“Thanks for asking!” – Thank you for your Verständnis

Kommentar

Wenn Mike American Football im TV sieht, übertönt das Geräusch seines Fernsehers den Piepton in seinen Ohren. Der Tinnitus ist dann für ein paar Stunden nebensächlich.

Mein Freund Mike, der eigentlich anders heißt, ist US-Amerikaner und hat seinem Land im Krieg gedient. Als Soldat war er im Irak, wurde verwundet, sah einen Freund sterben, kam zurück und konnte nicht mehr aus dem Gedächtnis löschen, was er dort erlebt hatte. Als ich eines Tages im November 2014 bei Mike in Portland zu Besuch war und irgendwann in der Nacht aufs Klo ging, schrie mein Freund plötzlich aus seinem Zimmer, ich solle sofort die Badezimmerlüftung ausmachen. Das surrende Geräusch, wie der Klang des Propellers eines Militärhubschraubers, hatte Mike aus dem Schlaf gerissen. Durch zwei Türen hindurch.

Warum ich das erzähle? Ich weiß, dass es so wie Mike vielen Soldaten geht, die für ihr Land in den Krieg gezogen sind. Dafür respektiere ich – der ich als überzeugter Pazifist nie diesen Weg gehen würde – Mike. Denn er hat viel gegeben, für die Freiheit seiner Nation, wie es so heroisch heißt. Ein Gehör ohne Tinnitus, seinen Stiefvater, seine Jugend, ruhigen Schlaf, Entspannung, ein Leben ohne diese posttraumatische Belastungsstörung.

Und obwohl ich Respekt für Mike habe und er mein Freund ist, befürworte ich den Protest der NFL-Spieler während der Nationalhymne im Stadion. Warum? Weil Meinungsfreiheit nicht in den Katakomben des Stadions endet. Weil es keine Respektlosigkeit darstellt, auf die Knie zu gehen. Warum sonst gehen so viele Menschen beim Heiratsantrag oder beim Beten auf die Knie? Weil es keine Anzeichen dafür gibt, dass der Protest die Leistung der Akteure auf dem Spielfeld beeinflusst. Weil der Zeitpunkt des Protests die größte Aufmerksamkeit bietet für eine Sache, die diese Bühne verdient und bitter nötig hat.

Vor ein paar Tagen habe ich Mike gefragt, wie er zum Protest der NFL-Spieler während der Nationalhymne steht. Was er mir erzählte, bestärkt mich in meiner Auffassung und hilft mir dabei, andere Perspektiven nachzuvollziehen:

„Als Soldat stand ich dafür, den 1. Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten (First Amendment; Redefreiheit, Religionsfreiheit, Pressefreiheit, Versammlungsfreiheit, Petitionsrecht) zu beschützen. Deshalb sollten Athleten und alle anderen Amerikaner das Recht haben, ihre Stimme zu erheben.“

Jeder, der seine Stimme nutze, findet Mike gleichzeitig, müsse dann auch mit den natürlichen Konsequenzen klarkommen, wenn andere der eigenen Position nicht zustimmen. Denn Mike kann nachvollziehen, wenn sich Soldaten von dieser Art Protest respektlos behandelt fühlen, weil er die Mechanismen des patriotischen Amerikas verbunden mit Flagge und Hymne Tag für Tag eingebläut bekommen hat. Ich selbst habe ein halbes Jahr lang bei Football- und Basketballspielen im Stadion, in der Arena und vor dem Fernseher erlebt, wie Mike stehend erstarrte und die Hand salutierend zum Kopf führte, wenn die Hymne erklang.

Doch – und das ist entscheidend – er kann differenzieren. Mike hat für das Recht auf freie Meinungsäußerung gekämpft wie viele andere Soldaten. Sie sind es, die diesen Protest, ob als verletzend empfunden oder nicht, in Kauf nehmen. Ihn schlucken, wie eine bittere Pille, die Aussicht auf Besserung verspricht.

Mike braucht deshalb keine Hobby-Soldaten, die ihn verteidigen. Nicht in den USA. Und auch nicht aus Deutschland oder von anderswo. Für die „Thank you for your service“ sagenden Sofa-Patrioten, die seit Monaten auf die Protestler schimpfen, hat er nichts übrig, weil sie vergessen, wofür er sich eingesetzt hat. Das, was er im Krieg gegeben hat, bekommt er durch ihren Dank auch nicht mehr zurück. Er kann mit ihnen genauso wenig anfangen wie mit denen, die die von den Soldaten erkämpfte Freiheit mit Füßen treten. Mike spricht und steht für die, die den Kampf für Gleichberechtigung von Respektlosigkeit unterscheiden können.

Die USA haben Probleme mit Rassismus, Polizeigewalt und fehlender Gleichberechtigung. Wer das bestreitet, hat im Geschichtsunterricht nicht aufgepasst oder einfach kein Interesse an Fakten. Diese Probleme können nicht durch die Spaltung von Rassen oder die Eskalation von Konflikten gelöst werden, sondern nur durch die eine Menschheit, die es gibt. Rassistische Hetze, falscher Stolz, Verbannung des Protests aus der Öffentlichkeit sowie nicht zum Dialog bereite Schwarze und Weiße passen in dieses Konzept nicht hinein.

Natürlich kann man jetzt sagen, dass die National Football League mit ihrer neuen Anthem Policy schlicht die eigenen Interessen verfolgt und finanzielle Verluste verhindern will. Gewiss möchte sie auch ihre guten finanziellen Beziehungen zum US-Militär nicht gefährden. Dazu gehört dann aber auch die Information, dass Quotenverluste nur zu einem Bruchteil aus dem Protest resultieren. Einseitige Primetime-Partien, zu viele Werbeunterbrechungen, ein Überangebot an American Football im TV, eine schwammige Catch-Regel, der US-Wahlkampf und Donald Trumps NFL-Kritik tragen genauso dazu bei, dass die Quoten gesunken sind.

Einen Großteil dieser Faktoren kann die NFL selbst beeinflussen – und das tat sie zuletzt auch, indem sie ein paar Werbepausen strich oder die Catch-Regel vereinfachte. Doch protestierende Spieler lassen sich nicht einfach in die Kabine wegsperren, denn sie werden dann einen anderen Weg finden.

Die Protestler müssen sich ernst genommen fühlen von der NFL. Nur so funktioniert Annäherung. Doch diesen Ansatz hat die Liga mit ihrer neuen Anthem Policy weit verpasst, weil sie den Dialog mit der Spielergewerkschaft nicht gesucht hat, wie eigentlich versprochen. Stattdessen hat sie ihre weißen Besitzerfamilien über die Köpfe einer unter Spielern zu drei Vierteln nicht weißen Belegschaft hinweg entscheiden lassen. Für vermeintliche schnelle finanzielle Sicherheit und gegen langfristige Annäherung.

Der falsche Weg, findet Mike: „Probleme werden nicht gelöst, indem neue geschaffen werden. Die Amerikaner müssen zusammenarbeiten, um ein Problem zu beheben und nicht sagen, dass nur eine Rasse dieses alleine lösen kann.“

Dass dieser Weg der konstruktiven Zusammenarbeit möglich, dass er aber steinig ist, hat der Protest bewiesen mit dem, was er ausgelöst hat. Die Reaktion der Empörten, die zeigt, dass viele nicht bereit sind für ein Amerika der Gleichberechtigung. Die  besonnene Einschätzung von Mike, für den die Freiheit sowie ihre Konsequenzen wichtiger sind als der eigene Stolz. Der Dialog, den Doug Baldwin, Wide Receiver der Seahawks, Sohn eines Polizisten, seit Jahren führt mit Polizei und Politik.