Wir haben am späten Sonntagabend andere Seattle Seahawks gesehen als in der vergangenen Saison und in den besseren Partien dieser Spielzeit (Green Bay, Denver). Seahawks, denen die Vielfalt an offensiven Möglichkeiten zur Last wurde, Seahawks, die sich in Play Calls verrannten, die nicht zu ihnen passten, und dadurch berechenbar wurden, Seahawks, die mit den präzisen Pässen von Tony Romo überfordert waren, Seahawks, die auch nicht ihren besten Tag erwischten. Zusammengefasst, ein Team, das seine Identität im Spiel gegen die Dallas Cowboys nicht gezeigt hat.
Ein Blick zurück in die Vorbereitung: Mit einem gesunden Percy Harvin waren die Seahawks in die Preseason gegangen. Eindrucksvoll demonstrierten sie, welche Einsatzmöglichkeiten sie für Harvin haben. Auf kaum einer offensiven Playmaker-Position wurde der Receiver nicht aufgestellt. Überall schaffte er Räume – für die Receiver und für Marshawn Lynch. Die neue Variabilität der Seahawks-Offense wurde hoch gelobt.
Am Sonntagabend war das nicht (mehr) der Fall. Als klassischer Wide Receiver wurde Harvin nicht eingesetzt. Stattdessen setzte er zum Sweep an, fing Screen-Pässe hinter der Line of Scrimmage oder stellte sich als Running Back neben Quarterback Russell Wilson auf. Sweep hier, Screen da, Read Option dort. Tiefe Pässe – Fehlanzeige. Raumgewinn – auch Fehlanzeige.
Ich tue mich schwer mit Kritik am Play Calling, denn wären die vielen Spielzüge erfolgreich gewesen, hätte man OC Darrell Bevell für seine Kreativität gelobt, wie es in dieser Saison schon der Fall war. Doch gegen die Cowboys wurde deutlich, dass Bevell unflexibel ist, nicht in der Lage, den Game Plan zu korrigieren und zum Einfachen zurückzukehren, wenn der Erfolg ausbleibt.
„Away from the roots“ – das Beast vergrault!
Die große Stärke der Seahawks, das Running Game, wurde von Bevell vernachlässigt. Beastmode wurde übergangen. Marshawn Lynchs kraftvolle, stampfende Schritte waren zu selten auf dem Spielfeld zu beobachten. Stattdessen scheiterte der zerbrechliche Harvin an einer Wand aus Verteidigern. Kritik, die er sich schon zu Beginn der vergangenen Saison in Goal Line-Situationen hatte gefallen lassen musste.
Dabei hatte Lynch keinen schlechten Tag. Wenn er den Ball bekam, war er produktiv. Harvins Schnelligkeit hingegen kam nicht zur Geltung. Er wurde viel zu oft parallel zur Line of Scrimmage eingesetzt, das machte es auch für die O-Line schwer, die ihren Drang nach vorne nicht einsetzen konnte. Tiefe Pässe hätten ein Mittel sein können, doch die waren wohl nicht im Game Plan verankert.
Stattdessen wurden immer wieder gefaked, gescreened und gesweeped. Es war, als ob Bevell auf Teufel komm raus zeigen wollte, welche Vielfalt an Möglichkeiten sein Playbook enthält – ganz egal, ob erfolgreich oder nicht.
Was sonst noch schlecht lief:
- Russell Okung spielt seit Wochen desolat. Er kassiert die meisten Strafen für False Starts und hat dadurch schon einige Drives zerstört. Okung hatte mit Verletzungen am Fuß zu kämpfen, damit sind reihenweise False Starts jedoch nicht zu entschuldigen. Der Tackle befindet sich in einem Contract Year. Sollte er weiterhin so viele Fehler machen, könnte das seinen Abschied aus Seattle bedeuten.
- Earl Thomas war im Spiel überhaupt nicht zu sehen. Halt, doch – beim Touchdown von DeMarco Murray fiel der sonst mit viel Übersicht spielende Free Safety dadurch auf, dass er übermotiviert in Richtung Geschehen rannte und Murray dabei komplett verfehlte. In der Passverteidigung waren weder er noch Kam Chancellor präsent.
- Nach Byron Maxwells Verletzung füllte Nickel Marcus Burley die zweite Cornerback-Position aus. Seine Coverage war gut, doch ihm fehlten Mittel und Erfahrung, die tiefen Bälle von Tony Romo auf Terrance Williams und Dez Bryant zu verteidigen. Damit war er nicht alleine – auch Richard Sherman war zwar eng am Gegenspieler, doch verhindern konnte er die meisten Pässe auch nicht.
- TE Luke Willson wurde von der Cowboys-Secondary kräftig beackert. Seine Fangquote litt schwer darunter. Beim TD von Russell Wilson überzeugte er jedoch als Blocker.
- Doch auch die anderen Receiver erwischten keinen guten Tag. Doug Baldwin und Jermaine Kearse wurden selten angespielt und sorgten noch seltener für Raumgewinn, Ricardo Lockette spielte keine Rolle.
- Die Verletzungsmisere in der Secondary hat sich verschlimmert. Nun droht auch CB Byron Maxwell mit einer Knöchelverletzung (High Ankle Sprain) länger auszufallen. In der Passverteidigung fehlt den Seahawks die Tiefe, die sie noch in der vergangenen Saison so stark machte. Jeremy Lane und Tharold Simon sind noch verletzt, Walter Thurmond ist nicht mehr da.
- Maxwell hatte in der Anfangsphase gleich zweimal die Chance zur Interception (und zum Pick Six), doch wie so oft in letzter Zeit fehlte das Quäntchen Glück. Turnover sind in dieser Saison weiterhin eine Rarität bei der Seattle-Defense.
- Quarterback Russell Wilson ist ein Mensch (sorry, Mike Rob). Der Spielmacher wirkte gegen Dallas trotz guter O-Line unkonzentriert. Er hatte viel Zeit in der Pocket, fand aber nur selten einen freien Mann. Besonders in der Schlussphase gab es mehrfach Abstimmungsprobleme mit den Receivern.
- Die in dieser Saison bislang so starke Verteidigung gegen den Lauf fand in DeMarco Murray ihren Meister. Der Cowboys-RB ist momentan auf MVP-Kurs. Er trägt sein Team von Sieg zu Sieg. Die Seahawks wären gut beraten, Marshawn Lynch wieder mehr Carries zu geben. Schließlich hat der schon bewiesen, dass er das Team auf die Schultern nehmen kann.
Es gab aber auch Lichtblicke: Die Special Teams hielten den Super Bowl-Champion im Spiel. /// Erneut brachte ein schwaches Spiel der Seahawks die Erkenntnis, dass Seattle selbst dann noch in Schlagdistanz ist und die Partie für sich entscheiden kann. /// Linebacker Mike Morgan machte ein starkes Spiel. Er erzielte den Touchdown nach Doug Baldwins geblocktem Punt und tanzte nach dem Muffed Punt der Cowboys plötzlich mit dem Ball in der Hand,während die Referees noch am Boden der Spielertraube suchten.
Viele dieser Punkte lassen sich mit dem schwachen Play Calling in Verbindung bringen. Möglicherweise ist das keine schlechte Erkenntnis, denn die Problematik kann vermeintlich leicht behoben werden.Variabilität sollte Vorteile bringen. Bei den Seahawks wird sie jedoch momentan zur großen Schwäche. Percy Harvin könnte die Offensive auf ein neues Level heben, doch momentan lähmt er sie. Deshalb kann es für die Seahawks im kommenden Spiel nur einen Weg geben – und der geht zurück zu den Wurzeln, den eigenen Stärken: „Back to the roots“.
P.S.: Die Saison ist noch lange. Wenn die Zweifel am größten waren, waren die Seahawks am stärksten. It’s not how you start, it’s how you finish.