Die Seattle Seahawks sind noch am Leben. Im AT&T Stadium von Arlington bewies beim 21:12-Sieg gegen die Dallas Cowboys besonders die Defense, dass sie die Niederlage aus der Vorwoche als Ansporn genommen hat. Die Offensive schaffte zwar selbst kaum Raumgewinn, machte aus guten Feldpositionen aber immerhin zwei Touchdowns. Was war gut und was war schlecht an Heiligabend in Texas?
Positiv:
Defensive Line: Wohl kaum jemand hätte erwartet, dass die D-Line der Seahawks gerade gegen die hochgelobte O-Line der Cowboys so groß auftrumpfen würde. Doch sie überraschte mit vier Sacks und permanent Druck auf Dallas-Quarterback Dak Prescott und hielt Running Back Ezekiel Elliott bei 24 Läufen insgesamt unter 100 Yards. Mehr als drei Sacks hatte Seattle zuletzt in Week 7 gesammelt. Diesmal sorgten Michael Bennett, Shaquill Griffin, Dion Jordan (dritter Sack in vier Spielen) und Frank Clark mit ihren Aktionen für insgesamt 27 Yards Raumverlust. Dabei kam der Seahawks-Verteidigungslinie zugute, dass Dallas früh auf Left Tackle Tyron Smith verzichten musste, der im Training unter der Woche schon angeschlagen war und bereits nach einem Drive nicht mehr weiterspielen konnte. Ebenso profitierte Seattle von einer aggressiveren Taktik. Defensive Coordinator Kris Richard jagte den Cowboys Blitz um Blitz um die Ohren.
CB Byron Maxwell: Der Rückkehrer ist ohne Zweifel der beste Ball-aus-der-Hand-Boxer im Team. Das bewies Maxwell in Super Bowl XLVIII gegen Denver Broncos-Receiver Demaryius Thomas und am Sonntagabend erneut gegen den miesepetrigen Cowboys-Ballfänger Dez Bryant. Der jammerte während des gesamten Spiels darüber, so wenige Bälle zu bekommen. Die Quittung gab’s dann, als er vier Minuten vor der Halbzeitpause angespielt wurde und Maxwell das Ei mit geballter Faust aus Bryants Armbeuge boxte.
Den kennen wir noch von Super Bowl 48 – den „Byron Maxwell“. 👊🏾🏈
— German Sea Hawkers (😷) (@SeaHawkersGER) December 24, 2017
Restliche Partien: Ziemlich viel lief an Heiligabend für Seattle. Die Detroit Lions unterlagen den Cincinnati Bengals mit 17:26. Die Atlanta Falcons unterlagen den New Orleans Saints mit 13:23. Fast gar hätten auch die Carolina Panthers noch gegen die Tampa Bay Buccaneers verloren, sodass Seattle ohne Hilfe des Gegners mit einem Sieg in den Playoffs gelandet wäre (weil Carolina in Week 17 direkt auf Atlanta trifft), doch Cam Newton wusste das zu verhindern. In der NFC West machten die Los Angeles Rams derweil gegen die Tennessee Titans den Titel klar. Der Weg für die Seahawks führt also nur noch über die Wild Card.
CB Justin Coleman: Noch so ein Playmaker in der Defense. Der Neuzugang von den New England Patriots, der vor der Saison für einen Siebtrundenpick (!) nach Seattle kam, profitierte im dritten Quarter von einem überworfenen Ball Dak Prescotts, der mit dem Druck durch die D-Line überfordert war. Coleman fing den missratenen Pass und marschierte ohne gegnerische Berührung in die Endzone. Dort verschwand er in diesem roten Suppentopf, den die Heilsarmee im Stadion aufgestellt hat. Diese Strafe war zu verkraften.
A pick-6 AND a leap into the Salvation Army pot! #SEAvsDAL pic.twitter.com/8pg77wGTeh
— FOX Sports: NFL (@NFLonFOX) December 24, 2017
CB DeShawn Shead: Der Verteidiger steht einfach nur an dieser Stelle, weil er nach langer Verletzungspause sein Comeback gegeben hat und in den Special Teams zum Einsatz kam. Mehr als elf Monate ist es her, dass Shead sich im Spiel gegen die Atlanta Falcons das vordere Kreuzband riss. Willkommen zurück!
Neutral:
QB Russell Wilson: Die Künste des Spielmachers gingen diesmal nach hinten los. Je mehr Wilson Plays zu erzwingen versuchte, desto enger zogen sich die Fesseln um ihn zu. Bei fast jeder Flucht vor heranstürmenden Gegenspielern legte er den Rückwärtsgang ein. Blöd, dass er dabei dann auch noch erwischt wurde und am Ende so 33 Yards verlor. Wilson beendete den Abend mit 14/21, 93 Yards (Karriere-Negativrekord) und zwei Touchdowns. Immer noch ist der Quarterback verantwortlich für 34 von Seattles 35 Touchdowns in der Offensive. Mit 29 Yards auf dem Boden führte er das Team zwar als bester Läufer an, doch von einem Quarterback, der vor ein paar Wochen noch als ernsthafter MVP-Kandidat gehandelt wurde, ist zu erwarten, dass er sich bei Druck klüger verhält und den Ball wegwirft.
Ja, Wilson bekam kaum Unterstützung von seiner Offensive. Der Spielbeginn waren eine komplette Katastrophe. Einen einzigen Yard sammelten die Seahawks in den ersten vier Drives, 14 per Laufspiel, -13 im Passspiel. Gut nur, dass Dallas daraus – auch dank der Defense – nicht mehr als ein paar Field Goals machte.
Laufspiel: Neben Wilson war da nicht wirklich viel in der Offensive – außer perfekter Effizienz in der Redzone (2/2). Mike Davis kam bei 15 Läufen auf 25 Yards, wovon er einige aber unter größter Bedrängung erkämpfte. Thomas Rawls schaffte mit fünf Carries immerhin noch 20 Yards. Im Passspiel kamen Tyler Lockett und Paul Richardson zu selten frei. Jimmy Graham und Doug Baldwin, mit vier Receptions für 35 Yards der beste Receiver, bereiteten die zwei Touchdowns mit individueller Klasse vor, blieben aber ansonsten ebenfalls recht blass.
K Blair Walsh: Der oft gescholtene Kicker verwandelte alle drei Extrapunkte ohne Wackler. Das darf hier schon mal stehen, weil es auch anders geht. Sein Gegenüber Dan Bailey verwandelte von sechs Field Goal-Versuchen nur vier – wobei einer ein den Innenpfosten und erst dann durch die Torstangen fiel. Ein Lob an dieser Stelle auch noch für Punter Jon Ryan, der in größter Bedrängung aus unschönen Positionen seine Kicks unters Stadiondach in Arlington jagen musste und dies famos machte.
Negativ:
Strafen: 142 Yards an Strafen sammelten die Seahawks an Heiligabend – und nur 136 Yards in der Offensive (2,5 Yards pro Play). Mit diesen Werten ein Spiel zu gewinnen, ist fast schon das neue Weihnachtswunder.
Seahawks are the first team to win a game with more penalty yards (142) than total yards (136) since the Eagles in 1966 (also did it against the Cowboys).
— ESPN Stats & Info (@ESPNStatsInfo) December 25, 2017
Play Calling: Vergangene Woche schrien die Experten unter den Fans nach mehr Screen-Spielzügen. Diese Woche bekamen sie mindestens zwei – die beide übrigens nichts außer Raumverlust erbrachten – und meckerten dennoch. Es ist schwierig, hier ein absolutes Urteil zu fällen. Okay, über das Play Calling darf gestritten werden. Wenn eine wacklige O-Line ihrem Quarterback nur wenig Zeit gibt, müssen Spielzüge her, bei denen der Ball so schnell wie möglich die Hand von Russell Wilson verlässt. Die kamen aber viel zu selten.
FS Earl Thomas: Keine Frage, der Free Safety ist das Herzstück der Defensive. Bei kaum einem Spieler war der Ausfall so schwer zu kompensieren wie bei Earl Thomas. Aber der Verteidiger ist auch eine kleine Diva. Schon öfter hat er betont, dass er sich in Seattle zu wenig wertgeschätzt fühlt. Schon öfter hat er seinen Wert öffentlich mit dem von Mitspielern verglichen. Am Montagmorgen nach Spielende lief er zu den Cowboys in die Kabine, um dort zu deren Head Coach Jason Garrett zu sagen, er solle ihn doch verpflichten, wenn er in Seattle keinen Vertrag mehr bekäme.
Zur Einordnung: Thomas kommt aus Orange, Texas. Der Wunsch, irgendwann in der Heimat NFL-Football zu spielen, sei ihm nicht übel genommen. Diesen aber nach dem enorm wichtigen Sieg seines Team öffentlich zu bekunden und dann ohne Wimpernzucken vor der versammelten Presse zu bestätigen, zeugt nicht von Teamgeist. Earl Thomas hat mit seinem fast kranken Ehrgeiz schon oft Mitspieler besser gemacht. Aktuell sägt er eher am Ast, auf dem die Seahawks-Defense und er selbst immerhin auch noch, sitzen. In Dallas schafft das der Egoist Dez Bryant übrigens seit Jahren recht gut – und den wollte Thomas scheinbar nach dem Spiel in der Kabine besuchen.
Earl Thomas: "When Seattle kicks me to the curb … please, Cowboys, come get me"
STORY ➡️ https://t.co/ovvdcJ3QMg pic.twitter.com/FhwggHbGaG
— Seattle Times Sports (@SeaTimesSports) December 25, 2017
Fazit:
Die Seattle Seahawks haben die Dallas Cowboys aus dem Playoff-Rennen eliminiert und sich gleichzeitig weiter die Chance auf eine Wild Card erhalten. Henri Wolfarth tippte in der Vorschau auf ein knappes 28:26, mit dem jeder Fan rein von den Raumgewinn-Statistiken her hätte zufrieden sein müssen. Am Ende wurde es aber doch deutlicher, weil das Team aus dem Pacific Northwest den gegnerischen Quarterback den gesamten Abend über zu riskanten Würfen zwang und von folgenschweren Fehlern einzelner Akteure profitierte. Die Seahawks-Defense dominierte trotz auf dem Papier starker Einzelspieler auf gegnerischer Seite und trotz vieler Ausfälle. Nach dem ersten Quarter kam Cowboys-Schlüsselspieler Ezekiel Elliott auf nur noch 46 Yards. Drei Turnovers und vier Sacks runden den starken Auftritt ab.
Die Offense sieht dagegen nicht wie eine aus, die in den Playoffs spielen sollte. Es ist bedenklich, dass die Seahawks es erneut nicht geschafft haben, den Ball konstant übers Feld zu bewegen. Nur mit Hilfe der Defense kam Seattle überhaupt in Reichweite der Cowboys-Endzone.
Am kommenden Sonntag, also an Silvester, treffen die Seahawks um 22.25 Uhr deutscher Zeit zu Hause im CenturyLink Field auf die Arizona Cardinals. Zeitgleich empfangen die Atlanta Falcons die Carolina Panthers. Die Rechnung ist dann einfach: Bei Sieg Seattle und Unentschieden/Niederlage Atlanta oder bei Unentschieden Seattle und Niederlage Atlanta steht das Team von Pete Carroll zum sechsten Mal in Serie in den Playoffs. Haben beide Mannschaften nach Week 17 den gleichen Record so wie jetzt, kommen die Falcons in die Postseason, weil sie das direkte Duell gegen die Seahawks gewonnen haben.