Recap: Regular Season 2016 (Week 15) – Rams @ Seahawks

Möglicherweise hat uns Richard Sherman mit seinen Aussagen unter der Woche einfach sensibilisiert für das Thema Thursday Night Football. Doch vielleicht war das Spiel zwischen den Seattle Seahawks und den Los Angeles Rams tatsächlich ein weiteres Beispiel dafür, dass Begegnungen in der Nacht von Donnerstag auf Freitag nicht für hohe spielerische Qualität stehen. Zumindest traf die Bezeichnung „Poopfest“ (zu deutsch: Kackveranstaltung) ganz gut zu auf das, was da auf dem Spielfeld im CenturyLink Field zu sehen war. Was am Ende zählt ist, dass das Team aus dem Pacific Northwest mit dem 24:3-Sieg die NFC West gewinnt und sich zum fünften Mal in Serie für die Playoffs qualifiziert. Alles andere arbeiten wir jetzt wie gewohnt im Rückblick auf.

Scoring:

Scoring Week 15/16

Es ist nicht einfach, Thursday Night Football-Spiele fair zu bewerten. Abgesehen von ein paar wenigen Ausnahmen waren die Spiele in den Nächten von Donnerstag auf Freitag durch die Bank schwach und von Fehlern geprägt. Gleichzeitig aber wurde von den Seahawks eine Trotzreaktion auf das desolate Auswärtsspiel in Green Bay gefordert. Zwei völlig unterschiedliche Erwartungshaltungen, die in die folgende Bewertung mit einfließen.

Positiv:

  • Playoffs & Pete Carroll-Ära: In sechs Spielzeiten unter Pete Carroll haben die Seahawks fünfmal (in Serie) die Playoffs erreicht und viermal den Titel in der NFC West gewonnen. Da kann man von einer Ära sprechen. Und nur den Hut ziehen.
  • Front Seven: Nach nur einem Sack in den vergangenen drei Partien kamen D-Line und Linebacker gegen Los Angeles auf ganze vier Sacks. Jeweils 1,5 gehen auf die Kappe von Frank Clark und Cliff Avril. Cassius Marsh war einmal erfolgreich. Der Sack von Michael Bennett ging in der NFL-Statistik irgendwie verloren. Zudem wurde Rams-Running Back Todd Gurley auf 38 Yards bei 14 Carries limitiert. Doch auch abseits der Zahlen machte die Unit eine gute Figur. Outside Linebacker Mike Morgan unterband früh im Spiel einen vielversprechenden Lauf mit nur einer Hand, Middle Linebacker Bobby Wagner sammelte weitere tapfer Tackle für Tackle und Bennett brachte Rams-Tight End Tyler Higbee mit seinem Kopf zu Fall.
  • DE Cliff Avril: Nummer 56 bekommt heute ein Sonderlob, weil er in Sachen Sacks jetzt einen neuen Karriere-Bestwert aufgestellt hat: 11,5. Ein Wert, der aber noch viel mehr für Avril steht, ist der für Strip Sacks, also Situationen, in denen ein Verteidiger dem Quarterback den Ball aus der Hand schlägt. In seiner Paradedisziplin steht der Defensive End nun bei 26 Strip Sacks insgesamt.
  • WR Tyler Lockett: Der schnelle Receiver war schnell im Spiel (direkt involviert), was Anzeichen nährte, dass er Jermaine Kearse als Nummer zwei im Passspiel überholt hat. Am Ende standen sieben Receptions für 130 Yards sowie einen Touchdown (über 57 Yards) auf der Habenseite.
  • Challenges: Dreimal warf Head Coach Pete Carroll in der 1. Halbzeit die rote Flagge – zweimal lag er damit richtig. Bei allen drei Challenges bat der Trainer die Schiedsrichter, sich den Spot des Balles nochmals genauer anzusehen. Gute Entscheidungen, die einen Drive am Leben hielten oder den des Gegners beendeten.
  • WR Doug Baldwin: Im Vergleich zu Lockett hatte der Top-Receiver der Seahawks einen ruhigen Tag. Fünf Fänge für 35 Yards und einen Touchdown sind sicher irgendwo erwähnenswert, aber kein Muss in dieser Liste. Baldwin ist hier auch nur zu finden, weil er mit diesen unglaublich heißen Move vor seinem Endzonen-Besuch viele Herzen höher schlagen lassen hat. Und die Knöchel von Rams-Cornerback Troy Hill an ihre Belastungsgrenzen gebracht hat.
  • Sumoringer: Der eiskunstlaufende japanische Kampfkünstler war eines der Highlights der nächtlichen Übertragung. Dass er in der Werbepause erschien, ist bezeichnend für die Qualität des Spiels. Und nein: Wir machen hier keine Schleichwerbung für Geico.
  • Vertrauen ins Laufspiel: Sieben Carries für acht Yards hatte Running Back Thomas Rawls in der 1. Halbzeit. Man hätte davon ausgehen können, dass die Seahawks sich im 2. Abschnitt weniger auf das Laufspiel konzentrieren würden. Doch das Gegenteil war der Fall. Nach der Pause lief Rawls 14 Mal für 26 Yards. Auch keine Glanzleistung, aber der Beweis, dass Seattle langsam wieder mehr Vertrauen in sein Laufspiel hat. In der Vorwoche war die Ausgangslage in der 2. Halbzeit eine andere gewesen. Aufgrund des hohen Rückstands gegen Green Bay wurde logischerweise der Passweg bevorzugt. 

Neutral:

  • DE Michael Bennett: Da es sich wohl nie ändern wird, müssen wir damit leben lernen und es mit einer gewissen Gleichgültigkeit wahrnehmen. Bennett wäre nicht Bennett, wenn er nicht immer für einen Frühstart gut wäre. Sein prädestinierter Nachfolger Frank Clark tat es dem Vorbild gleich. Clark wäre nicht Clark, wenn er nicht von Bennett lernen würde – die guten wie die schlechten Angewohnheiten.
  • Color Rush: Irgendwie passte das grelle, unseriöse Grün auf den Seahawks-Trikots und in den Endzonen zum Auftreten der zwei Teams und dem Vorgeplänkel unter der Woche. Pete Carroll wurde als neuer Rams-Head Coach ins Gespräch gebracht, nachdem Los Angeles Anfang der Woche und nur drei Tage vor dem nächsten Spiel seinen Cheftrainer gefeuert hatte. Beide Teams versuchten sich munter an Trickspielzügen. Und Michael Bennett und Aaron Donald machten die Klassenclowns und kassierten Strafen für übertriebenes Feiern und einen Flaggenwurf in Richtung Schiedsrichter. Als hätte Richard Sherman das alles kommen sehen.
  • P Jon Ryan: Der unglückliche Held des Abends. Musste beim Stand von 24:3 tatsächlich einen Fake für sein Team laufen. Er war über die riesige Lücke in der Mitte des Spielfelds wahrscheinlich selbst am überraschtesten, was seine Hektik bei der Ballbehandlung erklärt. Beim Versuch, das Ei wieder unter Kontrolle zu bringen, erwischte ihn Baldwin-Opfer Troy Hill heftig. Das Resultat: Gehirnerschütterung bei Ryan und ein Fumble, den die Seahawks aber wieder unter Kontrolle brachten. Die Frage: Muss das bei einer 21-Punkte-Führung sein? Die Antwort: Nein, aber es tat den Verantwortlichen der Seahawks wohl ganz gut, nachdem sie in den vergangenen Jahren immer wieder durch Trickspielzüge von den Rams geärgert worden waren.
  • Tight Ends: Gewinnen die Seahawks souverän, beschwert sich niemand über mangelnde Targets für Jimmy Graham. Der Star hatte nur eine Reception, aber die saß mit 31 Yards recht ordentlich. Sein Kollege Luke Willson stand diesmal mehr im Mittelpunkt. Er hatte zwar nur drei Fänge für 19 Yards, darunter aber den ersten Touchdown seines Teams.

Negativ:

  • Running Game: In den vergangenen vier Wochen erliefen die Seahawks 163,8 Rushing Yards pro Spiel und 6,1 Yards pro Carry. In diesem Zeitraum lagen sie damit auf dem 2. Platz in der NFL. Gegen die Rams kam dann die Rückkehr zur Ineffektivität: 1,9 Yards pro Lauf. Mit Sicherheit war das auch bedingt durch die Los Angeles-D-Line. Aber dennoch wirft es hinsichtlich der Playoffs Fragezeichen auf.
  • Leichtsinn: Spiele gegen Teams wie die auf dem Papier unterlegenen Rams verliert man oft nur, weil man es nicht schafft, die eigenen Fehler zu minimieren. Zweimal hatte Seattle großen Dusel, als Interceptions kurz bevorstanden, Los Angeles aber nicht in der Lage war, davon zu profitieren. Da wären der tiefe Pass auf Doug Baldwin oder der Red Zone-Pass auf Jimmy Graham. Schlampige Ausführung, Stolperer, schlechte Entscheidungen – was es auch sein mag, es zählt am Ende nicht als Ausrede, wenn das Spiel verloren geht.
  • Secondary: Es sollte der Anspruch einer der besten NFL-Secondaries sein, einem unerfahrenen, überforderten, unüberlegt spielenden und hektisch wirkenden Rookie-Quarterback ein paar Bälle zu klauen. Jared Goff hatte oft nur einfache Reads. Oft stand bereits vor dem Snap fest, wo sein Pass hingehen soll. Die Seahawks profitierten zwar insofern davon, dass sie Goff bei 135 Yards in 25 Versuchen hielten, doch sie schafften es nicht, Turnovers zu praktizieren. Und sie hatten doppelt Glück, als der Spielmacher Brian Quick weit offen in der Enzone verpasste und Michael Thomas einen tiefen (etwas unterworfenen) Pass kurz vor der Endzone nicht fing.
  • Verletzungen: In seiner „Poopfest“-Wutrede sprach Richard Sherman die schweren Verletzungen an, die bei Thursday Night Football in dieser Saison schon passiert sind. Er begründete diese Beobachtung mit der verringerten Regenerationszeit. Vielleicht achtete man deshalb diesmal besonders darauf, wenn ein Spieler am Boden lag. Gefühlt kam es sehr häufig vor – nicht so häufig wie beim Spiel gegen die Philadelphia Eagles, doch alleine vier Spieler wurden auf Gehirnerschütterungen untersucht (Dunkelziffer wie immer nicht einberechnet). Möglicherweise war das aber auch nur Einbildung.
  • QB Russell Wilson: Klar, 19/26, 229 Yards und drei Touchdown-Pässe sind nicht schlecht, doch man darf sie von einem erfahrenen Quarterback eines Spitzenteams auch erwarten. Was man hingegen nicht sehen will, sind unkluge Entscheidungen wie bei der Interception spät im Spiel, als gleich mehrere Verteidiger in Ballnähe waren. Und was man nach der vergangenen Woche noch weniger sehen will, sind die ungenauen Pässe, die nach wie vor existent waren. Bei Würfen auf Doug Baldwin oder Marcel Reece zum Beispiel. Das mag alles sehr kritisch sein, kostet in den Playoffs aber garantiert den Sieg. Die Rams-Secondary verzeiht solche Fehler zum Glück.
  • Fakes: Wenn ein Special Teams Coordinator, der die Seahawks schon öfter mit Trickspielzügen geärgert hat, plötzlich zum Head Coach wird, dann sollten bei jedem Punt und bei jedem Field Goal die Alarmglocken schrillen. Dennoch erwischten die Rams die Seahawks im Halbschlaf, als Punter Jonny Hekker zum Pass ansetzte. Glück für Seattle: Der Wurf geriet zu kurz. „Kling, Glöckchen, klingelingeling.“
  • CB Richard Sherman: Man kann Verständnis dafür haben, dass sich der All-Pro Cornerback über Donnerstagsspiele aufregt, weil die NFL sich einen Dreck um die Gesundheit ihrer Spieler schert, aber das Gegenteil behauptet. Man kann auch noch Verständnis dafür aufbringen, dass Sherman sich mit seinem Defensive Coordinator anlegt, weil es ein Missverständnis beim Play Calling gab, das ihn blöd hat aussehen lassen. Aber was man nicht mehr unbedingt nachvollziehen muss ist, dass sich ein Verteidiger mit Head Coach und Offensive Coordinator anlegt, weil dieser an der 1-Yard Line einen Passspielzug ansagt (Wurf von Wilson zu Graham wurde fast abgefangen). Warum nicht? 1) Weil Sherman mit der Seahawks-Offense nichts zu tun hat. 2) Weil ein Spieler sein eigenes Team nach der Partie nicht in der Öffentlichkeit kritisieren sollte. Sherman machte gegenüber Pressevertretern Anspielung auf den misslungenen Pass in Super Bowl XLIX. 3) Weil das Laufspiel gegen die Rams nicht gut funktionierte. Es mag so sein, dass Sherman mit der Leistung seiner Offense aktuell nicht einverstanden und deshalb frustriert ist. Doch unabhängig davon muss immer zuerst gelten: Schütze das Team und sprich diese Themen intern an.

Am Ende haben die Seahawks genau das getan, was sie tun sollten. Sie haben die Los Angeles Rams deutlich besiegt und sich die NFC West gesichert. Sie haben sich außerdem die Chance erhalten, mit Bye und Heimvorteil in die ebenfalls schon erreichten Playoffs zu starten. Die Offense läuft nicht wie geschmiert und die Defense hatte große Unterstützung einer unfähigen Rams-Offense. Es bleibt gegen die Arizona Cardinals an Heilig Abend und gegen die San Francisco 49ers in der darauffolgenden Woche noch viel Arbeit. Denn vom Ausgang der kommenden zwei Partien hängt ab, wie erfolgreich Januar (und Februar) verlaufen könnten.

Bei aller Kritik, die in diesem Beitrag mitschwingt, muss am Ende betont werden, dass Seattle wieder einmal eine gute Saison spielen. Nach den Erfolgen der vergangenen Jahre ist das für uns fast zur Selbstverständlichkeit geworden. Im Salary Cap-Zeitalter sollte es das aber nicht sein. Normal ist es nicht, dass unser Lieblingsteam über Jahre hinweg konstant oben mitspielt. Und dennoch wird man den Eindruck nicht los, dass NFC West-Titel zum Alltag für uns geworden ist.

Tut etwas dagegen! Feiert den Titel, freut Euch über eine anhaltende Erfolgssträhne und seid gespannt auf das, was diese Saison noch kommen mag.