Kombination aus Rückenwind und Druck, gepaart mit einigen aberwitzigen Plays, sorgte dafür, dass die Partie Seahawks vs. 49ers mal wieder alles andere als langweilig wurde.
Der Spielverlauf:
- 1. Quarter: Der erste Ballbesitz ging nach dem Kickoff an die 49ers. Die Gastgeber starteten mit einer starken Dosis Run Game über Jeff Wilson und Trey Lance. Am Ende setzte die Defense der Seahawks wie schon gegen die Broncos den Stopp in der Red Zone. Das folgende Field Goal war gut – 3:0 49ers. Solide begann auch Seattles erster Drive, unter anderem mit einer First Down-Conversion von Rookie-RB Ken Walker. Wenige Plays später mussten die Gäste allerdings Punten und San Francisco den Ball zurückgeben. Nur zwei Snaps später ließ Deebo Samuel seine Qualität aufblitzen, drehte Darrell Taylor im Backfield ein und lief für 51 Yards. Gestoppt wurde er dort von Tariq Woolen, bevor das Spiel wenig später wegen einer Verletzung von Lance unterbrochen werden musste. Den Schock verdauten die Gastgeber mit einem weiteren Field Goal – 6:0 49ers. Das Ende des Quarters wurde mit dem ersten Catch von Tyler Lockett eingeläutet.
- 2. Quarter: Gestoppt wurde der laufende Sehawks-Drive dann erwartbarer Weise nach einem Screen-Pass. Lange brauchten die Niners im Anschluss nicht, um Ross Dwelley offen für den Touchdown zu finden. Das Play war dabei beinahe eine Kopie des TD-Catches von Will Dissly vor einer Woche gegen die Broncos – 13:0 49ers. Die 12s, die im nächsten offensiven Drive der Seahawks auf Besserung gehofft hatten, wurden dabei leider enttäuscht. So kassierte die Niners-Defense nämlich einem getippten Ball die erste Interception von Geno Smith in 2022. Zur Schadensbegrenzung setzte dann aber direkt die Seahawks-Defense an und forcierte einen Turnover on Downs. Trotz einer kostspieligen Flagge konnte Seattle den Drive fortsetzen, nachdem DK Metcalf eine tiefe Pass Interference gegen die 49ers ziehen konnte. Einem typischen Improvisations-Play von Lockett ließ Seattle zwei Wild Cat-Spielzüge folgen. Und während der erste über Walker noch gut funktionierte, ging der versuchte Touchdown-Pass von Running Back DeeJay Dallas (ja, richtig gelesen!) mit einer Interception voll in die Hose … Und der Slapstick hörte hier nicht auf, denn nach einem 3&out konnte Tyler Lockett den Punt nicht sichern und San Francisco sicherte sich tief in der Hälfte der Seahawks den Ball. Diesmal kassierte die Gäste auch die Quittung durch einen Touchdown von Kyle Juszczyk – 20:0 49ers. So lautete auch der Halbzeitstand, weil Seattle die restliche Zeit nicht in Zählbares ummünzen konnte.
- 3. Quarter: Gleiches galt nach dem Kickoff zur zweiten Halbzeit. Ein Sack von Nick Bosa sorgte für ein schnelles 3&out der Seahawks. Ein Funke, der sich auf San Franciscos Offense übertrug, die die Run-Defense aus dem Pacific Northwest gerade mit Jeff Wilson komplett dominierte. Doch was dann folgte, setzte dem Wahnsinn vorerst die Krone auf. So zwang Seattle die Niners ein Field Goal aus 23 Yards zu kicken, das von Tariq Woolen geblockt und von Mike Jackson zum Return-Touchdown gesichert wurde – 20:7 49ers. In der nächsten Reihe von Spielzügen zeigte San Francisco erneut die Defizite in der Laufverteidigung und im Tackling der Gäste auf, musste jedoch trotzdem Punten. Die Seahawks taten es ihnen gleich, …
- 4. Quarter: … obwohl Carroll und Co. bei diesem Spielstand und einem 4th&Inches vom Analytics-Standpunkt her einfach dafür hätten gehen sollen. Dachten sich auch die höflichen Gastgeber, die den Seahawks den Ball umgehend ebenfalls per Punt zurückgaben. Für den Stopp sorgten übrigens zwei Plays der Rookies Boye Mafe und Coby Bryant. Aufseiten der 49ers tat das nach einigen guten Pässen auf Tyler Lockett wiederum Bosa, der Geno Smith bei 3rd Down zum zweiten Mal sackte und den nächsten Punt erzwang. Den Dolch ins Herz von Clint Hurtts Defense lieferte dann Garoppolo, der nach einigen Flaggen gegen Seattle bei 4th&Goal den QB-Sneak in die Endzone schaffte – 27:7 49ers. In Garbage Time gelangen den Seahawks keine Punkte mehr. Endstand: 27:7 49ers.
Die Hauptdarsteller:
49ers-QB Trey Lance: Lange wurde darüber diskutiert, ob die 49ers Jimmy Garoppolo loswerden sollten. Im zweiten Regular Season-Spiel 2022 wurde klar, dass der Schritt ihn in Santa Clara zu halten wahrscheinlich der beste war. Ähnlich wie bei Quandre Diggs zum Ende der Saison 2021, wurde das Bein von Jimmy G’s Nachfolger Trey Lance bei einem Run Play brutal unter dem Körper von Bryan Mone eingeklemmt. An ein Weiterspielen war nach dieser schweren Verletzung nicht zu denken und so ist es jetzt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Aufgabe von Garoppolo, die Niners auf der Quarterback-Position im Jahr 2022 anzuführen. Gegen ein junges im Umbruch befindliches Seahawks-Team gelang ihm das aus Sicht der 12s leider erneut sehr gut.
Seahawks-WR Tyler Lockett: Für Russell Wilson war Tyler Lockett immer sein Sicherheitsventil. Wenn ein Play sich nicht so entwickelte wie eigentlich geplant und der Quarterback anfing zu scramblen, dann lief sich der Wide Receiver immer wieder in Position und war anspielbar. Ein Instinkt, den Lockett auch unter Geno Smith nicht verloren hat. Gegen die 49ers war es der neue Captain der Offense, der Smith immer wieder Optionen lieferte, wenn auch nicht für einen Touchdown. Mit neun Catches für 107 Yards, lieferte Tyler Lockett das 16. 100-Yard-Receiving-Spiel seiner Karriere ab.
Seahawks-CB Mike Jackson: Wenn in der NFL über Jackson gesprochen wird, dann fallen schon in Week 2 die obligatorischen „Thriller“-Wortspiele aufgrund des Vornamens des Passverteidigers. Ohne Grund passiert das allerdings nicht. Denn nachdem Mike Jackson im Duell mit den Broncos als Starter auf Cornerback zwei Fumbles knapp vor und in der Endzone gesichert hatte, tauchte er auch in Santa Clara wieder im Scheinwerferlicht auf. In diesem Fall sammelte er geistesgegenwärtig den Ball nach einem von Tariq Woolen geblockten Field Goal ein und trug ihn 87 Yards zurück zum Seahawks-Touchdown in die Endzone. Nicht zu verschweigen ist hier allerdings auch, dass Jackson gegen Ende des vierten Viertels auch mit zwei Pass Interference-Flaggen auffiel.
Die Nebendarsteller:
Ehrenvolle Erwähnung: Seahawks-QB Geno Smith der das nahm, was seine O-Line und seine Receiver ihm gaben. Am Ende bedeutete das, dass neben einer Interception genau 24 von 30 Pässen für 197 Yards ankamen. Das Kicking-Trio der Seahawks blieb unauffällig und damit fehlerlos, denn weder Jason Myers, noch Michael Dickson und auch der neue Long Snapper Carson Tinker leisteten sich einen spielerischen Fehltritt. Seahawks-Outside Linebacker Uchenna Nwosu stach nach seiner Wahl zum NFC-Defensive Player der Woche in Week 1 auch gegen die 49ers mit einem abgewehrten Pass und drei QB-Hits erneut positiv heraus.
Stets bemüht: Seahawks-Linebacker Jordyn Brooks muss sich weiter an seine Playcalling-Aufgaben in der Defense gewöhnen, auf seine Hauptaufgabe als Tackler konzentrierte er sich mit elf Tacklings trotzdem. Seahawks-Wide Receiver DK Metcalf war erneut viel mit sich selbst beschäftigt und ließ doch mit seinem leider negierten Monster-Catch aufblitzen, dass gegnerische Defenses ihn einfach nie aus den Augen lassen dürfen. Seahawks-Running Back Ken Walker erhielt bei seinem NFL-Debüt zwar nur vier Runs für 10 Yards, zeigte bei zwei Läufen aber seine Athletik, die ihn zu einem Zweitrunden-Pick machte.
Meh: Seahawks-Offensive Tackle Abe Lucas erlebte gegen Nick Bosa mehrere „Welcome to the NFL“-Momente. Dazu strich er mit einem Penalty sowohl den Metcalf-Catch vom Board und beförderte sein Team mit seiner zweiten Flagge kurz vor der Halbzeit aus der Field Goal-Range. Seahawks-Cornerback Xavier Crawford wurde aufgrund der Verletzungsmisere im defensiven Backfield unter der Woche in Seattles Kader geholt und rempelte Tyler Lockett beim Fang eines Punts an, sodass der den Ball verlor und die 49ers das Lederei recovern konnten.
Die Highlights:
Ein erneuter Beweis, dass DK Metcalf fast schon außerirdische Fähigkeiten hat. Zählte nur bedauerlicherweise nicht …
Ineligible player down field but the Seahawks trick play was AWESOME as DK Metcalf MOSSED him. pic.twitter.com/pUACDvLOxx
— Sami Jarjour (@SamiOnTap) September 18, 2022
Tariq Woolen mit dem Block, Mike Jackson wieder mit der Recovery und dem TD!
This blocked FG is a THRILLER. Michael Jackson takes it 85 yards to the crib!
📺: #SEAvsSF on FOX
📱: Stream on NFL+ https://t.co/5seLjDGe69 pic.twitter.com/VV3gINLa5B— NFL (@NFL) September 18, 2022
Poetry in Motion!
Playmaker ➡️ touchdown scorer pic.twitter.com/Sw5X3eBKSu
— Seattle Seahawks (@Seahawks) September 18, 2022
Die Randnotizen:
- Nach der Regenschlacht in Chicago brachten die 49ers das schlechte Wetter direkt mit nach Santa Clara, wo beide Teams mit teils heftigem Regen und starken Windböen zu kämpfen hatten.
- Pete Carroll entledigte sich bei der Begleitung des geblockten Field Goals an der Seitenlinie zwar nicht seines Kaugummis, dafür ließ er aber die Verpackung auf den Boden segeln. Altes Umwelt-Sch….
Die Verletzten:
Guard Damien Lewis fehlte verletzungsbedingt in Week 1 und startete auch nicht gegen die 49ers. Warum zeigte sich Mitte des ersten Quarters, als er nach wenigen Snaps schon wieder unter Schmerzen auf dem Boden saß und im Anschluss auch nicht mehr ins Spiel zurückkehrte.
Defensive Tackle Shelby Harris spielte ebenfalls nur wenige Snaps und war von da an nur noch an der Seitenlinie zu sehen, weil er sich offenbar wortwörtlich den Allerwertesten gebrochen hatte!
Wide Receiver DK Metcalf schien zunächst Schmerzen an der Hand zu haben, bevor er nach dem ersten offensiven Drive der Seahawks ins blaue Medizinzelt ging und sich dort am unteren Rücken untersuchen ließ. Wenig später stand er aber wieder auf dem Feld und spielte auch durch.
Das Zitat:
„This league just reminds you how to get humbled .“ – Seahawks-Head Coach Pete Carroll über die Fehler, die sein Team das gesamte Spiel über machte und die die 49ers gnadenlos ausnutzten.
Der Tweet:
Dem ist leider nicht viel hinzuzufügen…
The Seahawks putting all 4 of their running backs on the field at the same time just to throw an interception is the funniest thing that's ever happened on an NFL field.
— Robert Mays (@robertmays) September 18, 2022
Das Fazit:
Besser als unsere Kollegen von Seahawks-Fanblog Fieldgulls hätten auch wir von den GSH es nicht ausdrücken können. Back to Earth – auf dem Boden der Tatsachen ist das Team von Head Coach Pete Carroll angekommen. Denn trotz des famosen Heimsieges gegen die Denver Broncos übertünchte dieser schon vor sechs Tagen nicht, welche Defizite Seattle in seinem Spiel hat und das die in dieser Saison nicht von heute auf morgen abgestellt werden können.
An Spiele wie gegen San Francisco, in denen die Gegner den Seahawks über weite Strecken überlegen sind und deshalb auch hoch in Führung gehen, müssen sich die 12s anno 2022 gewöhnen. Schließlich ist dieses Team im Neuaufbau, egal was der alte Mann an der Sideline behauptet. Keine Frage: Auf vielen Positionen ist die Truppe vom Puget Sound mit Talent bestückt, aber in dieser Spielzeit gilt es diese rohe Qualität in ein NFL-taugliches Format zu bringen. Und bis es soweit ist (wahrscheinlich erst in 2023 oder sogar 2024) werden wir als Seahawks-Fans uns an solche ernüchternden Abende wohl oder übel gewöhnen müssen.
Ausblick: In Week 3 empfangen die Seahawks am Sonntag, 25. September 2022, um 22.25 Uhr die Atlanta Falcons.