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Seahawks-Draft Check 2023 – Die Defensive Tackle-Klasse unter der Lupe
Es ist eine Erzählung, die die 12s so gut wie jedes Jahr über die Seattle Seahawks liefern könnten. Nur drei Dinge auf dieser Welt sind uns sicher: Tod, Steuern und Probleme in der Defensive Line. Auch dieses Jahr ist die Interior Defensive Line wieder einmal im Fokus. Nach den namhaften Entlassungen der eigentlich gesamten Defensive Line in Form der Defensive Tackle Shelby Harris, Poona Ford und Al Woods fehlt es dem Team aus dem US-Bundesstaate Washington nicht nur qualitativ, sondern auch quantitativ an Spielern.
Zwar konnte das Front Office in der Free-Agency-Phase dieses Mal namhaft zuschlagen und hat in Form von Dre’Mont Jones, Defensive End und Defensive Tackle-Hybrid, ehemals Denver Broncos, einen Spieler verpflichtet, der dem Team auch in der Spitze helfen soll. Damit sind die Probleme in der Positionsgruppe aber keineswegs behoben.
Denkbar bis wahrscheinlich ist daher, dass ein oder mehrere Picks auf Defensive Tackle fallen werden. Die Klasse in diesem Draft-Jahrgang bietet es in Teilen an. Es gibt einen Nachwuchsspieler, der als Top-5-Pick gilt, wären da nicht die unschönen Probleme abseits des Feldes. Und auch in der zweiten Runde sehe ich einige Spieler, die dem Team helfen könnten. In den späteren Runden könnte dann die Verbesserung der Tiefe der Positionsgruppe auf dem Plan stehen.
Die folgende Reihenfolge stellt keine Rangliste dar – es sind meine subjektiven Einschätzungen zu den Spielern, versehen mit einer Note in Form einer Runde, in der ich den Spieler ungefähr ziehen würde. Es wurde weiterhin darauf geachtet, dass der Spieler schematisch zu dem passt, was die Seattle Seahawks in etwa suchen.
Dazu sollten die 12s wissen: Die Seahawks spielen seit letztem Jahr vermehrt aus einer 3-4 Defense – mit drei klassischen Linern und vier Linebacker (2x Outside Linebacker, die auch Pass-Rush-Aufgaben übernehmen und 2x klassischen Linebackern). Vornehmlich gesucht habe ich hier:
- Nose Tackle, die direkt gegenüber des Centers aufgestellt werden
- 1-Technique, die rechts oder links vom Center aufgestellt werden
- 2-3-Techniques, die innen oder direkt gegenüber eines Guards (2i oder 2) oder an der Außenschulter des Guards (3-Technique) aufgestellt werden
Jalen Carter (22), Georgia
Mit 190 cm und 142 kg bringt Jalen Carter Gardemaße für die Position des Defensive Tackle mit. Der hochdekorierte Nachwuchsspieler, der unter anderem zweimal in Folge nationaler Meister mit den Georgia Bulldogs wurde, gilt oder galt lange Zeit als sicherer Top-5-Pick im kommenden NFL Draft.
Leider hat Carter einen der schlechteren Draft-Zyklen der letzten Jahre hingelegt. Beim NFL Combine reiste er frühzeitig ab, da gegen ihn ein Haftbefehl erlassen wurde. Er wurde des rücksichtslosen Fahrens beschuldigt und soll Teil eines Straßenrennens gewesen sein, bei dem einer seiner Mannschaftskollegen und eine Bulldogs-Mitarbeiterin ums Leben kamen. Gegen Kaution kam Carter frei und plädierte auf unschuldig. Beim Combine wollte der Defensive Tackle keine athletischen Tests machen, diese sollten am Pro Day von Georgia erfolgen. Hier präsentierte sich Carter in schlechtem Zustand: Er kam mit vier Kilogramm Übergewicht, konnte die Übungen nur schwer ausführen, hatte Atemprobleme und Muskelkrämpfe. Er musste schlussendlich das Training abbrechen. Dass sein Berater Drew Rosenhaus verkündete, dass sein Klient keine Besuche bei NFL-Teams außerhalb der Top-10-Picks wahrnehmen werde, war nur noch die oft zitierte Kirsche auf der Torte des Gesamtbildes, welches Jalen Carter ablieferte.
All diese Punkte spielen in meiner Evaluation keine Rolle, da ich nur das, was ich auf dem Feld sehe, bewerte. Die NFL-Teams werden aber diese Aspekte genauestens unter die Lupe nehmen müssen und sich überlegen, ob sie denken, dass Defensive Tackle Jalen Carter das Risiko wert wäre, ihn trotzdem zu ziehen.
Stärken
Jalen Carter ist eine dominante physische Erscheinung. Mit seiner enormen Größe und seiner Reichweite kann er problemlos zwei Lücken spielen, das sogenannte Two-Gapping. Dadurch gibt er der eigenen Defensive einen numerischen Vorteil bei der Ausrichtung und in der Deckungsarbeit. Carter verfügt über einen explosiven Antritt und ist ein sicherer Tackler. Anders als viele andere College-Spieler ist Carter auch in Pass-Rush-Techniken schon gut ausgebildet. Ein Mensch dieser Größe und Masse sollte sich nicht so schnell über das Feld bewegen können, wie es der eigentliche Defensive Tackle scheinbar spielend tut. Auch wenn er gedoppelt wird, kann Carter einen Einfluss auf das Spiel haben. Für sogenannte Stunts, in denen er den Gegenspieler seines Nebenmannes und andersherum attackiert, eignet sich der 22-Jährige mit seiner Geschwindigkeit ebenfalls. Mit ihm wird ein Spieler in die NFL kommen, der so ziemlich alle Anlagen mitbringt, um einer der besten Spieler in der Liga zu werden.
Schwächen
Es gibt wenige Schwächen bei Carter. Als Defensive Tackle muss etwas effizienter in seinem Pass-Rush werden, das heißt vorwiegend den Druck, den er kreiert, auch in Sacks umzuwandeln. Manchmal spielt er mit einem zu hohen Pad-Level, so können seine Gegenspieler von unten unter das Pad kommen und ihn besser blocken. Mitunter setzt seine Fußarbeit aus, wenn er geblockt wird. Dann spielt Carter teilweise mit einer geringen Anzahl Snaps, da seine Kondition nicht die beste zu sein scheint. Oder es ist einfach ein weiterer Indikator für diese dominante und tief besetzte Georgia-Defense, die so ziemlich jedem Team über die letzten Jahre massive Probleme bereitet hat.
Fazit zu Jalen Carter
Wäre dieser holprige Pre-Draft-Prozess bei Carter nicht – es würde keiner über ihn außerhalb der Top-5 oder gar Top-3-Spieler im Draft reden. Wie zuvor erwähnt: Die Teams werden ihn noch genauer ausleuchten, als sie es bei potenziellen Draft-Picks ohnehin machen. Rein sportlich ist der Defensive Tackle über fast jeden Zweifel erhaben und bliebe damit ein potenzieller Kandidat an Pick #5 der Seattle Seahawks. Sofern sie ihn aufgrund der Probleme Abseits des Feldes nicht von ihrem Draft-Board streichen.
Runden-Grade: Top-5-Spieler oder Blue-Chip-Prospect
Mazi Smith (21), Michigan
Der nächste Spieler kommt von einem der erfolgreichsten Colleges des gesamten Landes. Mit 989 Siegen in der gesamten College-Geschichte ist es das Team mit den meisten Siegen überhaupt. Auch zwei Playoff-Teilnahmen in den letzten beiden Jahren gehen auf das Konto der Wolverines, inklusive zweier Siege gegen den ewigen Konkurrenten Ohio State. Mitwirkender in diesen beiden Spielzeiten war Defensive Tackle Mazi Smith. Mit 146 Kilogramm verteilt auf 190 cm ist er sogar noch etwas schwerer als der soeben besprochene Jalen Carter. Während der Saison spielte Smith sogar mit etwas mehr Körpergewicht.
Wie Carter kommt aber auch der Defensive Tackle aus Michigan nicht ganz geräuschlos in den NFL Draft 2023. Er wurde im Oktober 2022 wegen unerlaubtem Waffenbesitzes bei einer Verkehrskontrolle angeklagt. Smith durfte trotz Anklage weiterhin mit dem Team reisen und Football spielen. Schließlich stellte sich heraus, dass er eine Waffenlizenz für die Waffe hatte, nur keine Berechtigung diese Waffe im Auto mitzuführen. Er bekannte sich zu kleineren Vergehen schuldig. Dies war Teil einer Vereinbarung, um die schwereren Vergehen, die nicht weiter bekannt sind, fallen zu lassen. Über Waffengesetze in den USA und den späteren Kuhhandel in Form eines Deals könnte man vermutlich den Artikel allein füllen, ich belasse es aber an dieser Stelle dabei …
Stärken
Smiths Stärken liegen ganz klar in der Laufverteidigung. Er ist ein äußerst sicherer Tackler und ein guter Athlet. Er schaffte es auf Platz 1 der jährlichen erscheinenden „College Football Freaks List“ von Bruce Feldman, die besonders athletische Spieler auszeichnet. Der Ex-Wolverine zeigt eine gute Handarbeit am Pad des Gegners und hat dabei auch einen brutalen ersten Schlag auf ebendieses. Damit ist er als Defensive Tackle in der Lage, seine Gegenspieler direkt aus dem Gleichgewicht zu bringen.
Smith hat auch schon einige Pass-Rush-Techniken ausgebildet, mit denen er arbeiten kann. Vor allem bei Läufen außerhalb der Tackles (Outside Run) kann sich Smith exzellent des Blocks seines Gegenspielers entledigen und den Ballträger sicher stoppen. Sein Antritt von der Anspiellinie ist explosiv und schnell. Er zeigt in seinem Spiel einfach durchweg eine wahnsinnige Kraft, wird selten vom Gegner bewegt und beweist einen guten Körperschwerpunkt – auch gegen Double-Teams.
Schwächen
Wenn er gedoppelt wird, gibt er zwar keinen Raum auf, jedoch kann sich Mazi Smith kaum noch von einem Block lösen und bringt somit im Pass-Rush keine Gefahr mehr mit. Hier muss er seine Blocks besser lösen. In einigen Szenen macht der Defensive Tackle eigentlich bis zum Ende des Spielzuges einiges gut, kann das Play dann aber nicht mit einem sicheren Tackling beenden, sondern verpasst dieses. Auch wenn er einige Szenen im College hatte, in dem er auch im Pass-Rush aktiv war, so sehe ich ihn in der NFL als Pass-Rusher etwas limitiert.
Fazit zu Mazi Smith
In der NFL wird Mazi Smith zu Beginn der Karriere vornehmlich ein laufstoppender Defensive Tackle werden. Er ist zwar in der Lage, die Pocket der Offensive zu verkleinern, wie viel Entwicklungsspielraum er aber als Pass-Rusher hat, wird sich zeigen. Dennoch gibt er als guter Laufverteidiger seiner Defensive einen gewissen Spielraum und Flexibilität. Damit könnte Smith wunderbar die Positon des Nose Tackles oder 1-Technique bei den Seattle Seahawks ausfüllen. Mögliche Picks wären Pick 37 oder Pick 52, in deren Reichweite der Defensive Tackle aktuell im Konsens prognostiziert wird, welcher sich mit meiner Einschätzung deckt.
Runden-Grade: 2. Runde
Keeanu Benton (21), Wisconsin
Mit Keeanu Benton kommt ein Multi-Sport-Athlet in den NFL Draft 2023. Benton spielte in der Middle-School Baseball, Football, Lacrosse und war Ringer. In der High School konzentrierte er sich dann auf Football und Ringen, bis er 2019 auf die Universität von Wisconsin ging und sich dort komplett dem College Football verschrieb.
Stärken
Benton ist ein recht junger Spieler mit einer guten Athletik. Er spielt immer mit vollem Einsatz bis zum Pfiff. In englischsprachigen Scouting-Reports wird hier immer vom „Motor“ gesprochen, den er zweifelsohne mitbringt. Benton kommt explosiv aus seinem Stand. Er findet schnell den Ball und verfügt über ein gutes Spielverständnis. Bei Läufen nach Außen kann er sich gut von Blocks lösen und nimmt dann einen guten Winkel, um das Tackling auszuführen. Grundsätzlich ist das Lösen von Blocks auch gegen Pass wohl seine beste und am weitesten entwickelte Fähigkeit. Wenn er nicht zum Quarterback kommt, reißt er instinktiv seine Arme nach oben und konnte so einige Pässe abwehren. Auch gegen athletische Quarterbacks ist der Defensive Tackle in der Lage diesem außerhalb der Pocket zu folgen und ihn dort unter Druck zu setzen.
Schwächen
Der Defensive Tackle ist mit 1,93 m ein relativ großer Spieler und ihm fällt es schwer, das Pad-Level konstant niedrig zu halten. So können Gegenspieler Benton tiefer attackieren, blocken und kontrollieren. Wenn er einmal in einem Block festsitzt, hat er keinen passenden Konter. Dieser müsste deshalb erst noch entwickelt werden. Somit ist der Defensive Tackle auch in der Handarbeit und in Pass-Rush-Techniken nicht weit entwickelt. Für einen Spieler auf seiner Position hat Benton nicht die erhoffte Stärke gegen den Lauf, wird teilweise von seinen Gegenspielern einige Yards von der Anspiellinie weggeblockt und öffnet so Räume. Zeitweise beendet er seine Erfolg versprechenden Spielzüge nicht mit einem Sack oder Tackling.
Fazit zu Keeanu Benton
Ein junger Spieler mit einem guten athletischen Profil, allein das wird vielen Teams gefallen. In vielen Szenen konnte man beim Videostudium sein enormes Potenzial bestaunen. Um in der NFL ein produktiver Spieler zu werden, muss der Defensive Tackle aber noch in vielen Dingen weiter entwickelt werden und kommt daher als vergleichsweise roher Spieler in die Liga. Vor allem seine Techniken im Pass-Rush und sein Pad-Level sind hier zu nennen. Dennoch sehe ich in Benton einen Spieler, der an Tag 3 des NFL Drafts gewählt werden könnten.
Runden-Grade: 4. Runde
Siaki Ika (22), Baylor
Siaki Ika war ein Vier-Sterne-Rekrut auf der High School. Die ersten beiden Jahre am College spielte er bei der LSU. Er war 2019 Teil der legendären LSU-Mannschaft rund um Joe Burrow, Ja’Marr Chase, Justin Jefferson, Clyde Edwards-Helaire, Patrick Queen und Derek Stingley Jr., die die nationale Meisterschaft gewannen. Auch der aktuelle Seahawks-Spieler Damien Lewis stand im Kader und somit dürfte der Defensive Tackle, wenn er von den Seahawks gedraftet wird, einen alten Bekannten treffen. 2021 begab sich Ika ins Transfer-Portal und spielte zwei Jahre bei Baylor. Er folgte dort Dave Aranda, der Trainer bei LSU war und dann Head Coach bei Baylor wurde.
Stärken
Siaki Ika ist ein exzellenter Laufverteidiger gegen Läufe innerhalb der Box, den Inside-Runs. Ika verfügt über eine brutale Kraft im Oberkörper. Gegen den Lauf ist er kaum bis gar nicht zu bewegen und gibt keinen Raum auf. Dass der Defensive Tackle vom Fleck bewegt wird, passiert, wenn überhaupt, wenn er gedoppelt wird. Und auch dann nur selten. In Anbetracht seiner Körpermasse von 151 Kilogramm hat er einen guten Antritt. Ika kämpft sich durch die Blocks und wird diese dann zügig los. Und wenn er einmal an den Gegenspieler kommt, ist das Tackling sehr sicher. Ika spielt mit konstant niedrigem Pad-Level und verschafft sich damit einen Vorteil. Vermutlich wird der 22-Jährige nie der Spieler sein, der mit besonderen Statistiken auftrumpfen wird. Er verkleinert aber konstant die Pocket der gegnerischen Offensive und ist somit häufig Vorlagengeber für seine Kollegen in der Defensive Line.
Schwächen
Ika hat sehr wenige Snaps gespielt. Er wurde viel raus rotiert. Nach kurzen Sprints nimmt seine Kondition rapide ab. Und wechselt der Gegenspieler seine Richtung nur minimal, hat er keine Chance darauf zu reagieren. Vor allem im offenen Feld ist er als Defensive Tackle so chancenlos. Seine athletischen Tests waren vergleichsweise schlecht. Oft ist es so, dass man gute Athletik beim Videostudium nicht bemerkt, weil der Spieler keinen Einfluss auf das Spiel nimmt. Auch bei schlechter Athletik kann es sein, dass der Spieler trotzdem enormen Einfluss auf das Spielgeschehen nimmt. Bei Ika muss man unter dem Strich aber festhalten, dass man die schlechte Athletik leider auch sehen kann. Sei es eben aufgrund der Kondition oder der kaum möglichen Richtungswechsel. Dazu kommt, dass Siaki Ika zu häufig Probleme hat den Ball im Spielzug zu finden.
Fazit zu Siaki Ika
Die physischen Limitationen schränken den Einsatzbereich von Ika in der NFL enorm ein. Er kann ein ausgezeichneter Laufverteidiger werden, vielleicht ist er das sogar schon. Nur wie viel Mehrwert kann er einem Team darüber hinaus in der passlastigen NFL geben? Aufgrund dieser Einschränkungen sehe ich Siaki Ika etwas tiefer als der Konsens. Die Draft-Boards der Teams werden vor allem bei ihm sehr unterschiedlich sein. Ich könnte mir vorstellen, dass der Defensive Tackle als reiner Laufverteidiger sogar früher gezogen wird, als ich ihn einschätze.
Runden-Grade: 5. Runde
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