Seahawks Offense 2024 – Das System „Grubb“

Seahawks Offense Coordinator Ryan Grubb and Quarterback Geno Smith

© Steph Chambers/Getty Images

Alles neu in der Seahawks Offense 2024 – zumindest was den Coaching Staff angeht. Denn mit dem Aus von Head Coach Pete Carroll und der Einstellung von Mike Macdonald wurden bis auf Defensive Passing Game Coordinator Karl Scott auch alle Assistenztrainer ausgetauscht. Neu am Steuer sind jetzt unter anderem als Koordinatoren: (unter Anleitung von Coach Mac) Aden Durde, Jay Harbaugh und Ryan Grubb.

So dürfen die 12s sowohl in der Offense, als auch in der Defense und in den Special Teams einen ganz neuen Spielstil erwarten, den gerade die drei letztgenannten Coaches den Seahawks in der NFL-Saison 2024 einimpfen werden. Was das genau bedeuten könnte, möchten wir euch in den kommenden Wochen mit einigen Analysen vorstellen. Heute an der Reihe: die Seahawks Offense 2024.

Seahawks Offense 2024

Wer den Football abseits der Seahawks in Seattle in den vergangenen Jahren verfolgt hat, dem dürfte der Name Ryan Grubb auf jeden Fall etwas sagen. Denn zusammen mit Head Coach Kalen DeBoer transformierte der Offensive Coordinator das College-Team der University of Wahington, die Huskies, vom Kellerkind zur Spitzenmannschaft.

Der Coordinator

Ryan Grubb erblickte am 16. April 1976 in Kingsley im US-Bundesstaat Iowa das Licht der Welt. Bis der neue Offensive Coordinator der Seattle Seahawks den Weg aus der 1.411-Seelen-Gemeinde in die NFL fand, dauerte es jedoch eine Weile. 1999 machte Grubb an der Universität von Buena Vista seinen Abschluss in Betriebswirtschaft. Doch statt ins Büro zog es ihn zurück nach Hause, wo der ehemalige Running Back/Receiver die nächsten sieben Jahre als Schweinefarmer arbeitete!

Seine Coaching-Karriere begann Ryan Grubb dann 2003 an seiner alten Schule, der Kingsley-Pierson High School – natürlich als Offensive Coordinator. Bis 2007 arbeitete er sich zu einem vielversprechenden Nachwuchstrainer am College hoch und machte nebenbei seinen Master. An der University of Sioux Falls wurde Grubb dann zum ersten Mal Trainer unter Head Coach Kalen DeBoer. Zwei Jahre arbeiteten die beiden zusammen, bevor sich ihre Wege zunächst trennten. Ein Wiedersehen gab es 2014 am College bei Eastern Michigan, 2017 an der Fresno State und schließlich 2021 an der University of Washington.

Nach der Saison 2023 und dem verpassten National Championship mit den Huskies trat DeBoer schließlich die Nachfolge des legendären Nick Saban als Head Coach bei der Alabama Crimson Tide an. Ryan Grubb erfüllte sich hingegen endlich seinen Traum von einem Trainerjob in der NFL – und das ausgerechnet in Seattle.

Das Scheme

Die erste Frage, die sich Ryan Grubb stellen muss, ist, ob sein System, sein „Scheme“, ohne NFL-Erfahrung direkt vom College in die Liga gegen aggressive und gut eingestellte Defenses übertragen werden kann. Denn an der University of Washington hatte er auf jeden Fall schon „NFL-Talent“, was die Spieler angeht, zur Verfügung. Allein im Draft 2024 wurden zehn Huskies gedraftet, darunter sieben Offense-Spieler: QB Michael Penix Jr. (Atlanta Falcons), die drei Receiver Rome Odunze (Chicago Bears), Ja’Lynn Polk (New England Patriots) und Jalen McMillan (Tampa Bay Buccaneers), die O-Liner Troy Fautanu (Pittsburgh Steelers) und Roger Rosengarten (Baltimore Ravens) sowie TE Devin Culp (ebenfalls Tampa Bay). Hinzu kommt TE Jake Westover, der als Undrafted Rookie bei den Seahawks unterschrieb.

Insgesamt basiert das „System Grubb“ unter anderem auf einem starken Laufspiel über die Außenbahnen (Outside Zone), was dann gerade die langen Pässe in die Tiefe eröffnet. Alles, sowohl das Run- als auch das Passblocking, steht und fällt dabei mit der Arbeit der Offensive Line. Bei den Huskies hatte Grubb hier die beste Unit des gesamten College-Systems, was auch an O-Line Coach Scott Huff lag. Kein Wunder also, dass dieser nun die gleiche Position bei den Seahawks bekleidet.

Im Passspiel setzte Ryan Grubb größtenteils auf 11-Personal, also drei Wide Receiver und einen Tight End. Doch diese eher klassische Formation blieb dabei alles andere als langweilig. So bilanzierte Seattles-QB Geno Smith während des Offseason-Trainings, dass Grubb Spielzüge ins Playbook aufgenommen habe, die er mit Blick auf Innovation so noch nie gesehen hatte. Darunter dürften auch exotische Routenkonzepte mit viel Bewegung vor dem Snap – der sogenannten Pre Snap-Motion, sein, die bei den Huskies selbst für NFL-Verhältnisse überdurchschnittlich häufig zum Einsatz kam. Am meisten werden die Spielzüge aus der Shotgun-Formation gelaufen, bei der der QB weiter hinter dem Center steht und so mehr Zeit hat, seinen Receiver anzuspielen.

Eine weitere Spezialität des ehemaligen Schweinefarmers sind Bunch-Formations, bei denen sich drei Receiver auf einer Seite des Feldes aufstellen und das gerade im „System Grubb“ mit gehörigem Abstand von der O-Line an der Seitenlinie, von wo aus sie dann ihre Routen laufen. All das verleiht der neuen Offense der Seahawks theoretisch eine große Flexibilität, die gegnerische Abwehrreihen vor Rätsel stellen soll.

Seahawks Offense 2024: Die Spieler

Während sich aufseiten der Seahawks bei den Trainern in der Offseason 2024 einiges getan hat, blieb es bei den Spielern relativ ruhig. Wie gewohnt verließen einige Akteure den Pacific Northwest, während es andere Free Agents wiederum an den Puget Sound zog. Und auch im NFL-Draft 2024 wurde das Team aus Seattle offensiv nur punktuell verstärkt.

Die Quarterbacks

Starter: Geno Smith (34), 11. NFL-Saison

Der neue Spielmacher der Seahawks wird auch in der Saison 2024 der alte sein. Mit einem Jahresgehalt von 25 Millionen US-Dollar ist Geno Smith der 20-bestbezahlte QB der NFL. Insgesamt konnte Smith 2023 mit 64,7 Prozent angekommener Pässe, 20 Touchdowns und einem Passer Rating von 92,1 statistisch nicht an seine „Comeback Player of the Year“-Saison 2022 anknüpfen. Ob der nächste Schritt ihn wieder in diese Richtung pushen soll, ist allerdings fraglich. Denn ob es ein Ansporn für Smiths Leistungen oder eine Investition in die Zukunft sein sollte, sei dahingestellt. Fakt ist aber, dass Seattle vor dem Draft 2024 mehrere Picks im Tausch für QB Sam Howell an die Washington Commanders abgegeben hat.

Vor dem Training Camp zeichnete sich hier noch ein offener Kampf um die Starterposition zwischen Geno und Howell ab. Doch Smiths Leistungen in den ersten Tagen des Trainingslagers, die von vielen Experten, als die besten eines Seahawks-QBs zu diesem Zeitpunkt der Vorbereitung gewertet wurden, dürften diese Diskussion nun beendet haben. Für Smith spricht, dass er auch in der vergangenen Saison, in der er bei 45 Prozent (!) aller Snaps unter Druck des gegnerischen Pass Rushes stand, trotzdem einer der besten Deep Ball-Passer der NFL war. Zudem passt er als traditioneller Pocket-Passer nach eigener Aussage perfekt in das „System Grubb“.

Für den Practice Squad verpflichteten die Seahawks am Ende übrigens noch Quarterback P.J. Walker, der inzwischen tatsächlich mit Sam Howell um den Backup-Platz kämpft.

Die Running Backs

Starter: Kenneth Walker III (24), 3. NFL-Saison

Um sein Passspiel wie in Washington aufziehen zu können, benötigt Ryan Grubb ein funktionierendes Laufspiel. Und das ruht bei den Seattle Seahawks auch im dritten Jahr in Folge hauptsächlich auf den Schultern von Ken Walker. Dabei ist K9 eher ein Outside Runner und keine Dampframme à la Chris Carson, der mit Vollgas auf Inside Runs durch die O- und D-Line rannte. Diese Rolle als Power-Back dürfte in seiner zweiten NFL-Saison Zach Charbonnet zufallen. Im Gegensatz zum flinken Walker läuft der Zweitrundenpick von 2023 am liebsten geradeaus durch die Mitte.

Eine Mischung aus K9 und Charbonnet ist Kenny McIntosh, der seine Rookie-Saison verletzungsbedingt fast komplett verpasste. Um die Position des 3rd Down-Backs in der Seahawks Offense kämpft der aktuell im Training Camp allerdings mit Undrafted Rookie Goerge Holani. Was alle vier Running Backs verbindet, ist ihre überdurchschnittliche Fähigkeit, als Receiver Bälle zu fangen, sowie ihre hohe Endgeschwindigkeit, was der neuen Offense der Seahawks unter Grubb weitere Flexibilität verleihen dürfte.

Die Wide Receiver

Starter: DK Metcalf (27), 6. NFL-Saison – Tyler Lockett (32); 10. NFL-Saison – Jaxon Smith-Njigba (22), 2. NFL-Saison

Beim Blick auf die Seahawks Offense und die Wide Receiver, die er hier zur Verfügung stehen hat, dürfte Ryan Grubb wahrscheinlich an ein Déjà-vu haben. Schließlich ist DK Metcalf mit seiner Größe, seiner Geschwindigkeit und seinem Auftreten fast 1-zu-1 die Kopie von Rome Odunze. Jaxon Smith-Njigba als Slot Receiver mit hervorragendem Routen-Verständnis und „Yards after the Catch“-Fähigkeiten der technisch wesentlich ausgereiftere Zwilling von Jalen McMillian ist.

Und Tyler Lockett? Wer den Brotkrumen zurück zum Receiving-Trio der Washington Huskies folgt, der dürfte hier schnell auf den Namen Ja’Lynn Polk stoßen. Kein Wunder also, dass auch Lockett und Polk in ihren Spielanlagen fast identisch sind. Damit hat Grubb in der Seahawks Offense gewissermaßen als Kopie sein geliebtes Receiver-Trio von den Huskies am Start, mit dem er am College 2023 offensiv Maßstäbe setzte.

Die Tight Ends

Starter: Noah Fant (27), 6. NFL-Saison

Auf der Position des Tight End setzt die Seahawks Offense 2024 voll auf die Karte Noah Fant. Der ehemalige Erstrundenpick kam 2022 im Rahmen des Russell Wilson-Trades nach Seattle und unterschrieb nun vor der Saison einen neuen, mit 21 Millionen Dollar dotierten Zweijahresvertrag. In den Offensivplänen von Grubb dürfte der wendige und endschnelle TE primär im Passspiel ein Faktor werden. Denn auch am College setzte der neue Offensive Coordinator in seinem Scheme auf die Integration dieser Position.

Nach den Abgängen von Colby Parkinson (LA Rams) und Will Dissly (LA Chargers) füllte Seattle die Tight End-Positionen im Kader in der laufenden Offseason mit Free Agent Pharao Brown (New England Patriots) und Rookie AJ Barner (Michigan Wolverines) auf, die ihrerseits eher als Blocker denn als Receiver glänzen dürften. Theoretisch könnte es auch Undrafted Rookie Jake Westover in das 53er-Roster der Seahawks schaffen, da er auch als Running Back oder Fullback eingesetzt werden kann.

Die Offensive Line

Starter: LT Charles Cross (24), 3. NFL-Saison – LG Laken Tomlinson (32), 10. NFL-Saison – C Connor Williams (27), 7. NFL-Saison – RG Christian Haynes (24), Rookie – RG Abe Lucas (26), 3. NFL-Saison

Jaja, die O-Line. Seit Jahren haben sich 12s weltweit damit abgefunden, dass die Quarterback-Bodyguards in der Seahawks Offense die Schwachstelle schlechthin waren. Doch mit dem Engagement von Mike Macdonald als Head Coach, hat sich an dieser Front doch mehr getan, als in den vergangenen Saisons. Zum einen brachte Ryan Grubb von College eben seinen O-Line-Coach Scott Huff mit. Der formte an der University of Washington gerade in der abgelaufenen NCAA-Saison eine der besten Line-Units überhaupt.

Dabei hatte Huff viele gute junge Spieler zur Verfügung, doch die meisten Experten sind sich einig, dass es erst sein ausgezeichnetes Coaching war, dass die Gruppe wirklich elitär machte. Und auch von den Seahawks-Spielern fuhr Scott Huff in diesem Bereich schon vor dem Training Camp Lob ohne Ende ein.

Zudem verstärkte Seattles Front Office die O-Line auch personell. Zum einen über den Draft, als den Seahawks in der 3. Runde an Position 81 Guard Christian Haynes in den Schoß fiel. Auch hier sind sich Kenner einig, dass der Mann von der University of Conneticut nicht nur der beste Pass Blocker in der Guard-Klasse 2024 war, sondern schlicht der beste Spieler, der in der abgelaufenen Uni-Saison ausschließlich auf dieser Position spielte. Als linker Guard soll Veteran-Free Agent Laken Tomlinson mit der Erfahrung eines 32-Jährigen, ehemaligen Pro Bowlers für Sicherheit in den Trenches sorgen.

Und erst vor wenigen Tagen verpflichteten die Seahawks Center Connor Williams. Der riss sich in der Saison 2023 zwar zum zweiten Mal in seiner NFL-Karriere das Kreuzband, allerdings absolvierte Williams den Medizincheck in Seattle ohne Probleme und soll zu Saisonbeginn fit sein. Ist das der Fall, gilt der 27-Jährige als ein Top 5-Center in der NFL!

Auf den Tackle-Positionen setzt die Seahawks Offense auch 2024 wieder auf zwei Männer aus dem Draft-Jahrgang 2022. Left Tackle bleibt Top 10-Pick Charles Cross, der in der abgelaufenen und damit seiner zweiten NFL-Spielzeit die typischen Anlaufschwierigkeiten in Jahr 2 hatte. Beim Training, als jüngst die nationale NFL-Journalie zugelassen war, überzeugte er vorrangig den Experten Albert Breer, der Cross unter der Anleitung von Scott Huff sogar schon auf All Pro-Niveau sieht!

Ob Abe Lucas auch dieses Potenzial hat, bleibt abzuwarten, genau wie die Tatsache, ob er es nach anhaltenden Knieproblemen überhaupt aufs Spielfeld zurückschafft. Für die Seahawks-O-Line wäre seine Rückkehr, die viel benötigte Adrenalinspritze, denn ohne Lucas hatte Seattle im Jahr 2023 über die rechte Seite der Offensive Line mit das schlechteste Runblocking in der NFL.

Seahawks Offense 2024: Das Fazit

Was kann die Seahawks Offense in der NFL-Saison 2024 liefern? Nun, zum einen steht fest, dass Seattle auf den wichtigsten Positionen in der Offense meist doppelt stark besetzt ist. Das Receiver-Trio Metcalf, Lockett und JSN gehört von seinen Anlagen her zu einem der besten der gesamten Liga. Mit Ken Walker und Zach Charbonnet haben die Seahawks zwei junge Running Backs, die in Kombination ebenfalls in ihrem Bereich zu den Top 10 in der NFL zählen. Tight End Noah Fant bekam in der Offseason einen neuen Zweijahresvertrag und damit einen Vertrauensvorschuss von John Schneider und Co., die in Fant weiterhin einen der dynamischsten Tight Ends der Liga sehen.

Dazu gibt es noch drei Fragenzeichen. Zum einen: Kann Geno Smith seine Form aus dem Jahr 2022 wiederfinden? Ist er dazu in der Lage, gilt er als ein Top 15- oder sogar Top 12-Quarterback. Diese Entwicklung hängt wiederum stark von der Leistung der O-Line ab. Also was können die Tackles, die Guards und der Center aufseiten der Seahawks? Sollten die Starter fit sein sowie ihr ohne Frage vorhandenes Talent mit dem Coaching von Scott Huff abrufen, sind sie für Smith die besten Personenschützer, die der in seiner Karriere auf dem Feld hatte. Und dann ist da noch Ryan Grubb und die Frage, ob er sein innovatives Scheme vom College in die NFL übertragen kann?

Im Konjunktiv gesprochen und für den Fall, dass das alles eintrifft, kann die Seahawks Offense in der NFL-Saison 2024 von ihrem Spieler- und Coaching-Potenzial eine Top 5-Unit sein. Und für den Fall, dass die Seahawks Offense weiterhin von den verfluchten Verletzungsproblemen der Saison 2023 verfolgt wird, ist sie allein trotzdem alleine vom Talent her locker in der oberen Hälfte der Liga einzusortieren.