Recap: Regular Season 2019 (Week 9) – Buccaneers @ Seahawks

Ohne Zittern geht nicht – und diesmal sogar nicht ohne Overtime-Zuschlag. Dank gut aufgelegter Offensive und trotz einem Playoff-Platz nicht würdiger Defensive haben die Seattle Seahawks die Tampa Bay Buccaneers mit 40:34 besiegt. Drei verschossene Kicks von Jason Myers sorgten unterstützend dafür, dass der Sonntagabend im CenturyLink Field einmal mehr ein hochspannender wurde.

Am Ende machte wie so oft in dieser Saison Seahawks-Spielmacher Russell Wilson den Unterschied. Er bewirkte gemeinsam mit seinen Kollegen in der Offensive (die O-Line mal nicht außen vor gelassen), dass die schwache Leistung der Verteidigung Seattle nicht den Sieg kostete.

Positiv:

QB Russell Wilson & WR Tyler Lockett: Wenig überraschend waren der MVP-Anwärter-Quarterback (22 Touchdowns, eine Interception in dieser Saison) und sein Nummer-eins-Receiver auch in Week 9 wieder das perfekte Paar. Gemeinsam sorgten sie für 152 von 378 Yards durch die Luft und zwei von fünf Pass-Touchdowns. Die Verbindung der beiden Veterans ist in dieser Saison wieder unwiderstehlich und einfach nicht zu verteidigen. Sie gehört zu den besten drei Wide-Receiver-Quarterback-Connections der Liga. Für Lockett führte sie im persönlichen Duell mit Tampa-Bay-Receiver Mike Evans diesmal zu neuen Karriere-Bestwerten für Receptions (13). Seinen persönlichen Yards-Rekord (154) verpasste er um zwei Yards. Und weil das alles noch nicht genug Lob ist, folgt hier der Hinweis, dass Lockett auf dem Weg zu einer historischen Saison ist, weil er mit seiner aktuellen Produktion die Franchise-Rekorde für die meisten Fänge (Doug Baldwin und Bobby Engram) und Yards (Steve Largent) angreift.
Was jetzt folgt, ist Meckern auf extrem hohem Niveau, aber der Tag hätte für beide sogar noch besser laufen können. Vor der Pause verfehlte Wilson den weit offenen Lockett auf dem Weg in die Endzone um wenige Meter, nach der Pause war sich Lockett nicht so ganz sicher, ob ein Pass von Wilson für ihn bestimmt war (oder für DK Metcalf hinter ihm) und ließ ihn fallen.

WR DK Metcalf: Cuts setzen – kann er nicht. Routen-Vielfalt – hat er nicht. Gesund bleiben – kann er nicht. Sagten sie. Dann fing der Rookie einen Touchdown im vierten Quarter und mehrere entscheidende Bälle in der Overtime und sah einfach nicht wie ein Rookie aus. Erstmals in seiner Karriere als Profi kam Metcalf am Sonntag über 100 Yards. Seine finalen Stats: sechs Receptions, 123 Yards, 20,5 Yards pro Fang und ein Touchdown.

Play Calling: Man muss Offensive Coordinator Brian Schottenheimer an dieser Stelle einfach mal loben für seine Spielzug-Designs. Immer wieder schafft er es hervorragend, Tyler Lockett und DK Metcalf gegen Tampa Bays Manndeckung auf tiefen Routen völlig frei zu bekommen, sodass Russell Wilson – und das klingt jetzt viel einfacher als es ist – nur noch den Ball anbringen muss. Brilliant. Geht doch!
Ein kleiner Kritikpunkt, der gewiss nicht nur auf Schotty zurückfällt: Nur zwei von acht erfolgreich verwandelte Third Downs sind zu wenig und tun gegen stärkere Teams richtig weh. Am Sonntag war es fast egal, weil die Seahawks allein aus First und Second Downs 29 Mal über die gelbe Linie kamen und vier neue Versuche erhielten. Übrigens erzielte Seattle allein übers Passspiel 23 neue First Downs, so viele wie noch nie in der Franchise-Geschichte.
Eine Gegner-Randnotiz: Dass Bruce Arians, der Cheftrainer der Buccaneers, sich kurz vor Spielende gegen eine Two-Point Conversion entschied, um das Spiel noch vor der Overtime zu gewinnen, half Seattle gewaltig und war wohl der größte Play-Calling-Fehler der Gäste. Auswärts, gegen eine schwache Defense und mit einer ebenfalls schwachen Defense auf der eigenen Seite hätte man das durchaus mal versuchen können. [Update: Warum es aber tatsächlich kein Fehler war, erzählen wir in einer Extra-Podcast-Ausgabe am Donnerstag.]

TE Jacob Hollister: Seine Zeit würde kommen, sagten die Trainer immer wieder, als der Tight End zu Beginn der Saison in der Practice Squad landete. Jetzt scheint sie da zu sein. Weil Luke Willson zeitweise verletzt pausieren musste, trumpfte Hollister groß auf, erreichte zweimal die Endzone und so auch Empfänger des spielentscheidenden Touchdown-Passes von Russell Wilson in der Overtime.
In Week 10 dürfte Ed Dickson zurückkehren – und dann sieht es auf Tight End trotz Will Disslys Ausfall schon garnicht mehr so schlecht aus für die Seahawks.

Neutral:

RB Chris Carson: Vor Chris Carsons 59-Yard-Lauf, bei dem er vier Tackles brach, hatten die Buccaneers genau einen einzigen Lauf mit 20 oder mehr Yards zugelassen. Die Seahawks öffneten mit gutem Passspiel Räume für die Running Backs (so ist der kausale Zusammenhang richtig, nicht andersherum) und streuten gezielt Läufe ein. In die neutrale Kategorie rutscht Carson (insgesamt: 16 Läufe für 105 Yards und 6,6 Yards pro Lauf) trotzdem ab, weil er wieder einmal den Ball am Ende eines Laufs nicht schützte. Prompt schlug ein heranstürmender Bucs-Verteidiger das Spielgerät heraus, es kullerte aber ins Seitenaus. Glück gehabt – in dieser Szene. Im vierten Quarter verlor Carson erneut den Ball. Diesmal blieb er im Feld und wurde von den Buccaneers aufgenommen.

QB Geno Smith: Möglicherweise hat der Backup-Quarterback in passiver Rolle als Glücksbringer eine entscheidende Rolle gespielt, weil er beim Münzwurf vor der Overtime zusah, wie Mike Evans sich für die falsche Seite der Münze entschied und die Seahawks so mit Ballbesitz in die Verlängerung starteten. Wären die Buccaneers zuerst an den Ball gekommen, sie wären wohl erneut ohne große Mühe übers Feld marschiert.

Turnovers: Seattles Defense war zu keinem Zeitpunkt in der Lage, aus eigener Kraft Ballverluste zu generieren. Da kam es nach dem Carson-Fumble ganz recht, dass Bucs-Spielmacher Jameis Winston das Turnover-Manko zur Chefsache machte und einem Ball ohne Gegnereinwirkung in der Wurfbewegung fallen ließ. Defensive End Rasheem Green war zur Stelle, um vom Fumble zu profitieren und den Ball im hübsch anzusehenden Big-Guy-Style bis kurz vor die gegnerische Endzone trug.

Coaches Challenge: Oh, Pete. In Halbzeit eins hatte der Cheftrainer der Seahawks die rote Flagge bereits gezückt, steckte sie dann aber wieder weg, sodass man fast denken konnte, er habe aus den vielen vergeblichen Pass-Interference-Challenges gelernt. Aber nein, kurz vor Spielende versuchte Head Coach Pete Carroll sein Glück erneut – natürlich ohne Erfolg.
Lustig: Auf seiner Pressekonferenz verabschiedet sich Carroll mit einer Andeutung, dass er die Flagge nicht hätte werfen sollen. Er scheint es also besser zu wissen, lässt sich im Spiel dann wohl nur immer wieder von seinen Emotionen leiten (wie bei vielen anderen Entscheidungen auch). Naja, Einsicht ist der erste Weg zur Besserung. Vielleicht. Vielleicht auch eher nicht.

LB Bobby Wagner: Dass der Linebacker immer noch Seattles bester Verteidiger ist, dürfte außer Frage stehen. Dass auch er mal Tackles verpasst, ist im nachzusehen. Aber dass er dem gegnerischen Quarterback einen Schubser gibt, obwohl er bereit im Seitenaus ist, ist dann doch der eine Fehler zu viel. Unabhängig davon, wie harmlos der Schubser war, das darf einem Veteran wie Wagner nicht passieren.

Negativ:

Passverteidigung: Die Defensive der Seahawks macht aktuell nicht so viel richtig. Das liegt möglicherweise am System, das sie spielen soll, vielleicht aber auch am Personal, das einfach nicht gut genug für dieses System ist. Tampa Bay nutze Seattles Schwachstelle gnadenlos aus und attackierte mit Wide Receiver Mike Evans die Halbdistanz in der Mitte des Feldes. Das gelang, weil die Seahawks oft Zonenverteidigung mit sich fallen lassenden Cornerbacks spielten und die Unterstützung von der Safety- oder Linebacker-Position meist erst kam, wenn der Ball bereits gefangen war.

Pass Rush: Zwei Sacks und drei Quarterback-Hits sehen auf dem Papier nicht überragend aus – und doch irgendwie besser als die Realität auf dem Spielfeld. Die Tatsache, dass der Pass Rush auch in der neunten NFL-Woche noch nicht funktioniert, ist beunruhigend und Teil des Teufelskreises. Denn bleibt der Druck auf den Quarterback weiterhin aus – so wie an diesem Sonntag – geraten die Defensive Backs zwangsläufig ins Schwimmen.
Das Resultat ist, dass diese Defense in den vergangenen sechs Vierteln 54 Punkte und 764 Yards zugelassen hat. Gegen die Atlanta Falcons (ein Sieg) und die Tampa Bay Buccaneers (zwei Siege). Das ist gruseliger als jedes Halloween-Kostüm.

K Jason Myers: Ist es ein Kicker-Problem, wenn die Seahawks eigentlich in einem Freiluftstadion (ok, nicht in Denver) einen vierten Versuch über fünf Yards knapp in der gegnerischen Hälfte nicht ausspielen? Oder ist es ein Philosophie-Problem? Oder sind fünf Yards für einen vierten Versuch zu viel? Wahrscheinlich liegt die Wahrheit irgendwo in der Mitte dieses mysteriösen Dreiecks.
Myers jedenfalls vergurkte am Sonntag einen Field-Goal-Versuch aus 47 Yards, einen PAT und den Kick, der den Seahawks den 37:34-Sieg beschert hätte. Nach einer Pro-Bowl-Saison bei den New York Jets ist das ernüchternd und wird wohl über kurz oder lang zur Entlassung von Myers führen. Aber die ist teuer, den mit ihr kämen 5,5 Millionen US-Dollar totes Kapital. Der Kicker hatte vor der Saison einen Vierjahresvertrag über 15 Millionen US-Dollar unterschrieben.
Direkt nach dem Spiel sprach sich Pete Carroll für seinen Spezialisten aus: „Er ist unser Kicker.“ Auch die Teamkameraden hätten Myers in der Kabine aufmunternd zugesprochen.

Verletzungen:

Erwartungsgemäß kamen Safety Quandre Diggs, Defensive End Quinton Jefferson und Safety Lano Hill auch an diesem Spieltag nicht zum Einsatz. Tight End Luke Willson musste die Partie in der ersten Halbzeit mit einer Rippenverletzung verlassen, kehrte aber nach der Pause zurück. Left Tackle Duane Brown humpelte nach dem ersten Touchdown von Tight End Jacob Hollister vom Feld, spielte aber weiter. Mehr Details zum Ausmaß der Verletzungen gibt’s im Laufe des Montags.

Fazit:

Vieles war ähnlich wie in der Vorwoche. Am Ende ist egal, ob der gegnerische Quarterback Matt Schaub, Jameis Winston oder Aaron Rodgers heißt, er hat mit dieser Verteidigung aktuell keine großen Schwierigkeiten, Raumgewinn zu erzielen. In der Super-Bowl-Ära und Legion-of-Boom-Zeit der Seattle Seahawks war es zumeist die Defense, die das Team im Spiel hielt. Nun ist es die Offense – und die groovt sich immer mehr ein. Gegen die in der Passverteidigung schwachen Tampa Bay Buccaneers wählte das Team aus dem Pacific Northwest die Strategie, Russell Wilson das Spiel gewinnen zu lassen (22 Läufe, 43 Pässe) und wurde belohnt.

Erneut ist der Vorsprung am Ende gering, doch erneut zählt für die Seahawks nur der Sieg. Denn im Gegensatz zum College Football spielt die Art und Weise des Erfolgs keine Rolle. Mit einem Record von 7-2 ist Seattle weiter auf Playoff-Kurs.

In der Nacht von Montag auf Dienstag trifft das Team von Pete Carroll auswärts in Santa Clara auf die San Francisco 49ers, das andere in NFC-West-Duellen noch ungeschlagene Team.