Recap: Regular Season 2018 (Week 1) – Seahawks @ Broncos

Die Luft wurde am Ende etwas dünn. Die Seattle Seahawks unterliegen im Broncos Stadium at Mile High dem NFL-Team aus Denver mit 24:27. Sie zeigen dabei erwartbare Schwächen und erwartbare Stärken. Überraschungen gab’s auch in Week 1: Mehr Pass als Lauf, einen blockstarken Tight End im Receiver-Modus und einen oft hektischen Quarterback. Die Analyse am Ende des klassischen Overreaction Monday.

Positiv:

  • TE Will Dissly: Was war das für ein Debüt?! Niemand hatte damit gerechnet, dass gerade der blockstarke Ex-Husky als bester Receiver der Partie in der Statistik vermerkt sein würde. Head Coach Pete Carroll narrte mal wieder alle, indem er in Training Camp und Preseason vermied, zu sehr von Dissly zu schwärmen. Wie er aber in der Halbzeitpause gegenüber der Feldreporterin des übertragenden US-Senders zugab, hatte der Tight End in der Vorbereitung durch und durch überzeugt. Daraus resultierten am Sonntag drei Fänge für 105 Yards und einen Touchdown. Also das, was Jimmy Graham einst lieferte. Mit dem feinen Unterschied, dass Dissly blocken kann.
  • WR Brandon Marshall: Gut, dass der Veteran gegen die Broncos zeigte, wie viel Sprit er so spät in der Karriere noch im Tank hat. Gerade als Doug Baldwin das Spielfeld verletzt verlassen musste, war Marshall zur Stelle, fing wichtige Bälle und erzielte einen Touchdown und bekam einen weiteren wegen Offensive Pass Interference zurecht aberkannt. Marshall kann früh in der Saison von einer Geheimwaffe zum wichtigen Stammspieler werden.
  • SS Bradley McDougald: Das war so zu erwarten. McDougald war in der vergangenen Saison ein verlässlicher Verteidiger, als er gebraucht wurde. Und er hat sich in der Offseason weiter gesteigert. Nach Week 1 hat er zwei Interceptions auf dem Konto, es hätten sogar drei sein können. Am schönsten war die Szene, in der der Strong Safety Keenums Ball abfing, nachdem Von Miller im Spielzug zuvor für den Turnover gesorgt hatte. Bradley McDougald sorgt eben für Gerechtigkeit. Wenn es eine positive Erkenntnis gibt, dann die, dass auf Safety die Seahawks nichts zu befürchten haben.
  • P Michael Dickson: Dass dieser Name hier stehen würde, hatte jeder Fan wohl so kommen sehen. Schön, dass Michael Dickson die hohen Erwartungen, die in der Preseason aufgebaut wurden, am Sonntag erfüllte. Fünf von sechs Punts waren Augenweiden, einer darf mal daneben (und das ist schon übertrieben) gehen. Ist es komisch, wenn man sich über ein Three & Out der Seahawks freut, weil man dann den Punter in Aktion sehen darf?
  • FS Earl Thomas: Wer braucht schon Training, dachte sich Earl Thomas und lockte Broncos-Quarterback Case Keenum schön in die Falle. Thomas macht da weiter, wo er aufgehört hat. Man möchte schreien, die Seahawks-Verantwortlichen sollen doch endlich diesen Mann bezahlen, doch man lässt es, weil das Theater ja eine gewisse Vorgeschichte hat. Der Free Safety bekam immer mal wieder Pausen im Spiel, doch als dann Denver genau diese Pausen nutzte, um Punkte zu erzielen, kam er direkt zurück aufs Feld. Kleines Minus: Beim zweiten Broncos-Touchdown hoffte Rookie Tre Flowers vergeblich auf Thomas‘ Hilfe in der Mitte des Feldes. Ganz ohne Training klappt es halt dann doch nicht mit der Absprache. Man will sich aber nicht ausmalen, wie die Defense ohne Thomas an diesem Sonntag ausgesehen hätte.

Neutral:

  • Schiedsrichter: Sie sind hier der Erklärung halber erwähnt. Der Touchdown von Demaryius Thomas wurde erst nicht gegeben, dann doch gegeben und bei der Videokontrolle nicht zurückgenommen, weil es keine ausreichenden Beweise gab, um die Entscheidung zurückzunehmen. Es geht hier überhaupt nicht darum, ob Thomas wirklich innerhalb der Markierung war oder nicht. Aber man male sich jetzt mal aus, was passiert wäre, wenn die Schiedsrichter Thomas‘ Klagen nicht erhört, sondern von vornherein einen nicht gegebenen Touchdown per Video kontrolliert hätten. Wäre dann auch zu wenig Beweislast vorhanden gewesen, um die Entscheidung zu ändern?
    Wer den Schiedsrichter in einer Szene früher im Spiel vorwirft, bei Pete Carrolls Challenge von Royce Freemans Fumble zu spät zu reagiert haben, sollte sich davor Fragen, warum die Seahawks nicht einfach schneller reagierten. Natürlich machten die Broncos das Spiel schnell, natürlich reagieren die Referees schnell. Auf den Tribünen sitzen ein Dutzend Seahawks-Mitarbeiter, die die Szene direkt nochmals ansehen können. Dieses Versäumnis eines Turnovers geht auf Seattles Kappe.
  • RT Germain Ifedi: Es ist gnädig und ein wenig Mitleid, Ifedi hier aufzuführen und nicht in der Negativ-Kategorie. Der Right Tackle wurde von Star-Linebacker Von Miller umhergeschubst und zu Boden geworfen, überlaufen und ausgetanzt. Am Ende hatte er drei der sechs Broncos-Sacks auf dem Konto, so viele wie seit 2016 nicht mehr in einem einzigen Spiel. In den nächsten Wochen kommen übrigens Khalil Mack, Chandler Jones, DeMarcus Lawrence und Aaron Donald auf Ifedi zu. Da kann er dann ganz schnell in die unterste Spalte der Analyse abrutschen. Oder aber alle überraschen.
  • QB Russell Wilson: Ein guter Quarterback weiß, wann er Fehler eingestehen muss. Wilson übernahm die Verantwortung für drei der sechs Sacks, die er kassierte. Er bekam den Ball zu spät los, wurde immer wieder schnell hektisch und flüchtete teils unbeholfen in die Arme der Broncos-Verteidiger. Wir alle lieben es, wenn Wilson aus aussichtslosen Situationen noch etwas macht. Deshalb wirken mahnende Worte hier etwas altklug. Trotzdem: Manchmal ist es besser, den Sack einfach in Kauf zu nehmen, als noch weitere zehn Yards Raumverlust zu kassieren.
    Neben drei aus großartig designten Plays entstandenen Pass-Touchdowns (positiv; Go Schotty!), einer (insgesamt zwei) hanebüchenen Interception (negativ) und einem grauenhaften letzten Drive, in dem Wilson mit einem Fumble und viel Panik die letzte Chance auf Ausgleich oder gar Sieg zunichte machte, war da der souveräne Spielmacher zu sehen, den Seattle schon so oft gesehen und lieben gelernt hat. Die Bilanz am Ende: 19/33 für 242 Yards.
  • RB Rashaad „Perry“ Penny: Kommentator Dick Stockton fand den ganzen Abend über Gefallen daran, Penny Perry zu nennen. Wirklich laut musste er dabei nie werden, denn das Debüt des Rookies verlief unspektakulär. Acht Yards aus sieben Carries, dazu 35 Yards aus vier Fängen. Penny hatte nicht viel Spielpraxis in der Preseason, er wird noch Zeit brauchen. Es ist aber unabhängig davon keinesfalls verkehrt, auf Chris Carson zu setzen. Der Starter machte aus sieben Läufen 51 Yards, das sind 7,3 im Schnitt, übersprang einfach mal einen Gegenspieler, ließ sich aber mindestens genauso überraschend einen Ball von Von Miller wegnehmen. Einfach so. Er muss in Week 2 noch mehr ins Spiel eingebunden werden.

Negativ:

  • LB Shaquem Griffin: Ja, es tut ein wenig weh, das zu schreiben, aber Shaquem Griffin würde keine Sonderbehandlung wollen, und er bekommt sie deshalb auch nicht. Das Debüt des inspirierenden Rookies war kein gutes. Griffin wirkte oft verloren in der Deckung, verpasste Tackles, sprach sich schlecht mit seinen Mitspielern ab. Das alles sind Fehler, die ein junger Spieler machen darf, vielleicht sogar machen muss, um besser zu werden. Wenn einer die Herausforderung annimmt, dann Shaquem Griffin. Dennoch würde der Seahawks-Defense ein gesunder K.J. Wright unglaublich viel Stabilität geben. Die fehlte am Sonntag im Zentrum der Deckung vollkommen.
  • CB Tre Flowers: Natürlich wussten die Broncos, dass da zwei Rookies auflaufen würden für die Seahawks, die eigentlich (noch) keine Starter sein sollten. Und sie legten gnadenlos den Finger in die Wunde. Deshalb ist es fast ein bisschen unfair, Flowers hier aufzulisten, denn er wusste bis zum Tag vor dem Spiel nicht, dass er von Beginn an spielen würde. Flowers wurde von Denvers Passempfängern Demaryius Thomas und Emmanuel Sanders nach Belieben auseinandergenommen (während auf der anderen Seite Shaquill Griffin so wenig zu tun hatte, wie wir es nur von Richard Sherman in Erinnerung haben).
  • D-Line: Darf eine Einheit hier erwähnt werden, die am Spiel garnicht teilgenommen hat? In diesem Fall schon. Denn die Verteidigungslinie der Seahawks stand leider tatsächlich auf dem Feld, auch wenn sich das auf den Passangriff der Broncos überhaupt nicht auswirkte. Abzüglich der Blitze wurde Case Keenum ganze drei Mal unter Druck gesetzt, Defensive End Frank Clark kassierte den einzigen Sack des Abends für Seattle. Die Befürchtungen der Vorbereitung haben sich in Week 1 ganz deutlich bewahrheitet – die D-Line ist die große Schwachstelle der Seahawks.
  • WR Doug Baldwin: Er steht hier und kann nicht einmal etwas dafür. Baldwin war schon vor dem Start der Regular Season am linken Knie angeschlagen, doch als ob das noch nicht genug war, fiel ihm ein Spieler unglücklich so ins rechte Knie, dass der Wide Receiver mit einem gezerrten Innenband ausfiel und nun wohl eine Woche oder sogar mehrere Wochen pausieren muss. Baldwins Ausfall betrauernd, nahmen die Wide Receiver der Seahawks in der ersten Halbzeit nicht am Spiel teil. Im Nachhinein ist das leicht gesagt, aber mit dem Wissen, dass Baldwin nicht 100 Prozent fit und Brandon Marshall verletzungsanfällig ist, hätte ein sechster Passempfänger im Kader vielleicht Sinn gemacht.
  • K Sebastian Janikowski: Ein Geschenk bekommen und es nicht aufmachen, das gehört sich nicht. Janikowski zeigte Schwächen, als er kurz vor der Halbzeit die Seahawks mit einem Field Goal wieder in Schlagdistanz hätte bringen können. Der erste Versuch ging links an den Stangen vorbei. Der zweite nach einer Strafe gegen die Broncos ebenfalls. Erinnerungen an die zwei verfehlten PATs in Week 4 der Preseason wurden wach. Muss man sich deswegen Sorgen machen? Noch nicht. Janikowski geht in seine 19. Saison als NFL-Kicker, er weiß, wie er auf solche Fehler reagieren muss.
  • RG J.R. Sweezy: Da war dieser schöne Screen von Russell Wilson auf Chris Carson im zweiten Quarter, der über 44 Yards ging, tief hinein in die Hälfte der Broncos. Aber er zählte nicht, weil wieder einmal ein O-Liner den Spielzug zunichte machte. Der Veteran J.R. Sweezy spielte in seinem Seahawks-Comeback nicht gut, aber die Holding-Strafe beim beschriebenen Play war bei weitem seine schwächste Aktion.

Fazit:

Mit drei Punkten gegen die Denver Broncos verlieren, die ebenfalls im Umbruch sind – das klingt im ersten Moment nicht so schlimm und ist es auch nicht. Die ursprüngliche Prognose eines 24:20-Auswärtssieges ist davon so weit nicht entfernt. Die Seahawks zeigten phasenweise gute Ansätze. Auch die Schwächen wurden in Week 1 klar aufgedeckt. Auf Cornerback ist dringend Handlungsbedarf, denn die kommenden Gegner werden diese Schwachstelle sonst eiskalt ausnutzen. Aber wo soll auf die Schnelle jetzt noch ein guter Passverteidiger herkommen? Der Name DeShawn Shead fiel bereits, doch er wurde in Detroit wohl entlassen, weil er nicht gesund ist. Ein unfitter Spieler hilft Seattle nicht weiter.

Übrigens: 40 Passspielzüge sagte Offensive Coordinator Brian Schottenheimer an, und 14 Laufspielzüge. Das ist noch nicht der Weg zurück zum Laufspiel und wird noch überraschender, wenn man weiß, dass die Seahawks nie mit mehr als sieben Punkten zurücklagen, es daher eilig haben und mit vielen Pässen schnell das Spielfeld überbrücken mussten.

Seattle hat uns in Week 1 schon überrascht und wird uns in den kommenden Wochen garantiert noch öfter überraschen. Hoffen wir, dass die positiven Aktionen die häufigeren sind. Gegen die Chicago Bears, die am Sonntagabend lange die Green Bay Packers ärgerten, wird das notwendig sein.