Ich war gestern überzeugt, dass die Seattle Seahawks das Spiel bei den Cincinnati Bengals gewinnen können.
Die Motivation sollte passen – mit zwei Heimsiegen im Rücken und dem Ansporn des Duells gegen eines der momentan besten NFL-Teams. Und bis Anfang des vierten Quarters sah es auch so aus, als wären die Seahawks wieder auf Kurs. Doch was dann passierte, hat mich geschockt. Nachdem ich eine Nacht darüber geschlafen habe, möchte ich nun die Gründe nennen, die bei mir den Schock ausgelöst haben.
Meiner Meinung nach laufen momentan einige Dinge nicht optimal in Seattle. Eines der wichtigsten Puzzleteile war das Teamplay, der Zusammenhalt als und im Team. Das hat Seattle stark gemacht. Ich behaupte: Da sind inzwischen faule Äpfel bei den Seahawks im Korb, die langsam vor sich hinverwesen und andere infizieren.
Ich möchte an dieser Stelle auch direkt das erste Kind beim Namen nennen: Michael Bennett. Seit er mit dem Fahrrad durch das CLink gefahren ist, geht es mit seiner Leistung stetig bergab. Sicher, er hat ab und zu lichte Momente wie gestern, als er den Fumble zum Touchdown von Bobby Wagner verursachte. Allzu oft aber fällt er nur noch durch dumme Fouls (beispielsweise gestern, als er Andy Dalton völlig unnötig anging und die Seahawks so etwa 50 Yards Raumgewinn nach dem Pick von Earl Thomas wieder abgeben mussten) oder beim verursachen zahlreicher Offside-Strafen auf. Abseits des Spielfelds jammert Bennett seit Monaten, er sei unterbezahlt. Ständig fordert er mehr Geld für sich und für andere (Kam Chancellor). Seine Ansprüche gipfelten vergangene Woche in der Behauptung, einige Quarterbacks in der NFL seien völlig überbezahlt. Das gehe auf Kosten von Spielern wie Chancellor. Sich selbst nimmt er da selbstverständlich nicht aus als einen der Leidtragenden. Welche Spielmacher er mit seinen Aussagen meint, lässt er – mit Ausnahme von Sam Bradford – offen. Wir können uns alle denken, in welche Richtung das abzielt, nachdem Russell Wilson kurz vor der Saison einen neuen Vertrag unterzeichnet hat.
Auf einem ähnlichen Trip war zuletzt auch Kam Chancellor, der gegen die Cincinnati Bengals erschreckend schwach spielte, ein Schatten seiner selbst war. Wer selbst einmal Teamsport betrieben hat, weiß, wie schnell so etwas die Stimmung vergiften kann.
Deshalb sage ich inzwischen: Lieber Michael, danke für Deine Leistungen in den vergangen Jahren, doch es wird Zeit, sich zu trennen. Liebe Seahawks, traded ihn für ein paar schicke Picks und lasst Jungs ran, die mit dem Herzen bei der Sache sind. Auch Kam Chancellor sollte tunlichst zusehen, dass er sich auf das Wesentliche konzentriert. Nach den zwei Touchdowns für die Bengals, die er gestern federführend mitgestaltet hat, war zu erkennen, dass ihm Earl Thomas einiges mit auf dem Weg in Richtung Seitenlinie gab. Vermutlich berechtigte Worte eines Defensiv-Leaders. Doch diese hätte es in den vergangenen Jahren nicht gegeben, als das Team noch funktionierte – zumindest nicht in dieser gereizten Form. Ich nehme hier mal Richard Sherman als gutes Beispiel, der ein wahrer Lautsprecher ist – WENN es läuft. Momentan hält er sich zurück – absolut nachvollziehbar.
Nicht außer Acht lassen will ich aber auch, dass sich strategisch dringend etwas ändern muss: Wenn man schon einen Top-Center wie Max Unger für einen Top-Tight End wie Jimmy Graham eintauscht, dann MUSS man das Offensivspiel auch dementsprechend anpassen! Drei bis vier Pässe pro Spiel auf ihn sind viel zu wenig! Ändern die Seahawks das nicht, war es der größte Flop aller Zeiten! Und das ist dann definitiv nicht Graham anzurechnen. Die Play Calls in dieser Saison waren teilweise fragwürdig. Ebenso die Tatsache, dass Thomas Rawls durch Fred Jackson ersetzt wurde. Der Junge brannte gestern, deshalb muss er als Running Back durchspielen.
Ich persönlich schaue momentan nicht mehr auf die Playoffs. Es gibt dringende Baustellen, die man schnellstens beheben muss – sonst kann man sich schon früh aufs kommende Jahr vorbereiten.
von Tobias Neumann