Satz mit X, war wohl nix: Besser hätten die Voraussetzungen für die Seattle Seahawks vor dem Heimspiel gegen die Arizona Cardinals gar nicht sein können, um auch das letzte Flämmchen Hoffnung an die Playoffs vielleicht doch noch ein wenig länger lodern lassen zu können. So hatten die bisherigen Wild Card-Teams der NFC im frühen Spielfenster am Sonntag fast durch die Bank weg gepatzt. Dazu reisten die Gäste aus der Wüste zwar mit einem ihrer beiden Offensiv-Superstars an den Pudget Sound an, doch sein Trikot zog QB Kyler Murray auch im dritten Spiel in Folge nicht an. WR DeAndre Hopkins blieb verletzungsbedingt gleich in Arizona.
Genutzt hat es dem Team von Head Coach Pete Carroll am Ende wenig. Das bisschen Kompetenz, dass die Offensive von Coordinator Shane Waldron aufs Feld brachte, wurde von einer glänzend aufgelegten Defense der Cardinals immer wieder im Keim erstickt. Nach einem gefühlten Dutzend Punts, zwei kurzen Field Goals und einem einsamen Touchdown im vierten Viertel, sprangen so am Ende lediglich 13 eigene Punkte heraus. Auf der anderen Seite schneiderte der Cheftrainer der Weiß-Roten, Kliff Kingsbury, seinem Ersatzspielmacher Colt McCoy einen offensiven Gameplan auf den Leib, den der so gut ausführte, dass während der gesamten 60 Minuten Spielzeit auch nicht der Hauch eines Zweifels aufkam, wer das Divisions-Duell an diesem Nachmittag im Lumen Field gewinnen würde. Aber lest selbst:
Der Spielverlauf:
- 1. Quarter: Erster Snap: Rush von RB Rashaad Penny für 18 Yards! Was?! Doch zwei Plays später lieferte DE Chandler Jones den Sack. Dann LB Isiah Simmons direkt mit dem nächsten Sack. Punt Seahawks. Im ersten Drive kam Arizona gut ins Rollen und ließ sich noch nicht einmal von einem 3rd&10 aufhalten. Nach einer Pass Interference-Flagge gegen CB Tre Brown standen die Gäste an der 1-Yard-Linie, bevor TE Zach Ertz einen kurzen Pass in der Endzone fing. 0:7 Cardinals. Im zweiten Drive setzen die Seahawks stark auf das Running Game, was dem Experten im US-Fernsehen im Angesicht des „Carroll Styles“ fast die Hose platzen ließ. Zum Ende des ersten Viertels stand es trotzdem immer noch 0:7.
- 2. Quarter: Einige Runs ließen den Drive der Seahawks eigentlich gut anlaufen. Doch dann resultierte ein katastrophaler Snap in einen 3rd&20. Es folgte ein kurzer Run und dann natürlich der Punt. Weit kamen die Cardinals aber nicht, nachdem SS Jamal Adams seinen Gegner, WR Rondale Moore, an der 1-Yard-Linie zurückdrängte und Arizona beim 3rd&15 selbst punten musste. Die gute Field Position verwandelte Seattle am Ende in drei Punkte, nachdem WR DK Metcalf bei einem spektakulären One Handed-Catch in der Endzone nur einen Fuß ins Spielfeld brachte. Ein kurzes Field Goal von K Jason Myers und der 3:7-Anschluss war da. Was folgte, passte dann zum Spielverlauf. Bei 3rd&5 ging QB Colt McCoy tief und fand WR AJ Green für 31 Yards. Bei dem Play verletzt sich dann auch noch Tre Brown, der sofort unter Schmerzen in die Umkleidekabine musste. Und wo wir schon beim täglich grüßenden Murmeltier sind: Bei 4th&1 an der Mittellinie gingen die Cardinals dafür und nach einem minimalen Raumgewinn warf Pete Carroll die Challenge Flagge. Die Folge: First Down Arizona und mal wieder ein verschwendetes Timeout. Ende vom Lied: Nach dem Two Minute Warning konnte es sich McCoy sogar leisten einen Snap fast fallen zu lassen und trotzdem Ertz für den Touchdown zu finden. 3:13 Cardinals nach dem verpassten Extrapunkt. Die Frage nach der Fitness von QB Russell Wilson stellte sich dann in Seattles nächstem Drive. Nach einem schönen Scramble und einer etwas glücklichen Strafe gegen die Gäste, standen die Seahawks in der Redzone. Und nachdem Wilson einen völlig offenen TE Gerald Everett zum Touchdown überwarf und im nächsten Play den offenen WR Freddie Swain in der Endzone übersah, kickte Jason Myers das nächste Field Goal: 6:13. Am Ende war das auch der Halbzeitstand, obwohl die Cardinals sich innerhalb einer Minute in die Redzone vorarbeiteten. Dort verkickte K Matt Prater dann aber ein Field Goal.
- 3. Quarter: Und wenn man denkt es geht nicht mehr, dann kickte Jason Myers den Kickoff ins Aus und die Cardinals starteten Halbzeit Nr. 2 an der 40-Yard-Linie. Als Ergebnis des Drives stand schließlich ein 54-Yard-Field Goal von Prater: 6:16. Ein Stopp, der die Offense der Seahakws ins Spiel brachte? Nein. 3&out, Punt, Ballbesitz Arizona. Dann vielleicht im nächsten Drive? Denn nachdem CB Sidney Jones eine dringend benötigte Interception leider nicht richtig festhalten konnte, puntete Arizona erneut. Lange hielten die Seahawks den Ball aber nicht. Nach einem erneut ungenauen Pass bei 3rd&4 folgte so der nächste Punt. Und wer jetzt geraten hätte, dass es den nächsten Punt gab, der hätte eine kleine Cola ohne Eis gewonnen. Bis es so weit war, überwand Arizona aber erst noch einen 2nd&20, scheiterte wenig später aber endlich an einem 3rd&20. Ein Konzept, mit dem sich auch die Seahawks wieder anfreundeten und statt eines Scoring Drives den nächsten Punt nach dem zweiten Sack von Chandler Jones gen Himmel schickten.
- 4. Quarter: Ähnliches dachte sich auch Cardinals-Kicker Matt Prater, der ein weiteres Field Goal verschoss, nachdem eine vollkommen ausgepumpte Seahawks-Defense teilweise tragikomische Plays zuließ und nur durch eine vollkommen dämliche Strafe eines Arizona-O-Liners eine Pass Interference in der Endzone zurückgepfiffen bekam. Ein Geschenk, das die Seahawks dann auch nach der gefühlt 86. Einladung einmal annahmen. Nach einem tiefen 48-Yard-Pass auf WR Tyler Lockett trug RB DeeJay Dallas den Ball mit einem starken Run bis an die 1-Yard-Linie. Und am Ende war er es auch, der den Ball zum Touchdown zum 13:16 in die Endzone trug. Davon ließ sich Arizona aber nicht im Geringsten aufhalten. Nach einem Mix aus Laufspiel, Scramble-Plays von McCoy und einer bitteren, aber vollkommen berechtigten Pass Interference-Entscheidung an der Goalline gegen Jamal Adams, trug RB James Conner den Ball schließlich zum 13:23 und damit zur Entscheidung in die Endzone. Der letzte Drive der Seahawks ist auch schnell erklärt: Er endete mit einem Punt. So konnten die Cardinals das Spiel dann entspannt abknien.
Die Hauptdarsteller:
Seahawks-QB Russell Wilson: Ist er fit? Ja, sagen zumindest alle, die tagtäglich mit ihm arbeiten und ihn trainieren. Doch irgendwie bekommt man von Außen den Eindruck, das ihm sein kaputter Finger trotz Blitz-Heilung immer noch zu schaffen macht. So viele ungenaue Pässe, ob zu tief oder überworfen, kennt man von ihm einfach nicht. Dazu hat er offenbar weiterhin Probleme seine Anspielstationen abzuscannen und schnelle Entscheidungen zu treffen. Ähnlich sieht es mit dem Erkennen von gegnerisch Defensiv-Formationen aus, gerade im Angesicht der Tatsache wenn die Offensive Line den Druck der D-Line so schnell in die Pocket kommen lässt. 14 von 26 angebrachten Pässen für 207 Yards und keinen Passing-Touchdown ist schlicht keine Statistik, die ein gesunder Russell Wilson selbst gegen eine starke Defense hinlegt. Unterstrichen wird das von den Ergebnissen der Drives, die er zwischen seinem letzten Touchdown vor und nach der Verletzung anführte. Sie lauten wie folgt: Verpasstes Field Goal, Punt, Punt, Punt, Punt, Punt, Punt, Punt, Halbzeit, Punt, Interception, Punt, Interception, Spielende, Punt, Punt, Field Goal, Field Goal, Punt, Punt, Punt…
Cardinals-QB Colt McCoy: Eine Stat-Line von 35 angekommenen Pässen bei 44 Passversuchen für 328 Yards, zwei Passing Touchdowns, keiner Interception und einem Passer Rating von 112,9 lässt keine Zweifel aufkommen, wer das Spiel aufseiten der Cardinals heute gegen die Seahawks mitgewonnen hat. Damit behielt McCoy im dritten Spiel gegen die Seahawks in seiner Karriere mit dem dritten Sieg auch seine weiße Weste. Mittlerweile ist der Colt-Fluch im Lumen Field sogar so groß, dass Journalisten während des Spiels twittern, dass die Seahawks doch eine Petition einreichen sollten in der McCoy die Überquerung von Seattles Stadtgrenze verboten wird…
Seahawks-Offense: 13 Punkte insgesamt. Nur 16 First Downs. Zwei von zehn verwandelten Third Downs. Lediglich 266 Yards. Vier Sacks zugelassen. Und nur 19 Minuten und 38 Sekunden auf dem Feld, was im Gegenzug bedeutet, dass die Defense mit 40 Minuten und 22 Sekunden fast doppelt so viel ackern musste. Alles Zahlen die zeigen, dass die Magie, die der neue Offensive Coordinator Shane Waldron entfalten sollte, schlicht nicht da ist und die Seahawks ihren Ansprüchen als Playoff-Contender meilenweit hinterher laufen.
Die Nebendarsteller:
Ehrenvolle Erwähnung: LB Bobby Wagner merkt man sein Alter mittlerweile schon etwas an, wenn er jetzt öfter mal den ein oder anderen Schritt zu spät Richtung Ball macht. Trotzdem brach er gegen die Cardinals in der zehnten Saison in Folge die 100 Tackling-Marke. P Michael Dickson musste gefühlt ein gutes dutzend Mal seine Künste auspacken. Am Ende waren es „nur“ fünf Punts, von denen drei innerhalb der 20-Yard-Line landeten. DT Bryan Mone, Pass Rusher. 1,5 Sacks hatte er gegen die Cardinals, so viel wie kein anderer Seahawk.
Stets bemüht: Ohne DJ Reed und den verletzten Tre Brown wurde CB Sidney Jones zum Cornerback Nr. 1 und fing fast eine spektakuläre Interception. K Jason Myers bis auf einen Kickoff der im Seitenaus landete, blieb er anders als sein Gegenüber aus Arizona fehlerlos und verwandelte beide Field Goals und einen Extrapunkt. Dazu lieferte er bei einem Kick-Return ein krachendes Tackling, auf das jeder Special Teamer stolz wäre. WR Tyler Lockett liegen Spiele gegen Arizona einfach. Heute fing er vier von fünf Bällen für 115 Yards, wobei er bei zwei langen Catches noch einige Yards mehr und vielleicht einen Touchdown hätte erlaufen können.
Meh: WR DK Metcalf fing anders als Lockett nur 50 Prozent von insgesamt acht Anspielen für 31 Yards. Da hat die neue Haarfarbe wohl nicht viel gebracht. Das Seahawks-Challenge-Management war mal wieder völlig off, indem man Einspruch gegen einen vierten Versuch einlegte, der schon in der ersten Wiederholung deutlich in einen First Down umgemünzt wurde. Immerhin fand Pete Carroll direkt seine rote Flagge.
Die Highlights:
Flyover über dem Lumen Field, mal aus der anderen Perspektive. Da unten waren auch unsere German Sea Hawkers irgendwo heute!
What a view 😍 #SaluteToService https://t.co/e2KQ5CkfM9
— Seattle Seahawks (@Seahawks) November 21, 2021
Wer so viele Snaps in der Defense ackern muss, der hat wie DE Carlos Dunlap auch mal eine Umarmung von Mama verdient!
There’s always time for a hug for mom.
A special moment as we saluted Dr. Diana Ross-Jackson, @Carlos_Dunlap’s mother, who served 11 years as a @USArmyReserve 91E Dental Specialist.#SaluteToService x @USAA pic.twitter.com/1Y56BB8UpA
— Seattle Seahawks (@Seahawks) November 21, 2021
Nach 20 Drives in Folge ohne Touchdown, erlöste DeeJay Dallas die Seahawks mit seinem Lauf in die Endzone. Trotzdem nur ein schlechtes Trostpflaster.
Go DeeJay 🎛️🎵@DallasDeejay breaks through for the TD and we're back in business. #GoHawks
📺 FOX
📻 710 ESPN Seattle
📱 https://t.co/mxF7cZvkVt pic.twitter.com/vnXKWfsLaP— Seattle Seahawks (@Seahawks) November 22, 2021
Die Randnotizen:
- Mit dem Sieg feierten die Arizona Cardinals den neunten Erfolg im Lumen Field. So viele wie kein anderes Team.
- Bevor DeeJay Dallas im vierten Viertel den Touchdown erlief, blieben die Seahawks 20 Drives in Folge ohne das große Punkte-Paket.
- Cardinals-DE Chandler Jones hat jetzt 12,5 Sacks im Lumen Field in seiner Karriere. Damit liegt er in diesem Stadion in den Top-10 und das, obwohl er nie einen Snap für die Seahawks gespielt hat.
- Seahawks-QB Russell Wilson hatte bis zum 22. November 2021 noch nie in seiner Karriere drei NFL-Spiele in Folge verloren.
Die Verletzten:
RB Rashaad Penny startet das Spiel mit einem langen Run. Danach verschwand er mit einem zwickende Oberschenkel ins Injury-Zelt und war bis zur zweiten Halbzeit nicht mehr gesehen. Mehr als ein paar Runs ohne großen Raumgewinn hatte er danach aber nicht.
CB Tre Brown verletzte sich im Eins-gegen-Eins gegen AJ Green an der Patellasehne. Eine Verletzung, die je nach Schwere auch ein Saison-Aus bedeuten könnte. Spekulieren wollte Carroll darauf aber nicht.
Das Zitat:
„I’m not prepared for this. I’m struggling to coach when you’re getting your butt kicked.“ – Seahawks-Head Coach Pete Carroll über das Gefühl, wenn das eigene Team bei einer Bilanz von 3:7 steht.
Der Tweet:
Hallo Seattle, die deutsche Sea Hawkers-Delegation war heute endlich wieder vor und natürlich auch im Stadion! Mit >60 Fanklub-Mitgliedern!!!
Deutscher Besuch in Seattle. Mit einem großen Aufgebot unterstützen wir die #Seahawks heute vor Ort💪🏽#ARISEA #ranNFL #ENDZN pic.twitter.com/xa9zEMzOiO
— German Sea Hawkers (@SeaHawkersGER) November 21, 2021
Das Fazit:
Willkommen im Keller der NFL. Wer als Seahawks-Fan jetzt noch meint, von den Playoffs sprechen zu wollen, dem muss ich höflichst darum bitten, mir zu verraten, in welcher Fortbildung er diesen grenzenlosen Optimismus gelernt hat. Denn die würde ich dann auch gerne mal besuchen. Aber im Ernst: Beim Blick auf das Team von Pete Carroll kann man die diversen Baustellen kaum noch übersehen. Der Coach selbst wirkt in seinen Entscheidungen mittlerweile vollkommen ratlos, wie er auch in der Pressekonferenz zugab. Bei Russell Wilson ist selbst für Laien erkennbar, dass er nicht richtig fit ist. Eingestehen will er sich das aber selbst offenbar nicht. Was sein gutes Recht ist, aber ob er damit seinem Team weiterhilft und das Ruder vorerst nicht besser an Geno Smith übergeben sollte, bevor er wieder richtig gesund ist? Durch den fast schon sturen Perfektionismus des Franchise-Quarterbacks werden wir es wahrscheinlich nie herausfinden.
Und dann wäre da noch die Offense als ganzes. Klar, die Defense bekleckert sich auch nicht mit Ruhm, wenn sie scheinbar ohne jede Gegenwehr dem Gegner ermöglicht einen 2nd&20 mit einem Spielzug zu überwinden. Dass die Männer um Bobby Wagner dann aber während eines Spiels teilweise haarsträubende Coverage-Fehler machen, mag dann aber auch daran liegen, dass sie sich die Seele aus dem Leib spielen müssen, wenn sie über 40 Minuten auf dem Feld stehen. Eine Tatsache, die wiederum auf die Offensive zurückfällt, die einfach nicht in der Lage ist ihr ohne Frage vorhandenes Potential zu nutzen und ihren Gegnern genau damit Kopfzerbrechen zu bereiten. Wenn Tyler Lockett im Interview schulterzuckend nach dem Spiel zugibt, dass jede Defense den Seahawks neue Coverage-Pläne und Defensiv-Spielzüge präsentiert, dann ist das eine Bankrotterklärung. Ganz abgesehen von der Tatsache, dass Pete Carroll ebenfalls ganz offen gesteht, auf solche Niederlagenserien schlicht nicht vorbereitet zu sein… Noch Fragen?!
Ausblick: In Week 12 gastieren die Seahawks am 30. November um 02.15 Uhr deutscher Zeit zum Monday Night Game beim Washington Football Team.