Die Seattle Seahawks holten Im Thursday Night Football-Spiel gegen die Arizona Cardinals einen souveränen Sieg. 22:16 stand es am Ende für die Mannschaft aus dem Pacific Northwest. Doch das war schnell nebensächlich, zu teuer hatten die Seahawks den Erfolg im University of Phoenix Stadium bezahlt. Die vielen verletzten Stammspieler könnten große Auswirkungen auf den weiteren Saisonverlauf haben. Ansonsten ein für die Fans oft gewohntes Bild: viele Strafen, wenig Laufspiel, löchrige O-Line. Der Rückblick:
Positiv:
QB Russell Wilson: Wenngleich Wilson ein paar wenige unsaubere Würfe im Spiel hatte, machte er ein gutes Spiel. Er trägt die Offense zur Zeit fast alleine auf seinen Schultern und ist mit Abstand der wichtigste Spieler im Team von Head Coach Pete Carroll. Wilson brachte 22 von 32 Pässe für 238 Yards und zwei Touchdowns an. Darüber hinaus war er der drittbeste Läufer des Teams (19 Yards). Zu Beginn des letzten Viertels machte er in unglaublicher Art und Weise aus einem eigentlich schon verloren geglaubten Spielzug auf Höhe der Mittellinie ein 50-Yard-Raumgewinn. Im Stile eines Entfesselungskünstlers wich er tanzend zwei Verteidigern aus, hielt dabei knapp zehn Sekunden den Ball in den Händen und brachte diesen am Ende zu Doug Baldwin, der eigentlich nur hätte blocken sollen. Ein Play wie dieses macht wohl kein anderer Quarterback in der NFL. Sein nahezu blindes Verständnis im Zusammenspiel mit Baldwin gibt Wilson die Chance, immer wieder mit derartigen Aktionen das Spiel am Leben zu halten. Der unglaublich konstante Baldwin überzeugte, er fing fünf von fünf Pässen in seine Richtung für 95 Yards.
SS Kam Chancellor: Der Strong Safety konnte seiner beste Saisonleistung abrufen. Er verbuchte zehn Tackles und verteidigte einen Pass. Darüber hinaus forcierte er den Fumble von Adrian Peterson in der ersten Halbzeit und war entscheidend am Safety beteiligt. Eine ganz starke Leistung.
Laufverteidigung: Bereits in der Vorschau war das Matchup der Front Seven der Seahawks gegen Adrian Peterson eines der wichtigsten. Die Seahawks stehen als Gewinner unter dem Strich. Das Laufspiel der Cardinals zu stoppen und so die Offensive des Heimteams eindimensionaler zu machen, war eine wichtige Grundlage für den Sieg. Im Schnitt kam Peterson auf gerade einmal 1,4 Yards pro Lauf, was ein überragender Wert für die Verteidigung. Nach Aussetzern gegen Tennesse und San Francisco hat die Defense hier wieder zu ihrer Normalform zurückgefunden.
Die D-Line mit Rookie Nazair Jones, der sich immer mehr als wertvoller Pick im NFL Draft 2017 entpuppt, und Sheldon Richardson dominierte die Offensive Line der Cardinals beim Laufspiel geradezu. Dazu trugen auch die Linebacker K.J. Wright und Bobby Wagner mit jeweils fünf Stops bei. Wagner ist die zentrale Figur in der Defensive der Seahawks und spielt auch in dieser Saison herausragend. Sollte er weiter so spielen, führt bei der Wahl des Defensive Player of the Year kein Weg an ihm vorbei.
TE Jimmy Graham: So oft er kritisiert wurde, so stark ist er nach einem schwachen Saisonstart zurückgekommen. Anscheinend haben Offensive Coordinator Darrell Bevell endlich Gefallen daran gefunden, Graham in der Redzone im Eins-gegen-Eins einzusetzen. Graham belohnte das Vertrauen trotz nur 27 Yards mit seinem bestes Saisonspiel. In der Endzone war auf ihn Verlass. Er fing sechs von sechs möglichen Pässen, wovon zwei Fänge Touchdowns waren, bei denen er durch seine Größe und Athletik dem Verteidiger keine Chance ließ. Das ist das Spiel von Jimmy Graham.
DE Dion Jordan: Der lange Zeit verletzte Neuzugang feierte nach über 1.000 Tagen sein Comeback – und was für eins. Gegen Arizona konnte der ehemalige First-Round Pick sein Talent aufblitzen lassen, das er noch nie richtig hatte zeigen können. Bei fast jedem drittem (!) Snap übte er Druck auf den gegnerischen Quarterback ausüben und sammelte dazu einen Sack. Weiter so!
FS Bradley McDougald: Seit dem Ausfall von Earl Thomas ist McDougald Starter. In den zwei Spielen hat er sich gut präsentiert. Der Safety wehrte gegen Ende einen Pass in der Endzone ab und ließ sich auch sonst in beiden Spielen nicht viel zu Schulden kommen.
Neutral:
K Blair Walsh: Nach dem desolaten Spiel gegen die Washington Redskins (0/3 Field Goals) blieb der Kicker diesmal fehlerfrei. Zu hoffen ist, dass er auf die zwei verwandelten Field Goals und die Extra Punkte aufbaut und neues Selbstvertrauen für den weiteren Saisonverlauf sammelt. Das Talent, ein passabler Kicker in der NFL zu sein, hat er allemal. Den Rest muss der Kopf regeln.
Negativ:
Strafen: Es scheint so, als lernen es die Spieler der Seahawks einfach nicht. Es tut fast schon weh, als Fan mit anzusehen, wie sich Seattle mit teils unnötigen Strafen und Undiszipliniertheit immer wieder selbst schadet. Immerhin nicht 16, aber doch weitere zwölf (!) Strafen für 108 Yards trugen dazu bei, dass Arizona zu seinem ersten Touchdown kam. In diesem einen Drive kamen sechs der 13 First Downs der Cardinals durch Penaltys der Seahawks zustande.
Die Seahawks, die auf bestem Wege sind, den NFL-Rekord für die meisten Strafen zu brechen (Oakland Raiders, 2011, 164 Strafen), müssen sich disziplinierter verhalten, da sie sonst weiter unnötig Spiele durch gelbe Flaggen wie gegen die Redskins verlieren.
Verletzungen: Die Verletzung von Cornerback Richard Sherman überschattete den Sieg am Freitagmorgen. Seine Achillessehne ist gerissen, die Saison für ihn vorbei. Die ausschlaggebende Blessur an der Ferse hatte Sherman bereits vor ein paar Wochen im Spiel gegen die Los Angeles Rams erlitten, seither plagten ihn Schmerzen an der Achillessehne. Er habe die jungen Spieler in der Secondary nicht alleine lassen wollen, deshalb habe er nicht darüber nachgedacht, auszusetzen. Fest steht: Ein paar Tage mehr Pause hätten Sherman nicht vor einem möglichen Achillessehnenriss bewahrt, dazu ist die Gefahr bei einer Reizung dauerhaft zu groß. Einzige effektive Lösung wäre hier eine Pause gewesen. Nun ist es zu spät. Auf den Riss der Achillessehne folgt ein langwieriger Heilungsprozess, doch die Saison 2018 sollte dadurch nicht in Gefahr sein. Weitere Details zum Thema liefert Dr. David J. Chao, langjähriger NFL-Teamarzt und Experte für Sportverletzungen.
Im Spiel verletzte sich auch Left Tackle Duane Brown. Der Neuzugang verstauchte sich den Knöchel, ist aber positiv gestimmt, dass er nicht allzu lange fehlen wird. Sein Ausfall wäre ähnlich dem von Sherman ein großer Rückschlag fürs Team, da er mit seiner Erfahrung und Klasse die O-Line enorm aufwertet. Weitere verletzte Spieler: C.J. Prosise (Knöchelverstauchung), Kam Chancelor (eingeklemmter Nerv), Frank Clark (Kollision mit S. Richardson), Sheldon Richardson (Kollision mit Clark), Jarran Reed (Oberschenkelzerrung) und Michael Wilhoite (Wadenzerrung), Shaquill Griffin (Schulterzerrung), Doug Baldwin (steife Hüfte). Wie lange die Spieler pausieren müssen, ist noch unklar. Auch auf Seiten der Cardinals gab es Ausfälle, darunter zwei durch schwere Kreuzbandverletzungen.
Immer wieder wird von Seiten der Spieler – nach der Partie unter anderem von Doug Baldwin und Richard Sherman – das Konzept Thursday Night Football harsch kritisiert, da sie das Gefühl haben, innerhalb von vier Tagen nicht ausreichend regenerieren zu können, um Bestleistungen zu bringen. Eine statistische Auffälligkeit, dass sich bei Donnerstagsspielen mehr Spieler verletzen, gibt es nicht. Trotzdem sollten die Bedenken der Spieler ernst genommen werden, da sie ihre Körper am besten kennen. Sie wissen wohl am ehesten, wann sie einsatzbereit sind. Sherman wird nun viel Zeit haben, seine Agenda gegen NFL-Spiele an Donnerstagen weiter voranzutreiben.
Third Downs:
Drive 1 – 3rd & 8: Sack
Drive 2 – 3rd & 8: False Start Ifedi, 3rd & 13: Incomplete Pass
Drive 3 – 3rd & 3: Touchdown Pass auf Graham von der AZ 6 Yard Line
Drive 4 – 3rd & 15: Wilson Scramble für 10 Yards
Drive 5 – 3rd & 18: Sack
Drive 6 – 3rd & 2: Pass auf Lockett für 16 Yards
Drive 7 – 3rd & 1: Rawls Run für 23 Yards
Drive 8 – 3rd & 11: Pass auf Lockett für 10, Offside AZ, 3rd & 6: Incomplete Pass
Drive 9 – 3rd & 17: Incomplete Pass
Drive 10 – 3rd & 15: Sack
Drive 11 – 3rd & 7: Incomplete Pass
Drive 12 – 3rd & 5: Pass auf McKissic für -5 Yards
Drive 13 – 3rd & 10: Run McKissic 5 Yards
Wer sich so oft in langen Third Down-Situationen wiederfindet, muss sich nicht wundern, wenn die Drives reihenweise sterben. In der gesamten zweiten Hälfte schaffte Seattle nicht eine Third-Down Conversion. Wie kam es zu diesen langen Third Downs (sieben Yards oder länger)? Durch Raumverluste im Laufspiel, Fehlstart-Strafen, zu viele unvollständige Pässe unter Druck. Das große Problem ist immer noch die Offensive Line der Seahawks. Sie stellt dem Team entweder durch Strafen, mangelhaftes Blocken fürs Laufspiel oder schwachen Schutz Russell Wilsons ein Bein. Vor allem, nachdem Left Tackle Duane Brown zum Ende der ersten Hälfte verletzt vom Feld musste, wurde es schlimm. Nach seinem Ausfall ging nichts mehr. Sein Ausfall in einer Woche wäre desolat. Insbesondere, da nun davon auszugehen ist, dass Seattle aufgrund der dezimierten Defense häufiger selbst punkten muss, um Spiele zu gewinnen.
Concussion Protocol: Während des Spiels sollte Russell Wilson auf eine mögliche Gehirnerschütterung getestet werden. Das extra für die medizinische Untersuchung am Spielfeldrand eingeführte blaue Zelt verließ der Quarterback jedoch bereits nach wenigen Sekunden wieder, ohne sich getestet zu haben lassen. Die Liga untersucht den Fall nun, eine Geldstrafe ist möglich. Sollte Wilson tatsächlich keine Gehirnerschütterung erlitten haben, wie es seine Reaktion vermuten lässt: Was hielt ihn davon ab, den kurzen Test über sich ergehen zu lassen?
Fazit:
Der Erfolg gegen einen Konkurrenten in der Division war enorm wichtig. Der Record der Seahawks in der NFC West: 3-0. Diese makellose Bilanz hilft aber nur, wenn Seattle die Rams wieder einholt, die aktuell eine Niederlage weniger auf dem Konto haben und groß aufspielen. Das Rematch steht in Seattle noch aus, sechs weitere schwere Spiele ebenfalls. Die vielen Verletzungen und Strafen trüben den Primetime-Erfolg und verschlechtern die Ausgangslage des Teams vor dem spannenden Schlussspurt um die Playoffplätze.